Выбрать главу

»Gestern Abend«, bestätigte Flock. »Während Ihr alle hier gefeiert habt.«

»Dann kann es keiner von uns gewesen sein«, sagte Andrej. »Wir waren alle hier.«

Flock machte ein abfälliges Geräusch. »Es sollte mich nicht wundern, wenn Handmann sie selbst angezündet hat. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Einer seiner Söhne ist losgeritten, um den zuständigen Inquisitor zu benachrichtigen, und es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind. Vielleicht heute Abend schon, spätestens aber morgen früh.« Er schnaubte. »Wenn es darum geht, den Teufel mit Feuer und Schwert auszutreiben, sind meine Brüder meist sehr schnell.«

Schon die bloße Erwähnung des Wortes Inquisition reichte aus, um in Andrej auch noch den allerletzten Rest von Sympathie auszulöschen, die er für den jungen Geistlichen empfunden haben mochte. Flock mochte ja annehmen, dass er gar nicht wusste, mit welcher Mischung von Hass und Furcht ihn die Erwähnung von Dämonen und dem Teufel erfüllten, aber das stimmte nicht. Andrej wusste sehr wohl, was in diesem Moment in dem jungen Geistlichen vorging. Nur hatte er längst aufgehört, an den Teufel zu glauben. Für ihn hatte der Teufel ein Gesicht und trug ein Gewand, und seine Schergen nannten sich nicht Dämonen oder höllische Heerscharen, sondern Inquisition. »Ist Euch klar, dass es Euren Tod bedeuten kann, wenn irgendjemand erfährt, dass Ihr uns gewarnt habt?«

»Ich glaube fest daran, dass ich das Richtige tue«, antwortete Flock. »Und wenn es so ist, dann wird Gott mich beschützen.«

»Verzeiht, wenn ich in diesem Punkt skeptisch bin, Hochwürden«, sagte Andrej spöttisch. »Aber ich habe leider andere Erfahrungen gemacht.«

Flock sah ihn sehr ernst an. »Ich werde dich nicht fragen, was man dir angetan hat«, sagte er. »Aber mir ist klar, dass es etwas Schlimmes sein muss. Lass nicht zu, dass anderen noch schlimmeres Unheil geschieht, nur, weil man dir so großen Schmerz zugefügt hat.«

Das Geräusch schwerer Schritte, die rasch näher kamen, hielt Andrej davon ab, zu antworten. Er drehte sich herum und zog überrascht eine Augenbraue hoch, als er Abu Dun erkannte. Der Nubier hatte sich mittlerweile aller Verbände entledigt und trug wieder seinen gewaltigen schwarzen Turban, der ihn noch größer und beeindruckender erscheinen ließ, als er ohnehin schon war, und als ob sein ebenholz-schwarzes Gesicht nicht schon finster genug wirkte, gab er sich alle Mühe, Andrej und Flock abwechselnd fast drohend anzustarren. »Löst ihr gerade alle Probleme dieser Welt, oder hat dein neuer Freund dich überredet, dich endlich taufen zu lassen und in Zukunft in einem Kloster zu leben?«, fragte er.

Andrej antwortete nicht gleich, obwohl ihm eine wütende Entgegnung auf der Zunge lag. Abu Dun wollte ihn reizen, aber diese Worte hatten eine andere Qualität, als die kleinen Sticheleien, die praktisch zu ihrem täglichen Umgangston gehörten. Das, was Abu Dun Flock gerade - und gewiss nicht unabsichtlich - verraten hatte, war gefährlich. Was versprach er sich davon, die Lage noch zu verschlimmern?

Aber auch Flock schwieg dazu und sah den Nubier mit einem schwer deutbaren Gesichtsausdruck an. Schließlich stieß er sich ächzend vom rauen Holz des Wagens ab und begann sich mit schleppenden Schritten zu entfernen. Andrejs erster Impuls war, ihm nachzueilen, um ihn zu stützen. Stattdessen aber blieb er stehen, bis Flock außer Hörweite war und drehte sich dann langsam zu Abu Dun herum. »Was sollte das?«, fragte er.

»Oh, entschuldige«, sagte Abu Dun hämisch. »Habe ich die beiden Turteltäubchen in einem entscheidenden Moment gestört?«

Andrej schluckte auch die Entgegnung auf diese Bemerkung herunter, obwohl es ihm immer schwerer fiel, nicht einfach zu explodieren. Es schien, Abu Dun wollte genau das erreichen, und Andrej hatte keine Ahnung, warum. »Wo warst du heute Nacht?«, fragte er.

»Heute Nacht?« Abu Dun hob die Schultern. »In meinem Zelt, wo sonst?«

»Nein, das warst du nicht«, sagte Andrej.

