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Obwohl er es nicht gewollt hatte, war er doch noch eingeschlafen, wenn auch nur kurz. Er erwachte, als sich das Schiff mit einer schwerfälligen Bewegung und einem Geräusch, das an das Seufzen eines müden Wals erinnerte, leicht auf die Seite legte und den Bug in die Strömung drehte. Irgendwo über seinem Kopf erklang ein schweres, nasses Klatschen und graues Licht drang durch seine halb geschlossenen Lider. Etwas stieß unsanft in seine Rippen. Andrej hob widerwillig die Lider und war nicht überrascht, Abu Dun mit finsterem Gesicht über sich aufragen zu sehen. Der Pirat trug jetzt wieder seinen Turban und aus seinem Gürtel ragte der Griff eines gewaltigen Krummsäbels, auf den er die linke Hand gelegt hatte..

»Wach auf, Hexenmeister«, sagte Abu Dun und stieß ihn abermals mit dem Fuß an; diesmal so hart, das es wehtat.

»Es ist heller Tag und es geziemt sich nicht, das mein Leibwächter wie ein Hund hier oben an Deck schläft.«

»Mein Name ist Andrej«, murmelte der Angesprochene verschlafen.

»Und ich bin noch nicht dein Leibwächter. Erst wenn wir unser Ziel erreicht haben.« Die Nacht war einem Tag gewichen, der nicht wirklich ein Tag war. Klamme Feuchtigkeit hüllte das Schiff ein und die Umgebung war hinter einer grauen Wand verschwunden. Nebel war aufgekommen und es war sehr kalt. Andrej wartete einen Moment lang vergeblich darauf, das Abu Dun irgendetwas erwiderte, dann stand er vorsichtig auf, breitete die Decke über Frederic aus, der ungerührt weiterschlief, und entfernte sich ein paar Schritte. Abu Dun folgte ihm. Er sagte nichts, aber in seinen Augen funkelte es spöttisch. Andrej sah sich mit ärgerlich gerunzelter Stirn um. Abu Duns Männer hatten das Segel gesetzt und arbeiteten schnell, aber sehr präzise, um das plumpe Schiff endgültig in die Strömung zu drehen. Sie hatten bereits Fahrt aufgenommen, aber Andrej konnte das Ufer so wenig sehen wie in der Nacht, denn es wurde anstelle der Dunkelheit nun von einer Wand aus wattigem grauem Nebel verborgen.

»Was soll das, Abu Dun?«, fragte er.

»Soll ich ein paar Knoten für dich knüpfen oder deinen Männern helfen, die Segel zu setzen?« Abu Dun ignorierte seine Worte einfach. Er war wieder stehen geblieben und sah nachdenklich auf Frederic hinab, der sich im Schlaf in die Decke eingedreht und auf die Seite gewälzt hatte.

»Was ist das mit dir und diesem Jungen?«, fragte er.

»Ist er wie ... wie du?«

»Nein«, antwortete Andrej. Er war ziemlich sicher, das Abu Dun spürte, das er log. Trotzdem fuhr er fort:

»Er ist nur ein junge. Ich mag ihn, das ist alles. Vielleicht, weil er so einsam ist wie ich. Er hat niemanden, weißt du?« Abu Dun schwieg eine ganze Weile. Dann sagte er etwas, das Andrej erschreckte:

»Du solltest dich nicht zu sehr an ihn binden, Deläny. Der junge ist nicht gut. Etwas Dunkles lauert in seiner Seele.«

»Du bist also nicht nur Pirat und Sklavenhändler, sondern kannst auch in die Seelen von Menschen blicken.« Der Spott klang selbst in Andrejs Ohren schal, und Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Er sah nur den schlafenden jungen einige Augenblicke lang an, dann deutlich länger Andrej und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Der Himmel wird sich lichten, sobald die Sonne ganz aufgegangen ist«, sagte er.

»Das Wetter wird gut heute. Wenn wir günstigen Wind haben, werden wir ein gutes Stück Weg schaffen. Wir müssen ...« Er unterbrach sich, als ihm einer seiner Männer etwas zurief. Andrej verstand nicht was, aber auf Abu Duns Gesicht erschien ein überraschter, vielleicht auch erstaunter Ausdruck.

»Probleme?«, fragte er spöttisch. Abu Dun winkte ab, aber diesmal wirkte es eindeutig ärgerlich.

»Nichts, was dich beunruhigen müsste«, sagte er harsch.

»Hast du nicht selbst gesagt, das du nichts von der Seefahrt verstehst?«

»Aber ich bin für Euer Wohl verantwortlich, Herr«, sagte Andrej spöttisch.

