»Mein Lustknabe?«, schlug er schließlich vor. Frederics Gesicht verdüsterte sich vor Zorn und Andrej sagte rasch:
»Er ist mein Sohn. Wir bleiben bei der Geschichte. Wir haben einige Übung darin.«
»Wenn er dein Sohn ist, möchte ich seine Mutter nicht kennen lernen«, seufzte Abu Dun.
»Aber gut. Bitte bewahrt einen kühlen Kopf. Wir haben viel Zeit.« Er gab den Männern, die Andrej und Frederic bewachten, einen Wink. Andrej entging zwar nicht, das sie einen fragenden Blick zu ihrem Anführer hin warfen und auf sein zustimmendes Kopfnicken warteten, aber schließlich senkten sie ihre Waffen und nach einem weiteren Augenblick wagte es Andrej auch, langsam aufzustehen. Niemand versuchte ihn daran zu hindern, aber die beiden Krieger, die ihn bisher bewacht hatten, folgten ihm in zwei Schritten Abstand, als er Abu Dun begleitete. Der Mann, mit dem Abu Dun gesprochen hatte, sah ihm aufmerksam und noch immer ein wenig misstrauisch entgegen. Obwohl sein Gesicht einen undurchdringlichen Ausdruck hatte, wirkte es doch zugleich auch offen. Er sah Andrej gerade lange genug durchdringend an, um seinen Blick unbehaglich werden zu lassen, dann wandte er sich mit einer Frage an Abu Dun und machte eine komplizierte Handbewegung. Abu Dun antwortete und wandte sich dann an Andrej.
»Er sagt, du siehst nicht aus, als wärst du mein Leibwächter«, sagte Abu Dun. Andrej verzog nur flüchtig die Lippen. Er konnte den Mann verstehen: Abu Dun war ein gutes Stück größer als er und sein schwarzes Gesicht ließ ihn noch bedrohlicher erscheinen. Wenn man sie nebeneinander sah, konnte man höchstens annehmen, das Abu Dun sein Leibwächter war.
»Und?«, fragte er schließlich.
»Er will, das du es beweist«, sagte Abu Dun.
»Beweisen? Wie soll das gehen?« Die Aufforderung beunruhigte Andrej mehr als nur ein bisschen: Bevor Abu Dun antworten konnte, reichte ihm der türkische Kommandant sein Schwert, zog mit der anderen Hand seine eigene Waffe und machte eine auffordernde Kopfbewegung.
»Was soll das?«, fragte Andrej.
»Er will, das du mit ihm kämpfst«, sagte Abu Dun.
»Du musst ihm beweisen, das du wirklich mein Leibwächter bist.«
»Ich kämpfe nicht zum Spaß«, antwortete Andrej.
»Das habe ich noch nie getan.«
»Dann wird es Zeit, das du damit anfängst«, sagte Abu Dun. »Denn wenn du es nicht tust, wirst du ernsthaft kämpfen müssen. Möglicherweise gegen alle.«
Andrej schwieg. Abu Dun hatte natürlich Recht. Es wäre närrisch zu glauben, das ein Mann wie der Kommandant der türkischen Patrouille jedem Fremden, den er zufällig traf, sofort vertraute - mitten im Feindesland und noch dazu in Begleitung zweier Feinde. Aber er konnte es sich im Grunde gar nicht leisten, mit diesem Mann zu kämpfen. Andrej zweifelte nicht daran, das er ihn besiegen würde; er war bisher nur auf sehr wenige Männer getroffen, die ihm im Kampf mit dem Schwert ebenbürtig oder gar überlegen gewesen wären. Das Problem war ein ganz anderes: Weder durfte er den Mann schwer verletzen, noch das Risiko eingehen, selbst verwundet zu werden. Er durfte nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Wenn die Menschen in dem Dorf, in dem sie vor : einer Woche gewesen waren, schon nicht an Zauberei glaubten: diese heidnischen Krieger taten es bestimmt. Wenn sie sahen, das sich seine Verletzungen in Sekundenschnelle wieder schlossen, dann würden sie alle zu ihren Waffen greifen und ausprobieren, wie weit seine Unverwundbarkeit wirklich reichte.
»Also gut«, sagte er schweren Herzens. Er trat einen Schritt zurück und hob sein Schwert.
»Aber ich will ihn nicht verletzen. Der Kampf endet, sobald einer von uns entwaffnet ist.« Abu Dun verstand, was er meinte. Er übersetzte Andrejs Worte und der Türke erklärte sich mit einem Nicken einverstanden. Auch er hob sein Krummschwert und machte gleichzeitig eine befehlende Geste mit der freien Hand, woraufhin seine Krieger einen vielleicht fünf Meter durchmessenden Kreis rings um sie herum bildeten. Dann griff er ohne weitere Verzögerung an. Andrej spürte sofort, das er es mit einem ernst zu nehmenden Gegner zu tun hatte. Der Mann war gut. Nicht so gut wie er, aber gut, und vor allem: Er war entschlossen, vor seinen Männern nicht das Gesicht zu verlieren. Andrej parierte seine ersten Angriffe mit vorgetäuschter Mühe, um sich ein Bild von der Kraft und Schnelligkeit seines Gegners zu machen, dann löste er sich von ihm, griff an und legte alle Kraft in einen einzigen Hieb. Der Türke war stärker, als er geglaubt hatte. Es gelang Andrej nicht, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Aber er wußte, wie schmerzhaft ein solcher Schlag war. Der Mann taumelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück und Andrej setzte ihm blitzartig nach, trat ihm wuchtig vor das linke Knie und brachte ihn damit endgültig aus dem Gleichgewicht. Der türkische Krieger stürzte und Andrej war mit einem einzigen Schritt über ihm. Sein Schwert senkte sich auf die Hand, die das Schwert hielt, verletzte sie aber nicht. Der Krieger erstarrte. Seine Augen weiteten sich in einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen.
