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»Andreas!«, begrüßte ihn Bason. Ein strahlendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und er machte Anstalten, Andrej entgegen zu gehen. »Ich hab mich schon gefragt -«

Andrej packte ihn mit der linken Hand am Kragen, umklammerte mit der anderen seine Hand und schleifte ihn einfach mit sich. Bason ächzte vor Überraschung, und auch sein Bruder riss ungläubig die Augen auf.

»Andreas! Was ... was soll das, um Himmels willen?«, stöhnte Bason. Er hatte Mühe, die Worte überhaupt herauszubringen, denn Andrejs Griff war so fest, dass ihm sein eigener Hemdkragen fast die Luft abschnürte.

Andrej selbst erging es kaum besser. Er hasste sich für das, was er tat, und es fiel ihm immer schwerer, Bason festzuhalten und sein ebenso verzweifeltes wie sinnloses Strampeln und Wimmern zu ignorieren. Aber er zwang sich sogar dazu, noch fester zuzupacken und Bason in eine Lücke zwischen zwei große Wagen zu zerren, wo er ihn schließlich mit solcher Wucht gegen die Wand rammte, dass dem jungen Sinti die Luft wegblieb.

»Andreas, um Himmels willen! Was tust du?«, keuchte Rason hinter ihm.

Andrej ignorierte ihn, ließ endlich Basons Kragen los und griff mit der frei gewordenen Rechten nach dem Verband an seiner Hand. Mit einem einzigen, kräftigen Ruck riss er ihn herunter.

Bason ächzte. Andrej konnte hören, wie sein Bruder hinter ihm scharf die Luft einsog und mitten in der Bewegung erstarrte, und auch er selbst wich fast entsetzt zurück - obwohl er geahnt hatte, was er sehen würde. Nichts. Die Haut unter dem schmutzig gewordenen Verband war unversehrt. Basons Fleisch, das noch vor zwei Tagen von einem messerscharfen Stück Holz regelrecht zerfetzt worden war, wies nicht den mindesten Kratzer auf und war glatt und rosig wie die eines frisch gewaschenen Babys.

»Andreas, ich ... ich kann dir das erklären«, stammelte Bason. »Es ist nicht so, wie du denkst.«

»Was denke ich denn?«, fragte Andrej. Er erschrak fast selbst beim Klang seiner Worte. Er hatte leise gesprochen. Jeglicher Zorn und alle Wut waren aus seiner Stimme gewichen und hatten dafür einer umso größeren Bitterkeit Platz gemacht. Es fiel ihm schwer, seinen Blick von Basons Hand loszureißen und dem Sinti in die Augen zu sehen. Und es fiel ihm noch schwerer, zuzugeben, dass alles, was er darin sah, eine tiefe Bestürzung und der Ausdruck des puren schlechten Gewissens war. Keine Heimtücke. Kein Falsch und kein Hehl.

»Ich weiß, ich hätte es dir gleich sagen sollen«, sagte Bason.

Er war nervös. »Ich wollte es, aber ... aber mir hat der Mut gefehlt.«

»Um mir was zu sagen?«, fragte Andrej.

»Dass du zu uns gehörst«, antwortete Rason anstelle seines Bruders. Andrej drehte sich nicht zu ihm herum.

»Du bist einer von uns«, sagte Bason. »Ich habe es sofort gespürt, gleich, als wir dich und deinen Freund draußen im Wald gefunden und hierher gebracht haben. Ich wollte es dir sagen, aber -« Er rang einen Moment um Worte. »Aber Elena war dagegen. Und Laurus auch.«

»Warum?«, fragte Andrej.

»Weil Laurus uns hasst«, sagte Rason hinter ihm. »Und zugleich fürchtet er uns. Du bist nicht der Erste unserer Art, der hierher kommt, Andreas. Mit den meisten haben wir schlechte Erfahrungen gemacht.«

»Wir waren nicht sicher, welche Absichten du verfolgst«, stimmte ihm Bason zu. »Es tut mir Leid, du musst glauben, dass wir dir nicht getraut haben, aber das stimmt nicht. Wir waren nur vorsichtig.«

»Einer von euch«, wiederholte Andrej leise. »Und was genau seid ihr?«

Bason wich seinem Blick aus. »Es wäre mir lieber, wenn du Elena diese Frage stellen würdest«, sagte er.

»Ich bin nicht sicher, dass sie noch Gelegenheit hat, überhaupt irgendeine Frage zu beantworten«, sagte Andrej hart. »Die Männer aus der Stadt sind gekommen. Sie wollen Abu Dun und mich mitnehmen. Wenn ich schon in Ketten von hier weggeführt werde, dann möchte ich wenigstens wissen, warum.«

»Niemand wird von hier weggebracht«, sagte Rason. »Schon gar nicht in Ketten. Mach dir keine Sorgen.«

Andrej drehte sich nun doch zu ihm herum, und maß ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick. Er fragte nicht, was Rason mit diesen Worten gemeint hatte, sondern wandte sich wieder an seinen Bruder.