»Gewiss«, beharrte Abu Dun. »Im Gegensatz zu dir habe ich leider keine Zeugen, sodass du schon mit meinem Wort vorlieb nehmen musst, Hexenmeister. Nachdem du mich ja praktisch rausgeworfen hast, habe ich mich betrunken und schlafen gelegt.«

»Ich war in deinem Zelt«, sagte Andrej ernst. »Du warst nicht da.«

»Unsinn«, widersprach Abu Dun. »Vielleicht war ich kurz draußen, um die Blumen zu düngen. Aber ich habe das Lager nicht verlassen.«

»Obwohl du mir praktisch ein Ultimatum gestellt hast?«

Abu Dun verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Manchmal ändert man eben seine Meinung«, sagte er. »Auch, wenn du es nicht verdienst, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich bleiben muss, um dir wieder einmal den Hals zu retten. Jetzt frag mich nicht nach dem Grund. Anscheinend habe ich einen Narren an dir gefressen.«

Andrej wollte antworten, aber in diesem Moment fiel ihm etwas auf. Geschlagene fünf Sekunden lang starrte er Abu Dun nur wortlos und mit wachsender Verwirrung an, dann fragte er: »Was ist mit deinem Hals?«

»Mein Hals?« Der Nubier hob die linke Hand und tastete mit den Fingerspitzen über seine Kehle. »Was soll damit sein? Nichts.«

»Eben«, sagte Andrej. Plötzlich lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. »Du hast nicht die geringste Schramme. Dabei hab ich dir gestern einen tüchtigen Schnitt beigebracht.«

»Dann war er wohl doch nicht so tief, wie du vorgehabt hast«, erwiderte Abu Dun. »Es tut mir ja Leid, dass ich nicht wirklich schwer verletzt bin, aber ich -«

»Du weißt verdammt genau, was ich meine«, unterbrach ihn Andrej. »Die Wunde ist nicht etwa gut verheilt. Sie ist einfach nicht mehr da!«

»Du wirst dich getäuscht haben«, sagte Abu Dun. Irrte sich Andrej, oder klang seine Stimme ein bisschen unsicher? »Ich erinnere mich auch nicht, dass du mich geschnitten hast. Vermutlich war es dein eigenes Blut. Es ist ja weit genug herumgespritzt.«

Diese Ausrede war so dünn, dass sie schon fast lächerlich wirkte. Aber Andrej war nicht zum Lachen zumute. Erneut und noch heftiger rann ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinab. Was ging hier vor?

»Ja, vielleicht hast du Recht«, sagte er leise. »Vielleicht hab ich mich getäuscht.« Aber er wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte ihn verletzt - ziemlich übel sogar -, und der Nubier war in dieser Nacht nicht in seinem Zelt gewesen. Warum belog ihn Abu Dun?

Er spürte, was immer er jetzt sagte, er würde die Situation nur noch verschärfen. Abu Dun würde ihm nicht antworten, und Andrej wusste, dass er eine weitere Herausforderung nicht mehr wortlos hinnehmen würde. Und er spürte noch etwas: Wen es diesmal zum Streit zwischen ihnen käme, würde es nicht bei einem harmlosen Geplänkel bleiben.

Und plötzlich wusste er, wer ihm seine Fragen beantworten konnte.

Er musste nicht lange suchen, um Rason und Bason zu finden. Die Zwillinge lungerten, wohl eher von Neugier als von Sorge getrieben, ganz in der Nähe herum und sahen immer wieder wie zufällig in Richtung des Wagens, in dem Laurus gerade mit Schulz verhandelte.

Schon, als Andrej sie nur von weitem sah, begann sein Zorn zu verrauchen, und da war wieder diese Stimme in seinem Kopf, die ihn fragte, warum er eigentlich so wütend auf diese beiden Jungen war, die es doch ganz gewiss nicht böse mit ihm meinten und ihn - wenn überhaupt - ganz bestimmt nicht mit heimtückischer Absicht in die Irre geführt hatten, sondern eher aus Ungeschick oder allenfalls falsch verstandenem, jugendlichem Abenteuersinn.

Andrej gestattete sich nicht, auf sie zu hören.

Er beschleunigte seine Schritte und rannte schon fast, als Bason seine Gegenwart zu spüren schien und sich zu ihm umdrehte. Auch sein Zwillingsbruder hob den Kopf und blickte in Andrejs Richtung, und es war seltsam - es sollte umgekehrt sein, aber mit jedem Tag, den er in Gegenwart der Zwillingsbrüder verbrachte, fiel es ihm schwerer, sie zu unterscheiden, selbst wenn sie direkt nebeneinander standen und noch dazu unterschiedliche Kleidung trugen wie jetzt. Wäre nicht der mittlerweile schmutzige Verband an Basons Hand gewesen, Andrej wäre nicht sicher gewesen, wen er vor sich hatte.