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»Beruhige dich«, sagte Andrej. »Es war nur ein Trick.«

Erst jetzt fiel ihm auf, dass es geradezu unheimlich still um sie herum geworden war. Die Schreie, das Kreischen und die wütenden Rufe waren verstummt, selbst das Kind hatte aufgehört zu weinen. Er musste sich nicht herumdrehen um zu wissen, dass sich alle Blicke auf ihn konzentrierten. Rasch kniete er neben Abu Dun nieder.

»Alles in Ordnung?«, fragte er. Abu Dun nahm stöhnend den Arm herunter und drehte sich auf den Rücken. Sein Gesicht war blutüberströmt und begann bereits anzuschwellen. Die Nase schien gebrochen, und auch die Lippen waren aufgeplatzt und bluteten heftig. »Du hast ziemlich lange gebraucht«, knurrte er.

»Eigentlich hätte ich sie gewähren lassen sollen«, zischte Andrej. »Was sollte das, du Idiot? Nenn mir einen Grund, warum ich nicht zu Ende bringen soll, was die Menge begonnen hat.«

Langsam richtete er sich auf, drehte sich herum und ließ seinen Blick über die Gesichter der Menge unten vor der Bühne schweifen. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

»Was ... hat das zu bedeuten?«, murmelte Laurus irgendwo hinter ihm.

Andrej ignorierte ihn, trat an den Rand der Bühne und zog das blutdurchtränkte und zerrissene Hemd aus. Mit bedächtigen Bewegungen knüllte er es zusammen und benutzte es dann, um sich das Blut vom Körper zu wischen. Er ging dabei viel bedächtiger zu Werke als nötig, und als er fertig war, breitete er die Arme aus und drehte sich langsam einmal um seine Achse. Auch, wenn er es bisher gar nicht für möglich gehalten hätte - es wurde noch stiller. Jeder dort unten schien buchstäblich das Atmen vergessen zu haben.

»Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte er mit ruhiger, weit schallender Stimme. »Ich bin nicht verletzt. Und was ihr gesehen habt, das war nur eine kleine Kostprobe der uralten Magie des Orients.« Einige Sekunden lang blieb er völlig reglos stehen, dann verbeugte er sich tief, machte einen Schritt rückwärts und deutete mit der linken Hand auf den Nubier, der sich unsicher neben ihm aufrichtete und deutlich weniger würdevoll als Andrej den Ärmel seines Mantels dazu benutzte, um das Blut abzuwischen, das noch immer aus seiner Nase strömte. »Abu Dun, der Vater des Todes!«

Für einen schier unendlich langen Moment hätte man eine Nadel fallen hören können. Dann aber begann irgendjemand zu applaudieren, ein zweiter tat es ihm gleich, und plötzlich schien das ganze Lager unter dem tosenden Applaus der Menge zu erbeben. Pfiffe und Hurra-Rufe wurden laut. Andrej atmete erleichtert auf. Der Moment der Gefahr schien gebannt, und anscheinend hatte er den Ton des prahlerischen Marktschreiers gut genug getroffen, um die Menge davon zu überzeugen, dass sie nur Zeuge eines besonders gelungenen Taschenspielertricks geworden war.

Und dennoch ließ sich Andrej von der allgemeinen Begeisterung nicht täuschen. Denn er sah, dass mitnichten alle Zuschauer applaudierten. Der eine oder andere stand immer noch wie gelähmt da und starrte ihn aus großen Augen an, und auf mehr als einem Gesicht entdeckte er Argwohn, ja, pure Angst.

So wartete er noch einige Momente, ehe er sich zu Abu Dun umwandte und ihm im Vorübergehen zuraunte: »Ich will dich sprechen. In meinem Wagen. Sofort.«

Abu Dun bleckte die blutverschmierten Zähne zu einem Grinsen, wofür Andrej sie ihm am liebsten auf der Stelle eingeschlagen hätte. Mit einem Ruck fuhr er herum, sprang von der Bühne und eilte zu seinem Wagen.

Er kam nicht dazu, mit Abu Dun zu reden; jedenfalls nicht so, wie er es vorgehabt hatte, und nicht an diesem Abend.

Sowohl die Zuschauer als auch die anwesenden Sinti hatten ihm teils respekt-, teils angstvoll Platz gemacht, als er auf seinen Wagen zuschritt, und tatsächlich war Abu Dun ihm schon nach wenigen Augenblicken gefolgt. Aber er war nicht allein gekommen, sondern in Begleitung von Laurus und Elena. Und Laurus hatte die folgenden Minuten damit zugebracht, so lautstark herumzutoben, dass man ihn zweifellos im ganzen Lager hören konnte, und Andrej und Abu Dun mit derart fantasievollen Schimpfworten zu belegen, dass selbst der Nubier ein paar Mal überrascht die Augenbraue gehoben hatte.

