»Du vertraust uns einfach so drei Pferde an?«, fragte Abu Dun. »Das ist ziemlich leichtsinnig.«
»Es sind alte Klepper«, antwortete der Wirt. »Ihr könnt froh sein, wenn sie bis Tandarei durchhalten. Zahlt mir dasselbe, was mir der Schlachter geben würde. Mein Bruder wird euch den Betrag anrechnen.«
»Das ist ein faires Angebot, meine ich.« Abu Dun stand auf.
»Es sei denn, bei euch werden alte Klepper in Gold aufgewogen.« Der Wirt blieb ernst.
»Gute Nacht, die Herren«, sagte er. Andrej wartete, bis er verschwunden war, dann trank er noch einen letzten Schluck Bier und stand ebenfalls auf.
»Er kann uns gar nicht schnell genug loswerden, wie?«
»Ich glaube, er meint es ernst«, antwortete Abu Dun.
»Denkst du an dasselbe wie ich?«
»Das weiß ich nicht«, log Andrej.
»Woran denkst du denn?«
»An den Hasen.«
»Das mag Zufall sein«, sagte Andrej.
»Vielleicht wirklich ein Raubtier, das sein Unwesen hier treibt.« Er hob die Schultern.
»Wer weiß, vielleicht tragen wir wirklich einen Teil der Schuld, weißt du? Vielleicht haben wir das Raubtier ohne Absicht hierher geführt.«
»Vielleicht ist es ja bei uns«, sagte Abu Dun.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Andrej scharf.
»Nichts«, antwortete Abu Dun.
»Es war ... nur so eine Idee. Eine dumme Idee. Verzeih.« Er machte eine Kopfbewegung zur Treppe.
»Geh nach oben und leg dich schlafen.«
»Und du?«
»Ich schlafe bei den Pferden. Auf diese Weise kann ich sie mir auch gleich ansehen und mich überzeugen, ob die Klepper in der Lage sind, uns bis nach Tandarei zu bringen.« Er verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Andrej ging nach oben und betrat das Zimmer, das er für Frederic und sich - und eigentlich auch Abu Dun gemietet hatte. Es war dunkel. Das einzige schmale Fenster war geschlossen aber es war überraschend kalt. Andrej schloss die Tür hinter sich, so leise er konnte und blieb stehen, damit sich seine Augen an die herrschende Dunkelheit gewöhnen konnten. Das Zimmer war groß, aber bis auf die drei schmalen Betten und eine grob gezimmerte Truhe vollkommen leer. Frederic lag komplett angezogen auf dem mittleren dieser drei Betten und schlief. Aber schlief er wirklich? Andrej sah noch einmal zum Fenster und trat dann lautlos an Frederics Bett heran. Der Junge hatte sich auf die Seite gerollt. Seine Augen waren fest geschlossen und seine Atemzüge waren flach und gleichmäßig. Andrej streckte die Hand nach ihm aus, zog sie dann aber wieder zurück, ohne ihn zu berühren. Frederic schlief zweifellos.
7
Sie brachen am nächsten Tag im Morgengrauen auf. Der Abschied war kurz und kühl. Der Wirt machte jetzt keinen Hehl mehr daraus, das er die drei Fremden lieber gehen als kommen sah, und mehrere Dorfbewohner hatten sich bereits am Tor versammelt; vermutlich, um nach Spuren zu suchen, wie es der Dunkelhaarige am vergangenen Abend vorgeschlagen hatte. Andrej behielt Frederic unauffällig im Auge, während sie an dem halben Dutzend Männer vorüberritten. Der Junge wirkte müde und er betrachtete die kleine Versammlung mit einer Mischung aus kindlicher Neugier und Verwirrung. Andrej hatte ihm nicht erzählt, was passiert war. Die Pferde waren tatsächlich nicht viel mehr als heruntergekommene Mähren, die reif für den Abdecker waren. Sie kamen nicht wesentlich schneller voran, als wären sie zu Fuß unterwegs, aber doch um einiges bequemer. Spät am Nachmittag erreichten sie Tandarei und fragten sich zum Besitzer des Stalles durch, dessen Namen ihnen der Wirt gegeben hatte. Sie bekamen neue Pferde, und als der Mann erfuhr, wer sie geschickt hatte, wies er ihnen auch den Weg zu einem einfachen Gasthaus, in dem Fremde willkommen waren und wo keine neugierigen Fragen gestellt wurden. Am nächsten Morgen ritten sie weiter.