»Also gestattet mir, das ich mir Sorgen mache.«

»Mach dir lieber Sorgen um deine Zunge«, grollte Abu Dun. Aber er lachte bei diesen Worten. Nach einem Augenblick fuhr er fort: »Der Mann im Ausguck glaubt ein anderes Schiff gesehen zu haben.«

»Und was ist daran so ungewöhnlich?«, fragte Andrej.

»Ich meine: Wir sind mitten auf der Donau. Dann und wann sollten auf großen Flüssen schon Schiffe gesichtet worden sein.«

»Kein Kapitän, der seine fünf Sinne noch beisammen hat, würde bei diesem Nebel lossegeln«, sagte Abu Dun.

»Es ist viel zu gefährlich.«

»Ach?«. Abu Dun spießte ihn mit Blicken regelrecht auf, als er Andrejs Grinsen bemerkte.

»Ich bin aus genau diesem Grund losgesegelt«, sagte er.

»Weil niemand sonst es täte.«

»Noch einer hat es getan«, antwortete Andrej.

»Ja«, bestätigte Abu Dun.

»Und genau das gefällt mir nicht. Bring den jungen unter Deck, Hexenmeister, und dann komm zurück. Und bring dein Schwert mit, nur für alle Fälle.« Andrej sah ihn fast bestürzt an. Es überraschte ihn kaum, zu begreifen, das Abu Dun ihm vielleicht doch etwas verschwiegen hatte. Was ihn beunruhigte, war der besorgte Ausdruck auf Abu Duns Gesicht. Wortlos drehte er sich zu Frederic herum und schüttelte ihn wach. Im selben Moment, in dem der junge die Augen aufschlug, wehte ein dumpfer Knall durch den Nebel herüber. Gleichzeitig erscholl ein gellender Schrei; ein Mann stürzte vom Ast herunter und schlug kaum einen Meter neben Abu Dun auf die Decksplanken. Abu Dun fuhr auf, riss sein Schwert aus dem Gürtel und sprang zur Seite. Er begann in seiner Muttersprache zu brüllen, und überall auf dem Schiff rissen die Piraten ihre Waffen hervor und machten sich zur Verteidigung bereit. Nur das es niemanden gab, gegen den sie sich verteidigen konnten. Dem Schuss, der den Mann im Ausguck getötet hatte, folgte kein weiterer. Die graue Wand, die das Piratenschiff einschloss, schien lautlos näher zu kriechen, aber sie spie keine Angreifer aus.

»Was ist geschehen?«, fragte Frederic.

»Andrej !«

»Nichts«, antwortete Andrej,.

»Ich weiß es nicht. Geh unter Deck, schnell. Und bleib dort, egal, was geschieht. Und tu diesmal, was ich dir sage!« Frederic blieb einen Moment trotzig stehen, dann drehte er sich um und verschwand mit raschen Bewegungen in der offen stehenden Luke. Andrej wartete, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war, und trat erst dann an Abu Duns Seite.

»Dieser verlogene Christenhund«, sagte Abu Dun gepresst.

»Möge der Teufel seine Seele fressen!«

»Ich glaube, das hat er bereits getan«, sagte Andrej.

»Falls wir von dem gleichen Mann sprechen: Vater Domenicus.« Abu Duns Blick fuhr immer hektischer über die stumpfe graue Wand, die das Schiff einschloss. Aus dem Nebel drangen Geräusche, leise und sonderbar gedämpft, aber eindeutig als die eines Schiffes zu identifizieren, das allmählich näher kam.

»Ich hätte wissen müssen, das er mich hintergeht«, sagte Abu Dun. »Trau niemals einem Christen!« Er sah auf den toten Seemann neben sich und Andrej folgte seinem Blick. Der Mann war aus mehr als zehn Metern Höhe herabgefallen und mußte sich alle Knochen gebrochen haben, aber davon war er nicht gestorben: Seine Brust war voller Blut. Er war erschossen worden. Und das bedeutete, das die Angreifer nahe waren. Sie befanden sich in der Mitte des Flusses. Selbst der beste Schütze hätte den Mann nicht sf vom Ufer aus treffen können.

»Da!« Abu Dun deutete nach rechts. Eine plötzliche Windböe riss den Nebel auseinander und aus den grauen Fetzen tauchte ein riesiges Schiff auf, dessen Rumpf und Segel vor Nässe glänzten. In seinem Bug, der das Deck des Piratenseglers um mindestens zwei Meter überragte, standen drei hoch aufgerichtete Gestalten. Andrejs Atem stockte, als er den Schriftzug las, der am Bug des Schiffes prangte: ›Möwe‹. Es war Vater Domenicus’ Schiff.