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»Der junge ist so wie du«, sagte Abu Dun.

»Warum überrascht mich das nicht? Er wird trotzdem nicht besonders erfreut sein, das du ihn im Stich gelassen hast, um das Leben eines Piraten zu retten.«

»Er ist vor allem nicht so geduldig wie ich.« Andrej antwortete, ohne eigentlich zu wissen, was er sagte. Sein Blick brannte sich währenddessen geradezu in den Drachenritter ein. Der Mann stand reglos wie eine aus rotem Stein gemeißelte Statue im Bug seines unheimlichen schwarzen Schiffes, das Gesicht in Richtung des brennenden Piratenseglers gerichtet, und trotzdem hatte Andrej das Gefühl, das er wußte, wer ihn vom Ufer aus beobachtete. Eine spürbare Bosheit schien von der Gestalt in der roten Rüstung auszugehen; reine Gewalt, die Gestalt angenommen hatte.

»Soll das eine Warnung sein?«

»Nein«, antwortete eine Stimme aus dem Wald hinter ihnen, bevor Andrej es tun konnte.

»Ein Versprechen. Gib mir einen Grund und ich reiße dir die Kehle heraus und trinke dein Blut.« Frederic stolperte aus dem Wald heraus und kam mit kleinen, ein wenig unsicher wirkenden Schritten auf ihn zu.

»Frederic«, sagte Andrej müde. Frederic sah aus zornig funkelnden Augen zu ihm hoch, aber er sagte nichts mehr, sondern ging wortlos an ihm und Abu Dun vorbei und stieg auf einen Felsen, der in Ufernähe aus dem Sand ragte. Es war vollkommen unnötig. Er mußte das nicht tun, um freie Sicht auf den Fluss und das brennende Schiff zu haben; Andrej kam sein Verhalten seltsam unangemessen vor. Vor allem, als er in sein Gesicht sah. Frederic war nicht entsetzt. Da war keine Trauer. Kein Zorn. Nicht einmal diese schreckliche, saugende Leere, die Andrej am Anfang gefühlt hatte und auch jetzt noch fühlte. Obwohl ihn der bloße Gedanke entsetzte, schien ihm alles, was er auf Frederics Gesicht erblickte, so etwas wie gelindes Interesse zu sein. Er betrachtete den Tod all seiner Freunde und Verwandten auf die gleiche Weise, mit der er einem eindrucksvollen, aber nicht besonders originellen Schauspiel gefolgt wäre.

»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte Abu Dun.

»Dieser Teufel wird vielleicht das Ufer absuchen lassen, um sicher zu gehen, das es keine Überlebenden gibt.«

»Das braucht er nicht«, sagte Andrej leise.

»Er weiß, das wir hier sind.« Und als hätte er seine Worte gehört, drehte sich der Ritter in der stachelbewehrten roten Rüstung herum und sah ihn an.

5

Nicht nur wegen Abu Duns Befürchtung, Domenicus und sein unheimlicher Verbündeter könnten das Ufer nach Überlebenden absuchen, brachen sie kurze Zeit später auf. Sie bewegten sich flussaufwärts, entgegen der Strömung, die sie ans Ufer getragen hatte. Wäre es nach Frederic gegangen, dann wären sie unverzüglich wieder ins Wasser gestiegen, um zur ›Möwe‹ und anschließend zum Drachensegler zu schwimmen und furchtbare Rache für den Tod der Delänys zu nehmen. Auch ein Teil von Andrej schrie nach Blut, so laut, das es ihm immer schwerer fiel, die Stimme zu überhören. Auch er wollte die beiden goldenen Ritter und vor allem Vater Domenicus tot sehen. Aber es wäre töricht gewesen, diesem Wunsch auf der Stelle nachzugeben. Schon, weil sie diesen Kampf verloren hätten.

»Was hast du jetzt vor?«, fragte Frederic, nachdem sie eine Weile unterwegs waren. Da sich der Nebel vollends gehoben hatte, waren nicht nur die beiden ungleichen Schiffe deutlich zu erkennen gewesen - auf der ›Möwe‹ und dem Drachensegler mußte nur jemand mit nicht einmal allzu scharfen Augen in ihre Richtung blicken, um sie sofort zu sehen, sodass sie gezwungen waren, sich im Schutz des Waldes fortzubewegen. Ihr Tempo war dadurch noch weiter gesunken.

»Ich meine, nur wenn die Frage gestattet ist und ich nicht zu unwürdig und dumm bin, um Kenntnis von deinen genialen Plänen zu haben«, fuhr Frederic in bösem Tonfall fort, als Andrej nicht sofort antwortete. Diese Worte waren die ersten, die er gesprochen hatte, seit sie aufgebrochen waren. Aber er hatte auf eine ganz bestimmte Art geschwiegen, die Andrej nicht gefiel.