Und es wurde nicht besser. Laurus schien nicht die Absicht zu haben, sich irgendwann beruhigen zu wollen, sondern brüllte sich ganz im Gegenteil immer mehr in Rage, bis es schließlich selbst Elena zu viel wurde und sie ihm besänftigend eine Hand auf den Unterarm legte.

Laurus schüttelte sie unwirsch ab, aber er verstummte und presste für einen Moment die Kiefer so fest aufeinander, dass man seine Zähne knirschen hören konnte. Dabei sah er Abu Dun und Andrej wütend und herausfordernd zugleich an.

»Und jetzt will ich wissen, was das alles zu bedeuten hat«, sagte er schließlich. Er hatte diese Frage in den zurückliegenden Minuten mindestens zehn Mal gestellt, allerdings ohne ihnen die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Jetzt aber wartete er sichtlich darauf, und auch wenn seine Stimme leiser geworden war, so hatte sich doch ein neuer Ton hineingeschlichen, der Andrej deutlich machte, dass es besser war, darauf einzugehen: Und zwar auf eine Art, die Laurus überzeugte.

»Das war nur ein Trick«, sagte er. »Euer Sohn hat es doch selbst gesagt, Laurus: Abu Dun ist ein großer Zauberer. Wir haben -«

»Humbug!«, zischte Laurus auf eine Art, die ihn trotzdem irgendwie schreien ließ. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Ich habe -«

»- genau das gesehen, was Ihr sehen solltet«, unterbrach ihn Abu Dun. Er tauschte einen beredten Blick mit Andrej und fuhr dann mit einem Lächeln fort: »Es war nichts als ein Taschenspielertrick, Laurus. Genau wie Andreas sagt.«

»Taschenspielertrick?«, höhnte Laurus. »Ich bin weder dumm noch blind, Muselmann. Ich habe schließlich gesehen, wie dein Schwert ihn aufgespießt hat.«

»Ihr habt gesehen, was Ihr zu sehen erwartet habt, Laurus«, sagte Andrej. »Glaubt uns - es war nichts als ein Trick. Wenngleich ein wirklich guter.«

»Eigentlich wollten wir ihn erst morgen Abend zum Besten geben«, fügte Abu Dun hinzu, »aber dann erschien mir der Moment günstig, ihn erst mal vor einem nicht ganz so großen Publikum zu probieren.«

»Ein Trick?«, fragte Laurus noch einmal. Er sah Elena an, erntete nur ein hilfloses Achselzucken, dann Abu Dun und schließlich Andrej. »Das ist nicht wahr.«

»Natürlich ist es wahr«, behauptete Andrej und ließ seine linke Hand auf die völlig unversehrte Haut seines nackten Oberkörpers klatschen. »Ich stehe ohne einen Kratzer vor Euch, oder? Schweineblut, ein präpariertes Schwert und eine flinke Hand sind alles, was nötig ist, um das Auge zu täuschen. Vor allem dann, wenn es getäuscht werden will.« Er lächelte flüchtig. »Ich dachte, dass Ihr das am besten wisst.«

»Humbug«, sagte Laurus wieder. »Ihr habt völlig Recht, Andreas. Ich weiß, wie leicht man getäuscht werden kann. Und eben darum ist es nicht leicht, mich zu täuschen. Jedenfalls nicht so. Also, verkauft mich nicht für dumm!«

»Also gut, ich gebe es zu«, sagte Andrej und wand sich vor gespielter Zerknirschung. »Ihr habt uns durchschaut, Laurus. Abu Dun und ich sind wirkliche Zauberer.« Er schmunzelte.

»Das ist nicht komisch«, sagte Elena.

Andrejs Lächeln erlosch. »Das soll es auch nicht sein«, sagte er. »Was wollt Ihr jetzt von mir hören, Laurus? Die Wahrheit, oder irgendeine Ausrede, die besser zu dem passt, was Ihr Euch selbst schon zurechtgelegt habt? Es war ein Trick.«

»Dann verratet mir, wie er funktioniert«, verlangte Laurus.

Bevor Andrej antworten konnte, stieß Abu Dun ein leises Lachen aus. »Aber ich bitte Euch, Laurus«, sagte er, »welcher Magier hätte je seine Tricks verraten? Was ist ein Geheimnis wert, wenn man es jedem, der danach fragt, sogleich offenbart?«

Laurus schwieg eine geraume Weile. Sein Blick irrte unsicher zwischen Abu Dun und Andrej hin und her, aber schließlich wandte er sich dem Nubier zu. »Ihr beiden müsst völlig verrückt sein«, sagte er. »Wenn ihr lügt, dann, weil ihr euch wirklich einbildet, ich würde das glauben. Und wenn ihr die Wahrheit sagt, dann noch mehr.«