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Als er zu sich kam, war er an Händen und Füßen gefesselt. Er lag bäuchlings im Sattel eines Pferdes, vielleicht auch eines Maultiers, dem schwankenden Gang nach zu schließen. Man hatte ihm einen Sack über den Kopf gestülpt, sodass er nicht nur blind war, sondern auch nur mühsam atmen konnte. Wenigstens konnte er hören. Hufschläge, sehr viele Stimmen, die mannigfaltigen, einzeln kaum identifizierbaren Laute, die in ihrer Gesamtheit die typische Geräuschkulisse eines Trosses abgaben, manchmal ein Wortfetzen, den er verstand. In seiner Umgebung wurden verschiedene Sprachen gesprochen, was gewisse Rückschlüsse auf die Zusammensetzung lies Trupps zuließ, der die türkische Patrouille überfallen hatte. Eine sehr lange Zeit verging auf diese Weise. Aber Andrej wußte, wie sehr das Zeitgefühl eines Menschen getäuscht werden konnte. Plötzlich bemerkte er eine Veränderung. Der Tross wurde langsamer und die Geräusche hörten sich anders an. Die Hufschläge der Pferde riefen nun hallende Echos hervor, als brächen sie sich an steinernen Wänden und er hörte noch andere, neue Laute, die ihm verrieten, das sie eine Stadt erreicht hatten, vielleicht auch eine Burg. Kurz darauf hielten sie an. Andrej wurde unsanft vom Rücken des Tieres gezerrt und auf die Füße gestellt.
Jemand durchtrennte seine Fußfesseln Er konnte gehen, aber an einen Fluchtversuch war gar nicht zu denken. Mindestens zwei Männer hielten ihn und wie viele noch in seiner Nähe waren, war nicht auszumachen. Andrej wurde grob vorangestoßen und in ein Haus bugsiert, dann ging es eine steile Treppe hinunter und m einen kalten, muffig riechenden Raum. Ein dunkler, rötlicher Lichtschimmer durchdrang den groben Stoff der Kapuze, die man ihm übergestülpt hatte, und er tunte Metall klirren. Auch seine Handfesseln wurden durchtrennt, aber seine Arme wurden sofort von jeweils zwei kräftigen Händen gepackt und nach oben gezwungen. In seinem Rücken spürte er harten Stein. Seine Gelenke wurden weit über seinem Kopf mit eisernen Handfesseln angekettet. Erst danach rissen ihm seine Peiniger die Kapuze vom Kopf. Andrej blinzelte ein paar Mal. Nicht weit von seinem Gesicht entfernt brannte eine Fackel, deren Licht ihm unangenehm grell erschien, sodass er im ersten Moment kaum etwas sehen konnte. Immerhin erkannte er, das seine Einschätzung richtig gewesen war: Er befand sich in einem niedrigen Gewölbekeller, dessen Wände aus nur grob behauenem Felsgestein bestanden. Auf dem Boden lag übelriechendes Stroh und hoch unter der Decke gab es ein schmales Fenster, hinter dem aber kein Tageslicht zu sehen war. Abgesehen von ihm selbst befanden sich noch drei weitere Männer hier unten; zwei der zehn Soldaten, die die türkische Patrouille überfallen hatten, und der Drachenritter. Er stand in einigen, Abstand da und starrte ihn durch die Sehschlitze seiner unheimlichen Maske durchdringend an. Andrej hörte ein gedämpftes Stöhnen, drehte den Kopf nach links und sah, das das Kellerverlies Kroch einen weiteren Bewohner hatte: Abu Dun war neben ihm an die Wand gekettet. Er bot einen schrecklichen Anblick. In sich zusammengesunken wurde er nur noch von den eisernen Ringen um seine Handgelenke gehalten. Er war kaum noch bei Bewusstsein, und sein Gesicht zeigte, das man ihn schwer geschlagen hatte.