»Du bist vor allem ein Kind, das sich am Rande einer Tracht Prügel bewegt«, sagte Abu Dun, als klar wurde, das Andrej auch jetzt nicht antworten würde.

»Lehrt man Kinder bei euch, so mit Erwachsenen zu reden?« Frederic würdigte ihn nicht einmal einer Antwort, sondern schenkte ihm nur einen verächtlichen Blick. Dann wandte er sich noch einmal und in noch herausfordernder Art an Andrej:

»Also? Was haben wir vor?«

»Etwas sehr Wichtiges«, sagte Andrej mit fast ausdrucksloser Stimme.

»Am Leben zu bleiben.«

»Oh«, machte Frederic in höhnisch gespielter Überraschung.

»Warum hast du das nicht gleich gesagt? Das ist also dein großartiger Plan?«

»Ja«, sagte Andrej.

»Das ist er.« Er war nicht einmal sonderlich wütend über den unverschämten Ton des jungen, aber er mußte sich trotzdem beherrschen, um ihm nicht die Tracht Prügel zu verabreichen, die Abu Dun ihm gerade angedroht hatte..

»Aber wenn du vor Tatendrang gar nicht mehr weißt, was du tun sollst, dann lauf in den Wald und such ein bisschen trockenes Feuerholz. Wir sind weit genug entfernt. Ich möchte rasten und meine Kleider trocknen.«

»Ein Feuer!«, höhnte Frederic.

»Was für eine wunderbare Idee. Damit man den Rauch von den Schiffen aus sieht und sie uns nicht erst umständlich zu suchen brauchen!« Andrej konnte ein Feuer entzünden, das ohne Rauch brannte, und Frederic wußte das sehr genau. Trotzdem antwortete er:

»Dann hättest du doch, was du dir wünschst.« Er schüttelte müde den Kopf und schnitt Frederic mit einer entsprechenden Geste das Wort ab, als dieser etwas erwidern wollte.

»Geh!« Natürlich gehorchte Frederic nicht sofort, sondern starrte ihn noch einen Moment aus trotzig funkelnden Augen an, aber dann wandte er sich um und verschwand mit stampfenden Schritten im Wald. Abu Dun sah ihm kopfschüttelnd nach.

»Warum legst du den Bengel nicht übers Knie und ziehst ihm den Hosenboden stramm?«, fragte er.

»Lass ihn«, sagte Andrej leise.

»Er ist verzweifelt, das ist alles. Es war seine Familie, die auf dem Schiff verbrannt ist.«

»Verzweiflung ist noch lange kein Grund, seinen Verstand abzuschalten«, knurrte Abu Dun.

»Man kann keine Rache üben, wenn man tot ist.« Statt zu antworten, deutete Andrej mit einer Kopfbewegung auf eine Gruppe halb mannshoher Findlinge in vielleicht hundert Schritten Entfernung, die fast bis ans Wasser heranreichten und durch eine Laune des Zufalls so angeordnet waren, das sie ihnen einen perfekten Sichtschutz zu den beiden Schiffen hin boten. Abu Dun runzelte die Stirn, widersetzte sich aber nicht, sondern folgte ihm zu der bezeichneten Stelle. Erst, als Andrej sich nach einem letzten sichernden Blick zu den Schiffen hin zwischen den Felsen niedergelassen hatte, knüpfte er an das unterbrochene Gespräch an.

»Diese drei Ritter, die Domenicus begleiten - sie sind wie du, habe ich Recht?«

»Zwei«, sagte Andrej ruhig.

»Es sind nur zwei.« Abu Dun setzte sich mit untergeschlagenen Beinen neben ihn und schüttelte heftig den Kopf.

»Du bist schlecht informiert, Hexenmeister«, sagte er.

»Du solltest deine Feinde kennen. Es sind drei. Ich habe sie selbst gesehen.«

»Sie waren zu dritt«, erwiderte Andrej.

»Ich habe einen von ihnen getötet.«

»Dann sind sie nicht unsterblich.«

»Doch«, sagte Andrej. Er wollte nicht reden, aber Abu Dun war offensichtlich nicht gewillt, einfach nachzugeben. Der Pirat machte ein verwirrtes Gesicht.

»Das verstehe ich nicht«, sagte er.

»Erst sagst du, sie sind wie du, und dann wieder ...« Er schwieg einen Moment und ein sonderbares Funkeln erschien in seinen Augen.

»Ich verstehe«, murmelte er.

»Das glaube ich nicht.«

»Ihr seid gar nicht unsterblich«, fuhr Abu Dun unbeeindruckt fort. »Man kann euch töten.«