Abu Dun hatte sich noch einmal genau nach dem Weg erkundigt und in Erfahrung gebracht, das sie von Tandarei aus am besten nach Buzau, dann ein Stück nach Westen bis Cimpina und schließlich nach Kronstadt ritten, um nach Siebenbürgen und damit zu den Drachenkriegern zu gelangen; ein Weg, der auch mit guten Pferden mindestens eine Woche in Anspruch nehmen würde. Aber er war sicherer als der direkte, denn auf diese Weise umgingen sie den größten Teil der Gebiete, in denen sie auf Sultan Selics Truppen stoßen konnten. Sechs Tage lang bewegten sie sich auf dem vorgegebenen Weg, wobei sie versuchten, Städte und Menschenansammlungen nach Möglichkeit zu meiden. Sie übernachteten in einfachen Gasthäusern auf dem Lande oder auf Gehöften, sofern sie einen Bauern fanden, der bereit war, sie in seiner Scheune oder auf dem Heuboden nächtigen zu lassen. Als Abu Dun nach einer Weile auffiel, das Andrej Frederic praktisch keine Sekunde aus den Augen ließ, machte er nicht eine Bemerkung in diese Richtung, aber sein Schweigen war sehr beredt. Ohnehin wurde Abu Dun immer mehr zu einem Problem, je weiter sie nach Westen kamen. Die Menschen fürchteten sich vor Muselmanen - viele wohl zu Recht, wie Andrej annahm - und fast alle begegneten ihnen mit Misstrauen, einige mit Hass. Es fiel Andrej immer schwerer, eine glaubhafte Erklärung für die Anwesenheit des schwarzen Riesen zu finden. Ein paar Mal war es wohl nur Abu Duns Schwert, dessen Anblick die Menschen davon abhielt, ihren wahren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Und trotzdem war es Abu Dun, der ihnen am Abend des sechsten Tages vermutlich das Leben rettete. Sie waren früh aus der Nähe von Kronstadt Richtung Schäßburg aufgebrochen und Andrej rechnete damit, noch vor Sonnenuntergang Rettenbach zu erreichen, ihre letzte Zwischenstation auf dem Weg nach Petershausen, wo es nach Abu Duns Überzeugung - in der Nähe des Flusses Arges und des Poenari-Felsens einen Stützpunkt des ordo draconis geben sollte; der Ritter des Drachenordens.
Sie waren wenigen Menschen begegnet, aber dafür hatten sich die Gerüchte gemehrt, das sich türkische Truppen in der Umgebung herumtreiben sollten. Sultan Selics Heer war noch mehrere Tagesreisen entfernt und Andrej glaubte nicht, das es überhaupt bis zu ihnen vordringen würde. Er interessierte sich nicht sonderlich für den Verlauf des Krieges. Es ging dabei um Dinge, die er nicht verstand und die ihn nichts angingen. Er war zu unbedeutend, um die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf sich zu ziehen; und letztlich konnte es ihm egal sein, welches Herren Fahne über dem Land flatterte. Die einfachen Leute, mit deren Blut und Tränen dieser Krieg letzten Endes geführt wurde, würden unter osmanischer Herrschaft kaum schlechter leben als unter dem Banner der Walachen-Fürsten, die dafür bekannt waren, ein blutiges Regime zu führen. Trotzdem hatte er mitbekommen, das die Sache nicht gut für die Walachen stand, die drohten zwischen den Ungarn und den Türken wie zwischen zwei mächtigen Mahlsteinen zerrieben zu werden. Die heranstürmenden Osmanen schienen nicht aufzuhalten zu sein, auch wenn sie nicht jede Schlacht gewannen. Andrej bezweifelte dennoch, das sie hier auf sie stoßen würden. Die Stoßrichtung der Angreifer lag viel weiter westlich. Ihre Ziele waren Budapest und Wien und danach der Rest Europas, nicht Petershausen. Dennoch bestand die Gefahr, das sie auf einen versprengten Teil des türkischen Heers trafen oder vielleicht auch nur auf eine Patrouille, die Selic ausgeschickt hatte. Wäre das Land hier so eben gewesen wie weiter im Osten, wo ihre gemeinsame Reise begonnen hatte, so hätten sie eine gute Chance gehabt, eine Falle rechtzeitig zu erkennen und ihr auszuweichen. So aber bemerkten sie die Gefahr erst, als es zu spät war.
Sie hatten einen der steilen Hügel überquert, die für diesen Teil des Landes typisch waren, und ritten nebeneinander aus dem Wald heraus, da stießen sie auf ein Dutzend Reiter. Die Männer hatten abgesessen und waren offensichtlich damit beschäftigt, ein provisorisches Nachtlager aufzuschlagen. Einige hatten ihre Speere gegen Bäume gelehnt und die Schilde und Harnische abgeschnallt, und die meisten Pferde waren mit den Fesseln aneinander gebunden, damit sie nicht wegliefen. Andrej überschlug blitzschnell ihre Chancen, auf der Stelle herumzufahren und davonzugaloppieren. Sie standen vielleicht gar nicht schlecht. Die Männer waren mindestens ebenso überrascht wie sie, keiner von ihnen saß im Sattel und sie würden etliche Zeit brauchen, um die Verfolgung aufzunehmen. Aber Abu Dun hob so rasch die Hand, das er nicht einmal dazu kam, den Gedanken ganz zu Ende zu denken, und zischte: