Выбрать главу

»Nein«, sagte er trotzdem. »Elena, nicht jetzt. Ich bitte dich.«

»Es gibt keinen Grund zur Furcht«, sagte Elena. Sie war jetzt ganz nahe, aber sie berührte ihn nicht, sondern schob sich anmutig an ihm vorbei, um sich auf der schäbigen Bettstatt hinter ihm auszustrecken, die allein dadurch plötzlich zum prunkvollen Lager einer Königin wurde. »Mach dir keine Sorgen, Liebster. Laurus wird nicht kommen.«

Er hatte nicht einmal an Laurus gedacht. Aber plötzlich spielte das keine Rolle mehr. Er konnte auch nicht mehr sagen, woran er gedacht hatte, und was auf der Welt überhaupt noch wichtig war. Lächelnd drehte er sich zu ihr herum und schloss sie in seine Arme. Wieder war er eingeschlafen, doch als er diesmal erwachte, war es noch nicht Tag, und Elena lag noch immer in seinem Arm.

Ihr gleichmäßiger Atem verriet, dass sie schlief, aber ihr Körper schien wie im Fieber zu glühen, und - seltsam genug - Andrej fühlte sich zwar ebenso ausgelaugt und erschöpft wie beim letzten Mal, nachdem sie sich geliebt hatten, doch er konnte sich an keine Einzelheit mehr erinnern; weder daran was, noch wie oft sie es getan hatten. Er spürte nur, dass Zeit vergangen war, deutlich mehr als die Stunde, die Abu Dun ihm gegeben hatte, und eigentlich sollte er bei diesem Gedanken erschrecken oder zumindest ein schlechtes Gewissen haben. Doch weder bedauerte er, noch begrüßte er den Gedanken, dass er die Frist hatte verstreichen lassen und Abu Dun jetzt vermutlich schon nicht mehr hier war.

Behutsam versuchte er sich aufzusetzen und seinen Arm unter Elenas Schultern hervorzuziehen, doch so vorsichtig er dabei auch zu Werke ging, Elena schlug erschrocken die Augen auf und sah ihn einen Moment so verwirrt an, als müsse sie sich erst darauf besinnen, wo sie war. Dann aber erschien ein strahlendes Lächeln in ihren Augen. Sie setzte sich auf und griff nach seiner Hand. Einen Moment lang hielt er sie einfach nur fest, dann berührte sie flüchtig seine Fingerspitzen mit den Lippen und glitt mit einer fast schwerelos wirkenden Bewegung aus dem Bett, um sich nach ihrem Kleid zu bücken.

Andrej sah schweigend zu, wie sie sich anzog, und er war fast sicher, dass sie einfach gehen und ihn allein lassen würde wie gestern, aber stattdessen wandte sich Elena noch einmal um und nahm neben ihm auf der Bettkante Platz. Er wollte sich aufsetzen, doch sie legte die gespreizten Finger ihrer Linken auf seine Brust und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück. Ihr Blick glitt über seinen Körper und blieb auf der Brust in Höhe des Herzens hängen. »Nicht der geringste Kratzer«, sagte sie kopfschüttelnd. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte ich glauben, dass du wirklich ein Zauberer bist.«

»Weißt du es denn besser?«, fragte Andrej.

»Weiß ich es besser?«

Nicht zum ersten Mal war Andrej gefährlich nah daran, Elena einfach die Wahrheit zu sagen, ihr zu offenbaren, wer und was er war und warum sie wirklich hierher gekommen waren. Doch stattdessen sagte er: »Wenn es hier einen Zauberer gibt, dann bist du das.«

»Aber was habe ich denn getan?«, fragte Elena mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Andrej. »Nie zuvor hat mich eine Frau so sehr in ihren Bann geschlagen wie du.«

»Vielleicht bist du noch nie einer richtigen Frau begegnet?« Sie lachte, und eigentlich sollte Andrej in dieses Lachen einstimmen, denn natürlich war es nichts anderes als eine scherzhafte Bemerkung, um ihn zu necken. Und doch war etwas daran, das ihn schaudern ließ.

»Vielleicht«, sagte er nur.

Wieder sah sie auf seine Brust. »Verrätst du mir, wie ihr das macht?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht«, sagte Andrej. »Du hast doch gehört, was Abu Dun zu Laurus gesagt hat: Was ist ein Geheimnis wert, wenn man es jedem offenbart, der danach fragt?«

»Willst du damit sagen, ich wäre jeder?«, fragte Elena lachend.

»Nein«, versicherte Andrej. »Aber es ist kompliziert. Nicht so einfach zu erklären, und jetzt...« Er hob die Schultern. »Ist nicht der richtige Moment. Vielleicht später.«

»Wenn du es jemandem verrätst, dann mir«, beharrte Elena. Sie beugte sich noch einmal vor, berührte die Stelle, an der Abu Duns Schwert seinen Körper durchbohrt hatte mit den Lippen und stand dann mit einer fast hastigen Bewegung auf. »Ich sollte jetzt wirklich gehen«, sagte sie. »Ich habe Laurus erzählt, ich wäre bei Anka. Manchmal bleibe ich lange bei ihr, aber heute ist kein normaler Tag, und er könnte am Ende doch misstrauisch werden, wenn ich zu lange fort bleibe.«

»Und wenn er zu Anka geht, um nach dir zu suchen?«, fragte Andrej.

