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Elena schien sein Schweigen richtig zu deuten. Sie nickte. »Siehst du? Vielleicht verlange ich zuviel vom Schicksal. Vielleicht ist es unmöglich, darauf zu hoffen, dass es auch nur einen Menschen auf der Welt gibt, der dieser Versuchung auf Dauer widerstehen könnte. Aber bisher hast du es getan. Vielleicht bist du ja tatsächlich der eine Auserwählte, auf den wir alle warten.«

»Und wenn ich es wäre?«

»Dann wären all die Jahre des Hoffens und Wartens vielleicht nicht umsonst gewesen.« Elena lachte leise und sehr bitter. »Glaubst du an Gott, Andreas?«

Sein erster Impuls war, heftig den Kopf zu schütteln, »Nein« zu sagen, aber er tat weder das eine noch das andere, sondern sah sie nur weiter fragend an. Und nach einer Weile fuhr sie fort: »Nun, was mich angeht, ich bin nicht sicher. Ich habe oft geglaubt, ich hätte schon so viel gesehen und zu viel erlebt, um noch an ein höheres Wesen glauben zu können, oder gar an den Sinn, der hinter all dem steckt. Aber vielleicht gibt es ihn doch, und wir können ihn nur nicht erkennen. Wenn, dann muss er einen Grund gehabt haben, etwas wie uns zu erschaffen. Manche von uns glauben, wir wären nur eine Laune der Natur. Eine ganz besondere Art von Missgeburt. Krüppel, die von einer Krankheit gezeichnet sind, die man nicht sieht. Aber vielleicht ist unsere Zeit einfach noch nicht gekommen. Vielleicht bedarf es nur dieses Einen, um unser Volk endlich zu dem zu machen, was es werden soll.«

»Du hast mich gerade gefragt, ob ich an die Existenz eines Gottes glaube«, sagte Andrej. »Ich weiß die Antwort darauf so wenig wie du, Elena, aber eins weiß ich gewiss: Dass ich kein Messias bin.«

»Woher willst du das wissen? Irgendeiner muss der Erste sein.«

»Der Erste was?«, fragte Andrej noch einmal, und jetzt hörbar lauter.

Es verging eine geraume Weile, bis Elena antwortete. »Ich trage dein Kind in mir, Andreas«, sagte sie ganz leise.

Ein Schlag ins Gesicht hätte ihn kaum härter treffen können. Ungläubig starrte er sie an und suchte nach Worten. Schließlich stammelte er: »Das ... das ist... nicht möglich.«

Elena lachte. Nur ganz kurz, aber dieses Lachen klang echt und ehrlich amüsiert. »Wahrscheinlich sind diese Worte schon öfter gesprochen worden, als es Blätter an den Bäumen gibt, Andreas.« Sie wurde schlagartig wieder Ernst. »Es ist so. Glaub mir.«

»Du musst dich täuschen«, sagte Andrej. Er rang sichtlich um Fassung. »Ich bin nicht ... ich meine ... ich kann keine Kinder zeugen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich hab mich nie besonders vorgesehen«, erwiderte Andrej. »Ich meine ... ich hatte viele Frauen, und wir waren nie -«

»Warst du jemals mit einer Frau deiner Art zusammen?«

Andrej antwortete nicht. Wie auch?

»Ich trage dein Kind in mir, Andreas«, sagte Elena noch einmal. »Ich habe es an unserem ersten Abend empfangen. Als wir uns das erste Mal geliebt haben.«

Andrej starrte sie an, dann das aufgeschlagene Bett. Er konnte nicht mehr denken. Hinter seiner Stirn herrschte nur Chaos, die Gedanken bewegten sich wie durch einen zähen Sumpf, und er spürte, wie seine Hände zu zittern begannen. »Dann ... dann war ich für dich nur ...«

»Hast du mir nicht zugehört, Andreas?«, fiel ihm Elena ins Wort. »Oder ist dein Gedächtnis so schlecht? Du warst so ungestüm, dass ich nach wenigen Minuten wieder hätte gehen können, aber ich bin geblieben. Und ich bin am Tag darauf zurückgekommen.«

»Ich weiß«, murmelte Andrej. »Verzeih. Ich wollte dich nicht kränken. Aber es ist ...« Wieder brach er ab. Wieder fehlten ihm die Worte. Elena kam wieder näher, ergriff seine Hand und legte sie auf ihren Bauch.