»Es ist gut.« Der Drachenritter machte eine befehlende Geste und die beiden Männer verließen hastig den Keller. Andrej kam es vor, als flüchteten sie aus der Nähe ihres Herrn. Der Drachenritter kam mit langsamen Schritten näher. Statt des Morgensterns trug er ein Schwert mit einer gezahnten Klinge im Gürtel, eine Waffe, die zum Verletzen und Verstümmeln gemacht zu sein schien. Im flackernden, roten Licht der Fackel sah seine Rüstung nun wirklich aus, als wäre sie in Blut getaucht worden. Einen Momentlang sah der Ritter Andrej an, dann schlenderte er fast gemächlich zu Abu Dun hin, legte die Hand unter sein Kinn und hob seinen Kopf an. Abu Dun stöhnte und versuchte die Augen zu offnen, aber seine Lider waren zugeschwollen. Der Ritter ließ sein Kinn los, kam auf Andrej zu und hob abermals die Hand. Andrej ahnte, was kommen würde, aber er versuchte nicht, sich zu wehren oder auch nur den Kopf zu drehen. Es wäre ohnehin zwecklos gewesen, und er wollte dem Drachenritter nicht die Genugtuung gönnen, ihn in Angst versetzt zu haben. Langsam drehte der Ritter die Hand. Andrej biss die Zähne zusammen, als einer der rasiermesserscharfe Dornen auf dem Rücken seines Handschuhs seine Wange aufriss. Warmes Blut lief über sein Gesicht. Der Ritter zog die Hand zurück, wartete einen Moment und wischte dann das Blut von seiner Wange. Die Augen hinter den schmalen Sehschlitzen weiteten sich.
»Tatsächlich«, sagte er. »Ich habe mich nicht getauscht«, Er schwieg einen Moment, dann ging er wieder zu Abu Dun hin und ritzte auch seine Wange. Der Pirat stöhnte vor Schmerzen, hatte aber wohl nicht einmal die Kraft, den Kopf zur Seite zu drehen.
»Nein«, sagte der Drachenritter. »Bei ihm funktioniert es nicht«
»Warum tust du das?«, fragte Andrej, »Macht es dir Spaß, Menschen zu quälen?«
»Ja«, antwortete der Ritter. »Das größte Vergnügen überhaupt. Obwohl ich nicht sicher bin, ob ihr überhaupt Menschen seid.« Er kam wieder näher. »Bei diesem Mohr natürlich schon, aber bei dir? Was bist du?«
»Mach mich los und gib mir eine Waffe, dann zeige ich es dir«, knurrte Andrej. »Oder mach mich einfach nur los. Das würde schon reichen.« Der Ritter lachte.
»Das werde ich nicht tun. Aber ich gebe dir mein Wort, das ich nicht versuchen werde, dich daran zu hindern, dich aus eigener Kraft zu befreien. Hast du schon einmal einen Fuchs gesehen, der in eine Falle gegangen ist? Manchmal beißen sie sich selbst die Pfote ab, um sich zu befreien. Ich frage mich, ob du das auch könntest. Und ob deine Hand vielleicht nachwachsen würde.«
»Du bist tatsächlich ein außergewöhnlich tapferer Mann«, höhnte Andrej. »Es gehört schon eine Menge Mut dazu, einen Mann zu verspotten, der hilflos an die Wand gekettet ist.«
»Ich bin tapfer«, antwortete der Drachenritter ruhig. »Aber nicht dumm. Welche Chance hätte ich schon gegen einen Mann, der nicht verletzt werden kann?« Andrej lachte, obwohl ihm ganz und gar nicht danach zumute war.
»Willst du mich foltern? Das hätte wenig Zweck.«
»Oh, ganz im Gegenteil«, antwortete der Drachenritter lachend. »Es würde vieles für mich vereinfachen. Dieses Bauernpack hält nicht viel aus. Ich brauche ständig neues Material und in Zeiten wie diesen ist es manchmal nichtleicht, ausreichend Nachschub zu bekommen. Du würdest dieses Problem für eine ganze Weile lösen. Ich könnte mich lange mit dir amüsieren. Sehr lange.«
»Willst du mir Angst machen?«, fragte Andrej.
»Nein«, antwortete der Drachenritter. »Ich werde dich morgen wieder aufsuchen, und bis dahin hast du Zeit, über meine Worte nachzudenken.«
»Welche Worte?«, fragte Andrej trotzig.
»Du hast ja noch gar nichts gesagt.«
»Dein Geheimnis«, sagte der Ritter.
»Ich will, das du es mich lehrst« Andrej lachte böse.
»Du musst wahnsinnig sein, wenn du glaubst, das ich einem Monster wie dir ein solches Geheimnis anvertrauen würde - selbst wenn ich es könnte.«
»Wahnsinnig ... Wer weiß? Aber das spielt für dich keine Rolle, nicht wahr? Du wirst reden, so oder so, alter ich mache dir ein für mich ungewohnt großzügiges Angebot. Ich verspreche einen schnellen und schmerzlosen Tod, wenn du redest. Er kann aber auch Tage dauern. Wochen, wenn du willst«