Elena schüttelte energisch den Kopf. »Laurus geht niemals zu Anka.«

Andrej erhob sich, griff nach seinen Kleidern und begann, sich anzuziehen, auch wenn er selbst gar nicht genau wusste, warum. Er war, wenn auch auf eine sehr wohltuende Art, unendlich müde. Aber aus einem Grund, der ihm selbst nicht ganz klar war, wollte er nicht schlafen. »Warum hasst dein Mann Anka eigentlich so?«, fragte er.

Elena, die schon fast auf halbem Wege zur Tür gewesen war, blieb noch einmal stehen und wandte sich zu ihm um. Er konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete, und er war sicher, auch diesmal nur eine ausweichende oder gar keine Antwort zu bekommen, doch er täuschte sich.

»Du weißt, wer Anka ist?«, fragte sie.

»Eure Puuri Dan«, sagte Andrej. »Auch wenn ich gestehe, dass ich nicht ganz genau weiß, was das ist.«

»Sie ist die Hüterin unseres Wissens«, sagte Elena. »Jede Sinti-Familie hat ihre Ehrwürdige Frau. Sie erzählt die Geschichten der Alten, die Legenden unserer Vorzeit, aber sie lehrt uns auch alles über die Kräfte der Natur und die geheime Magie unserer Vorfahren.«

»Was du mir über den Wald und seine Stimme erzählt hast - das weißt du von ihr?«, fragte Andrej.

Seltsamerweise huschte ein Schatten von Trauer über Elenas Gesicht. »Ja«, sagte sie. »Das und noch so vieles mehr. Und doch gibt es noch so viel mehr, was ich von ihr lernen muss.«

»Du?«

»Sie mag alt geworden sein, und sicher auch ein wenig wunderlich«, antwortete Elena. »Es ist nicht leicht, mit ihr auszukommen. Das war es nie. Anka war niemals ein wirklich guter Mensch, auch nicht, als sie noch jung war.«

»Und deshalb mag dein Mann sie nicht?«, fragte Andrej. »Hat er Angst, dass sie ihm den Rang streitig macht?«

Seine Frage schien Elena noch trauriger zu stimmen. Sie sah eine Weile an ihm vorbei ins Leere, und als sie fortfuhr, war ihre Stimme noch leiser geworden. »Es gibt immer eine Puuri Dan. Es liegt an dem, was sie sind und wissen, dass sie meistens sehr alt werden - wenn auch selten so alt wie Anka. Ihr Wissen darf nicht verloren gehen. Deshalb gibt es auch immer eine Nachfolgerin, die von der Puuri Dan ausgebildet und unterrichtet wird, wenn sie ihre Zeit nahen fühlt. Und diese Nachfolgerin ...«

»... bist du«, vermutete Andrej. Er war nicht überrascht.

Nichts anderes hätte Sinn gemacht.

Elena nickte. »Noch nicht, aber ich werde es sein, wenn Anka stirbt. Und ich fürchte, es wird nicht mehr sehr lange dauern.«

»Und das ist der Grund, aus dem Laurus Anka so sehr hasst?«, wunderte sich Andrej.

»Die Puuri Dan ist unantastbar«, sagte Elena. »Laurus wird mich verlieren, wenn Anka stirbt und ich ihre Nachfolgerin werden. Kein Mann darf die Puuri Dan berühren, niemand der nicht unseres Blutes ist, mit ihr reden oder ihr auch nur nahe kommen. Deshalb hasst er sie.«

Andrej starrte sie ungläubig an. »Du meinst -?«

»Ich meine«, unterbrach ihn Elena mit trauriger aber auch sehr fester Stimme, »dass es eine große Ehre für mich ist, diese Aufgabe zu übernehmen, die vielleicht die wichtigste ist, die es bei uns gibt. Aber ich werde einen Preis dafür zahlen müssen.«

»Einen sehr hohen Preis«, sagte Andrej erschüttert.

»Ja«, antwortete Elena. »Aber ich werde mich nicht beklagen. Das Wohl unseres Volkes zählt mehr als das eines einzelnen Menschen, und auch Laurus weiß das. Er wird nicht versuchen, mich daran zu hindern, und ich glaube, er hasst sich selbst für die Gefühle, die er Anka entgegenbringt. Er ist kein schlechter Mensch, Andreas. Und auch wenn er es manchmal, wie ich zugeben muss, gut zu verbergen weiß - er ist ein sehr kluger Mann. Aber er ist auch ein Mann, und er kann nicht aus seiner Haut.«