»Er sollte die Waffe loslassen«, sagte Andrej.
»Bevor ich sie ihm aus der Hand nehme. Sag ihm das.« Abu Dun übersetzte getreulich (wenigstens hoffte Andrej das) und der Türke zögerte noch einen Herzschlag lang - und ließ dann zu Andrejs unendlicher Erleichterung das Schwert los. Andrej trat rasch einen Schritt zurück, schob sein Schwert in den Gürtel und streckte dann die Hand aus, um dem gefallenen Krieger auf die Füße zu helfen. Der Türke blickte seine ausgestreckte Rechte einen Moment lang an, als wüsste er nichts damit anzufangen, aber dann griff er danach und ließ sich von ihm aufhelfen. Seine Mundwinkel zuckten, als er das verletzte Bein belastete, aber der Ausdruck in seinen Augen hatte sich vollkommen gewandelt. Er sagte etwas zu Andrej und lachte, und aus dem Wald hinter ihnen zischte ein Armbrustbolzen heran und traf ihn mitten in die Stirn. Dann brach die Hölle los. Noch während Andrej blitzschnell herumfuhr und das Schwert wieder aus dem Gürtel riss, zischten weitere Bolzen und Pfeile heran. Gleichzeitig stürmte eine Anzahl dunkel gekleideter Gestalten aus dem Unterholz, die die vollkommen überraschten Türken mit Speeren, Schwertern und Äxten angriffen. Fast die Hälfte der muselmanischen Krieger fiel unter dem ersten Angriff, bevor es dem Rest gelang, seine Waffen zu ergreifen und eine Verteidigung zu organisieren. Andrej stand volle zwei Sekunden lang reglos mit dem Schwert in der Hand da, ohne das irgendjemand auch nur Notiz von ihm zu nehmen schien, dann aber attackierten ihn gleich zwei der feindlichen Krieger. Andrej wehrte den Angriff des ersten mit einer reflexartigen Bewegung ab, die den Mann zurücktaumeln ließ, ohne ihn zu verletzen, dem zweiten versetzte er eine tiefe Stichwunde in den Unterarm, die ihn seine Waffe fallen ließ. Dann war plötzlich alles voller kämpfender Männer, Schreie, blitzender Waffen, und es blieb ihm keine Zeit mehr, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er wehrte ab, parierte, wich aus, konterte und griff seinerseits an, alles in einer einzigen, rasend schnellen Bewegung und ohne genau zu wissen, gegen wen er kämpfte oder warum eigentlich. Abu Dun war dicht neben ihm und er kämpfte mindestens so hart wie er, wenn nicht härter, denn er wurde nicht nur von den überraschend aufgetauchten Gegnern attackiert, sondern auch von den Türken, die ihn offensichtlich für einen Verräter hielten. Es stand nicht gut um ihn. Er schlug sich wacker, aber er hatte es gleich mit drei Gegnern zu tun; eine Übermacht, gegen die er auf Dauer nicht bestehen würde. Er blutete bereits aus einer tiefen Schnittwunde im Oberarm. Andrej hackte und schlug sich rücksichtslos zu ihm durch und erreichte ihn im buchstäblich allerletzten Moment. Irgendwie war es Abu Dun gelungen, zwei seiner Gegner mit einem einzigen Hieb des gewaltigen Krummschwertes zurückzutreiben, aber er konnte sich dabei gegen den dritten nicht mehr verteidigen. Der nutzte diese Schwäche, um einen tödlichen Stich nach Abu Duns Herzen zu führen. Andrej schmetterte die Klinge so knapp beiseite, das sie in der Abwärtsbewegung Abu Duns Gewand zerfetzte. Dann schleuderte er den Mann mit einem Tritt zurück und stellte sich hinter den Piraten. Sie kämpften Rücken an Rücken. Aber es war aussichtslos. Andrej begriff mit entsetzlicher Klarheit, das sie verlieren würden. Ganz gleich, welche Seite siegte, Abu Dun und er gehörten zu ihren Feinden. Er war noch nicht einmal sicher, wer den Sieg davontragen würde. Die Angreifer waren zahlenmäßig hoffnungslos überlegen. Der überraschende Angriff hatte den Türken schreckliche Verluste zugefügt - aber im Gegensatz zu den zerlumpten und schlecht ausgebildeten Bauern und Milizionären waren sie geübte Krieger, die ihr Handwerk verstanden und es leicht mit jeweils zwei oder auch drei Gegnern aufnahmen. Wer immer diesen Überfall geplant hatte, war dabei nicht sehr geschickt vorgegangen. Dann geschah etwas, das alles änderte. Andrej sah, wie einer der türkischen Krieger mit zerschmettertem Schädel zurücktaumelte und zusammenbrach. Hinter ihm trat eine riesenhafte Gestalt in einer blutfarbenen Rüstung aus dem Wald, die über und über mit Stacheln und eisernen Dornen gespickt war. In der Rechten hielt sie einen Morgenstern mit drei Kugeln; vielleicht nicht die wirkungsvollste, aber mit Sicherheit die furchteinflößendste Waffe, die Andrej kannte. Er starrte das Visier der blutroten Rüstung an. Es war der Drachenritter. Der Mann, der Abu Duns Schiff versenkt und seine gesamte Familie ausgelöscht hatte.