»Du kannst es noch nicht fühlen, aber ich weiß, dass es da ist, Andreas. Dein Kind. Unser Kind. Es wird ein Junge werden, und wenn es dort oben im Himmel wirklich einen Gott gibt, dann muss er mich einfach erhören, so oft, wie ich ihn angefleht habe, unserem Volk eine Zukunft zu geben. Vielleicht wird unser Sohn der erste einer neuen Art, und vielleicht wird er nicht sein ganzes Leben lang gegen die Dämonen aus seiner Seele kämpfen müssen, wie du.«

Andrej ließ die Hand einen Moment auf Elenas flachem Bauch liegen, dann zog er sie fast erschrocken fort und wäre um ein Haar auch vor ihr zurückgewichen. »Aber ... aber das kannst du doch gar nicht wissen«, stammelte er. »Ich meine: Selbst, selbst wenn' du weißt, dass du guter Hoffnung bist, woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es«, antwortete Elena in einem Tonfall, der keinen Zweifel zuließ. »Bleib' bei uns, Andreas. Bei mir. Wenn nicht um meinetwillen, dann wegen deines Sohnes.«

»Das wird deinem Mann nicht gefallen«, sagte Andrej leise.

Elenas Blick verdüsterte sich. »Laurus hat mich seit fünf Jahren nicht mehr berührt«, sagte sie.

»Und warum?«

Die Dunkelheit in Elenas Blick schien zuzunehmen. Ein gequälter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit. Lange Zeit schwieg sie, und Andrej konnte sehen, wie sie mit sich rang. Dann trat sie einen Schritt zurück, straffte die Schultern und machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Komm mit!« Der Wald war ebenso still und von der gleichen, stickigen Hitze erfüllt wie gestern, als sie nach Bason und seinem Bruder gesucht hatten. Und er war von der gleichen, bösen Präsenz erfüllt wie vor zwei Tagen, als sie Bruder Flock gefunden hatten. Und doch war etwas anders: Diesmal spürte Andrej nicht diesen kompromisslosen Drang, grundlos zu vernichten und zu zerstören, sondern etwas Lauerndes - aber die Dämonen waren da, auch wenn er sie nicht sehen konnte.

»Was wollen wir hier?«, fragte er. Der Klang seiner Stimme verriet mehr von seiner Nervosität als ihm lieb war, und er ertappte sich zum wiederholten Mal dabei, wie seine rechte Hand nach seinem Gürtel tastete. Er hatte sein Schwert nicht mitgenommen, als Elena ihn aufgefordert hatte, ihr zu folgen, und er bedauerte dieses Versäumnis. Auch, wenn er ziemlich sicher war, dass das, was sie hier antreffen mochten, mit herkömmlichen Waffen nicht zu besiegen war.

»Wir sind gleich da«, sagte Elena. Sie ging dicht vor ihm her, und auch, wenn er sie jetzt im hellen Tageslicht sah und nicht im farblosen Grau der Nacht, wie damals bei Handmanns Mühle, so schien sie dennoch mit jedem Schritt mehr mit den Schatten zu verschwimmen und eins mit den Formen der Natur zu werden, sodass es ihm immer schwerer fiel, sie im Auge zu behalten.

»Ich finde es nicht klug, das Lager zu verlassen«, sagte er, während er unablässig nach rechts und links blickte. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ohne seinerseits irgendetwas Verdächtiges zu sehen, trieb ihn fast in den Wahnsinn. »Wir haben versprochen, im Lager zu bleiben. Wenn man uns hier sieht, ist das vielleicht genau der Vorwand, auf den Schulz und die anderen warten.«

»Es sind nur ein paar Schritte«, sagte Elena. »Außerdem hat uns niemand gesehen.«

»Und wenn doch, dann wirst du dafür sorgen, dass er es vergisst, nicht wahr?«, fragte er. Elena antwortete nicht darauf, aber sie warf ihm einen leicht verletzten Blick über die Schulter zu, und Andrej entschuldigte sich in Gedanken bei ihr. Natürlich hatte sie niemand gesehen. Das kleine Waldstück lag auf der Rückseite des Lagers, und selbst wenn, so konnten sie immer noch behaupten, Feuerholz oder ein paar Kräuter gesucht zu haben. Er war einfach übernervös, das war alles.

Plötzlich blieb Elena stehen, und Andrejs ungutes Gefühl erhielt neue Nahrung, als er erkannte, dass sie sich genau dort befanden, wo Flock von den vier Bestien überfallen worden war. Elena wandte sich zu ihm um und sah ihn auf seltsame Weise an, und gerade, als Andrej eine Frage stellen wollte, hörte er hinter sich das Knacken eines Astes und leichte Schritte.