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»Aber das ist doch nicht wahr!«, sagte Andrej. Schon, um seine Worte zu bekräftigen, streckte er die Hand aus und wollte ihren Arm ergreifen, aber Elena machte sich unwirsch los und rutschte wieder ein Stück weit von ihm fort.

»Und ich dachte, du wärst anders als all die anderen.«

»Das bin ich«, sagte Andrej. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt, hilflos. »Es hat nichts mit dir zu tun.«

»Sondern?«

»Ich ... brauche einfach ein wenig Zeit«, sagte er stockend.

»Tut es dir Leid, dass du dich entschieden hast, bei uns zu bleiben?«, fragte Elena. »Noch ist es nicht zu spät. Wenn du gleich losreitest, kannst du deinen Freund, den Heiden, sicher noch einholen. Vielleicht hätte ich dir nicht sagen sollen, dass ich dein Kind erwarte. Anka hat mich gewarnt, dass ihr Männer manchmal so reagiert.«

»Aber so ist es doch nicht«, widersprach Andrej. Er blickte Elena verständnislos an. »Begreifst du denn nicht, was ich meine?«

»Nein«, sagte Elena. »Und das ist vermutlich meine Schuld. Ich ...« Sie brach ab. Andrej sah ihr an, dass sie noch viel sagen wollte, und dass sie innerlich vor Zorn bebte. Dann aber zwang sie sich zu einem Lächeln und machte eine um Verzeihung heischende Geste. »Wir sollten uns nicht streiten, Andreas«, sagte sie. »Vielleicht hast du Recht. Das ist möglicherweise wirklich nicht der richtige Moment.« Sie stand auf und drehte sich halb herum, wie um sich vom Bett zu entfernen, und für einen winzigen Moment konnte er ihren ganze Körper in seiner unendlichen Schönheit im silbernen Licht des Mondes erkennen. Und vielleicht hätte er diesen Moment sogar noch ertragen, doch da drehte sie noch einmal den Kopf und sah ihn an, und als sich ihre Blicke begegneten, brach sein Widerstand wie ein Fenster aus filigranem Glas unter einem Hammerschlag.

Sein Verstand schrie ihm verzweifelt zu, dass es falsch war, dass er sie nicht berühren durfte, zumindest nicht in dieser Nacht, wenn er auch nur noch einen winzigen Rest von Achtung vor sich selbst behalten wollte. Aber die Stimme seiner Vernunft war bedeutungslos. Als Elena sich wieder zu ihm herum drehte, sich über ihn beugte und die Arme nach ihm ausstreckte, sah er noch einmal und jetzt viel deutlicher das Raubtier in ihren Augen, und irgendwo in ihm war eine Stimme, die endlich die Wahrheit begriffen hatte und verzweifelt versuchte, ihn zu warnen. Aber auch diese Stimme verhallte ungehört, und dann spürte er wieder ihren Körper an seinem, ihre Lippen auf seinem Mund, und plötzlich war nichts anderes auf der Welt noch irgendwie von Bedeutung.

Es war das Gefühl unendlicher Müdigkeit und Erschöpfung, das ihn weckte; eine Mattigkeit die so allumfassend war, dass selbst der Schlaf zu anstrengend schien, um nicht daraus zu erwachen. Er hatte wirre Erinnerungen an etwas, das zu furchtbar gewesen war, um ein bloßer Albtraum zu sein, und zu bizarr für die Wahrheit. Und die Erinnerung daran, die letzte Grenze, der er schon oft so nahe gekommen war, diesmal berührt zu haben. Nicht überschritten, denn selbst für ein Wesen wie ihn bedeutete diese Schwelle einen Weg ohne Wiederkehr, aber er hatte sie zum ersten Mal nicht nur gesehen und gefühlt, sondern berührt, und vielleicht war ein Teil von ihm hinübergeglitten, denn in ihm war eine so allumfassende Leere, dass er davor erschauerte.

Dennoch war sich Andrej vollkommen des Umstandes bewusst, noch am Leben zu sein. Am Leben, aber vielleicht nicht mehr Herr seines Körpers. Er spürte, dass er auf etwas Warmem lag, das zu weich für Stein und zu hart für sein Bett war, und das Hände etwas an ihm taten, das unangenehm war, ohne dass er es genau identifizieren konnte. Vielleicht fügten sie ihm Schmerz zu, aber wenn, dann schützte ihn diese grausame Müdigkeit, die ihn immer noch quälte, denn selbst Schmerz zu empfinden war eine Anstrengung, zu der er nicht mehr fähig war. Seine Gedanken waren schwer wie Eisen und bewegten sich ebenso träge. Fast verzweifelt begann er, in sich nach einem verborgenen Reservoir an Kraft zu suchen, ein winziges bisschen Energie, aus dem er schöpfen und wenigstens ganz wieder ins Bewusstsein hinüber gleiten konnte, aber da war nichts. Das gewaltige Reservoir an eigener und fremder, gestohlener Lebenskraft, aus dem er bisher geschöpft hatte, war leer, aus der tobenden Feuersbrunst ein heruntergebrannter Funke geworden, kaum noch ein Glimmen, als hätte ihn jemand nicht nur all seiner Kraft, sondern auch seiner Lebensenergie beraubt. Sein Körper war unversehrt, sein Herz schlug wie eine präzise und treu arbeitende Maschine, aber mehr war er auch kaum noch.