»Du hattest völlig Recht mit den Fragen, die du Anka gestellt hast, Andreas«, sagte Bason im Tonfall eines schlechten Gewissens plötzlich. »Dieses Mädchen, nach dem du gesucht hast... Alessa?«

Andrej nickte.

»Alessa«, sagte Bason noch einmal. »Sie war hier, und Anka hat sofort erkannt, wer sie war. Sie und ihre Familie. Wir erkennen einander, wenn wir uns sehen, weißt du?«

Andrej hätte um ein Haar genickt, aber er unterdrückte den Impuls im letzten Moment. Seit er angefangen hatte, seine eigene Begabung - wenn es denn eine war und kein Fluch - zu erforschen, war auch er in der Lage, die Nähe eines anderen Unsterblichen zu spüren, und deutlicher, je mächtiger dieser war. Vielleicht war das auch der Grund, aus dem er Basons Behauptung, sie wären beide von der gleichen Art noch immer nicht traute. Selbst jetzt, da er den Beweis mit eigenen Augen gesehen hatte, fühlte er in Gegenwart der beiden jungen Sinti nichts dergleichen. Abgesehen vielleicht von dem immer noch präsenten Gefühl einer tiefen Verbundenheit, die weit über bloße Sympathie hinausging.

»Was ist mit ihr geschehen?«, fragte er.

»Das, was mit den meisten geschieht«, antwortete Bason traurig. »Sie sind gestorben, genau wie Anka gesagt hat. Wie fast alle, die wir im Laufe der Jahre getroffen haben.«

Andrej blickte verständnislos.

»Es gibt einige unter uns, die es als einen Segen betrachten«, fuhr Bason fort. »Aber für die meisten ist es ein Fluch, und für die allermeisten bedeutet es den Tod.« Er machte eine Kopfbewegung auf seinen Bruder, der hinter Andrej stand. »Wie alt würdest du uns schätzen, Andreas?«

Andrej hob die Schultern. Er hatte sich nie wirklich Gedanken darüber gemacht, wie alt die Zwillinge sein mochten, aber er glaubte nicht, dass es mehr als zwanzig Jahre waren, und nach kurzem Überlegen sagte er das auch.

Basons Lächeln wurde noch bitterer. »Wir sind einundfünfzig, Andreas«, sagte er. »Ich sogar eine Minute älter als mein Bruder.«

Andrej schwieg.

»Wir hatten elf Brüder und fünf Schwestern, Elena nicht mitgerechnet«, fuhr Bason fort. »Sie alle sind gestorben, als sie vom Kind zum Mann oder zur Frau wurden und ihre Zeit gekommen war. So geht es den meisten. Sie werden krank und sterben. Die, die Glück haben, schnell, aber bei manchen dauert es oft Jahre.«

»Ihr seht nicht aus, als hättet ihr gerade erst den Schritt vom Kind zum Mann vollzogen«, sagte Andrej.

Bason sah ihn leicht verwirrt an, antwortete aber trotzdem: »Es ist an die vierzig Jahre her. Wir sind nicht unsterblich, Andreas, wie du. Man kann uns töten, und wir altern.« Er hob die Hand. »Aber unsere Wunden heilen schneller, und wir altern viel langsamer als die anderen.«

»Woher weißt du das?«, fragte Andrej. »Dass ich unsterblich bin?«

»Von Anka«, antwortete Bason. »Sie hat es uns gesagt. Hat sie Recht?«

Andrej überlegte einen Moment und hob dann die Schultern. Er hätte den beiden sagen können, dass er selbst nicht annähernd so viele Jahre zählte wie sie, ja, noch nicht einmal alt genug, um wirklich mit Sicherheit sagen zu können, ob er ebenfalls so langsam alterte wie die Zwillinge. Aber aus irgendeinem Grund schreckte er davor zurück.

»Und ... Elena?«, fragte er.

»Sie ist unsere Schwester«, sagte Rason. »Die Älteste aus der Familie. Und jetzt quäle mich bitte nicht weiter. Geh zu Elena und frage sie selbst.« Er versuchte zu grinsen, aber das Ganze geriet zu einer traurigen Grimasse. »Sie kratzt mir die Augen aus, wenn ich dir verrate, wie alt sie wirklich ist. Was das angeht, ist sie eine ganz normale Frau, musst du wissen. Bitte frage sie selbst.«