So also ist das, dachte er matt. Trotz allen Erschreckens und aller Müdigkeit war ihm klar, was geschehen war. Er spürte das, was andere gespürt hatten, wenn er ihre Lebenskraft nahm.

Wieder spürte er, wie sich Hände an ihm zu schaffen machten. Er wurde unsanft an den Armen gepackt und über den Boden geschleift, und jetzt hörte er auch Stimmen, Stimmen, die ihm vage bekannt vorkamen, ohne dass er sie zuordnen konnte, und Worte in einer Sprache, die er zwar verstand, die aber trotzdem im ersten Moment keinen Sinn zu ergeben schienen. Dann wurde er so grob fallen gelassen und prallte gegen etwas, dass der Schmerz wie eine kleine Explosion den erstickenden Mantel aus Mattigkeit durchbrach, der sich um seine Gedanken gelegt hatte. Er hatte nicht die Kraft, zu stöhnen, geschweige denn, die Augen zu öffnen, aber als die lodernde Qual allmählich verebbte, erkannte er zumindest eine der Stimmen wieder, und nur einen Moment später ergaben ihre Worte auch Sinn, wenn auch sonderbarer Weise nur die dieser einen Stimme, die Bason gehörte. »Wieso lebt er noch? Sie hat gesagt, sie würde es zu Ende bringen.«

Eine andere Stimme antwortete, ihr Besitzer ebenso unbekannt wie die Worte unverständlich, dann wieder Bason: »Wozu?«

Jemand trat ihn in den Leib. Der Tritt war so wuchtig, dass zwei oder drei seiner Rippen brachen. Andrej registrierte den Schmerz, aber er war nebensächlich, denn er bemerkte etwas viel Alarmierenderes: Die zerbrochenen Knochen blieben zerbrochen. Sein Körper begann nicht damit, sich zu regenerieren, als wäre ihm auch diese Kraft genommen worden. Vielleicht war sie es.

Bason: »Das wird ihr nicht gefallen. Wir sollten ihm den Kopf abschlagen und ihn irgendwo vergraben.«

»Du hast gehört, was ich gesagt habe. Mir gefällt es ebenso wenig, aber es ist auch sehr erstaunlich. Wir bringen ihn zu Anka.« Andrej konnte die zweite Stimme immer noch nicht identifizieren, aber er vermutete, dass es die Rasons war. Verzweifelt versuchte er, die Lider zu heben, aber es ging nicht. Selbst diese kleine Anstrengung war hundertmal mehr, als er im Moment vollbringen konnte.

»Elena wird nicht erfreut sein, wenn sie das hört«, sagte Bason.

»Elena«, erwiderte die andere Stimme, die er für die Rasons hielt, »hat ihn schließlich am Leben gelassen. Vielleicht ist an ihm ja etwas Besonderes.«

»Ja. Er ist besonders gefährlich.« Andrej konnte hören, wie Bason heftig den Kopf schüttelte, und nur einen Moment später traf ihn ein zweiter, womöglich noch härterer Tritt in die Seite. Diesmal brach ihm die Stiefelspitze keinen weiteren Knochen, aber der Schmerz war schlimmer als das erste Mal. »Ich traue ihm nicht.«

Trotz dieser eindeutigen Worte wurde Andrej nur einen Moment später grob an den Armen gepackt und davongeschleift. Er konnte spüren, wie der raue Boden, über den er gezerrt wurde, seine Haut aufriss und Blut über seinen zerschundenen Rücken lief, aber er fürchtete den Schmerz jetzt nicht mehr, sondern war im Gegenteil dankbar dafür, und sei es nur, weil ihm diese Qual bewies, dass er noch am Leben war und dass es vielleicht doch noch ein Zurück gab. Immer verzweifelter versuchte er, sich zum Aufwachen zu zwingen, seinen Körper bewusst dazu zu bringen, was er bisher immer ganz von selbst getan hatte, nämlich seine Verletzungen zu heilen und die Schwelle des Todes mit der zum Leben zu tauschen, aber es ging nicht. Etwas in ihm war einfach nicht mehr da. Vielleicht war er sterblich geworden.