»Du willst mich foltern?« Andrej zwang sich zu einem Grinsen.
»Mach dich nicht lächerlich.«
»Wer spricht von dir?«, fragte der Drachenritter.
»Wie wäre es mit ihm?« Er deutete auf Abu Dun.
»Ich habe gerade von seinem Volk exquisite Tötungsarten gelernt, die ich gerne einmal an ihm ausprobieren wurde. Es liegt bei dir, oh ja, und selbstverständlich müsstest du dabei zusehen. Und außerdem: Hast du dich noch nicht gefragt, wo dein junger Freund geblieben ist?«
»Frederic?«, entfuhr es Andrej.
»Was ist mit ihm?«
»Frederic. Das ist also sein Name. Um deine Frage zu beantworten: Nichts. Es geht ihm gut. Noch.«
»Wenn du ihm etwas antust ...«
»... wirst du noch aus der Hölle zurückkommen und mich töten, ja, ja«, unterbrach ihn der Drachen - »Ich weiß. Aber es liegt ganz bei dir.«
»Ich kann dir nicht geben, was du willst«, sagte Andrej.
»Es ist nichts, was man lernen kann.«
»Dann stille wenigstens meinen Wissensdurst«, sagte der Drachenritter spöttisch.
»Schlaf eine Nacht darüber. Du musst die spartanische Unterkunft verzeihen, aber wir haben Krieg und in solchen Zeiten muss man manchmal auf den gewohnten Luxus verzichten. Wenn du irgendwelche Wünsche hast, klingle einfach nach dem Diener.« Er lachte noch einmal, drehte sich dann um und ging. Der Raum hatte keine Tür, sodass Andrej hören konnte, wie seine Schritte draußen auf der Treppe verklangen. Er blieb jedoch nicht lange allein. Es vergingen nur Augenblicke, bis er erneut Schritte hörte und einer der beiden Soldaten zurückkam. Er bedachte Andrej nur mit einem flüchtigen Blick, ging dann zu Abu Dun und hob seinen Kopf an. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Ausdruck von wachsendem Schrecken aus, als er Abu Duns zerschlagenes Antlitz betrachtete. »Gott im Himmel«, murmelte er erschüttert.
»Dieses ... Vieh.«
»Hast du keine Angst, das dein Herr hört, wie du über ihn sprichst?«, fragte Andrej.
»Teppesch?«
»Ist das sein Name? Der des Drachenritters?«
»Fürst Vladimir Teppesch«, bestätigte der Soldat.
»Aber er nennt sich selbst gerne Dracul. Du kannst ihn ruhig so ansprechen. Es macht ihm nichts aus. Ich glaube, es schmeichelt ihm. Er will, das die Menschen ihn fürchten.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf Abu Dun.
»Ist er ein Freund von dir?«
»Ja«, antwortete Andrej.
»Auch wenn er ein Araber ist.«
»Wir sind hier auf dem Balkan, da hat so ziemlich jeder ein bisschen morgenländisches Blut in seiner Ahnenreihe. Selbst Tepesch - aber das sollte man ihm besser nicht ins Gesicht sagen. Vielleicht würde er dann doch böse.« Erlegte den Kopf auf die Seite.
»Ich bin Vlad. Wie ist dein Name?«
»Andrej. Vlad?«.
»Eigentlich Vladimir«, antwortete Vlad achselzuckend.
»Aber seit Dracul über Burg Waichs und damit über die Walachei und ganz Transsylvanien herrscht, ist dieser Name nicht mehr besonders beliebt. Keine Sorge - der Name ist alles, was ich mit ihm gemein habe.«
»Und das du ihm dienst.«
»Die andere Alternative wäre, zu Draculs Kurzweil beizutragen.« Vlad zog eine Grimasse.
»Wo kommt ihr her, das ihr so wenig über ihn wisst. Er genießt einen gewissen Ruf.«
»Von ... ziemlich weit her«, antwortete Andrej ausweichend.
»Ich verstehe.« Vlad nickte.
»Du willst nicht darüber reden. Es geht mich auch nichts an. Brauchst du etwas? Ich kann dir Wasser bringen oder auch ein Stück Brot.«
»Ein Arzt für Abu Dun wäre gut.«
»Das ist unmöglich. Wenn Dracul davon erführe ...« Er schüttelte den Kopf. Andrej nahm sich das erste Mal die Zeit, Vlad genauer zu betrachten. Er war ein Mann schwer zu schätzenden Alters mit einem scharf geschnittenen, harten Gesicht und dunklen Augen, etwas größer als Andrej, aber auch deutlich schlanker. Er hatte einen wachen Blick, der einen schärferen Geist verriet, als sein zerlumptes Äußeres und seine Art, sich zu geben, vermuten ließen. Andrej traute ihm nicht - und wie konnte er? - aber er hütete sich auch, ihn gleich als erbitterten Feind einzustufen. Der Grat zwischen angezeigter Vorsicht und krankhaftem Misstrauen war schmal.
»Vielleicht könntest du tatsächlich etwas für mich tun«, sagte er.
»Da war ein Junge bei uns. Sein Name ist Frederic. Ich möchte wissen, was ihm geschehen ist.«
»Ich werde keine Fragen stellen«, sagte Vlad.
»Dabei verliert man zu schnell seine Zunge. Aber ich werde die Ohren offen halten. Vielleicht höre ich etwas.«
»Danke«, sagte Andrej.
»Und ein Schluck Wasser wäre vielleicht doch nicht schlecht.«
9
Vlad kam tatsächlich nach einiger Zeit zurück und brachte ihnen Wasser und ein kleines Stück Brot. Doch ansonsten blieben sie für den Rest der Nacht allein. Andrej schlief ein paar Mal ein, wachte aber immer wieder durch die Schmerzen auf, die durch die Art seiner Fesselung verursacht wurden. Seine Handgelenke schmerzten unvorstellbar. Jeder Muskel von seinen Schultern aufwärts war verkrampft und gefühllos. Was Abu Dun erleiden mochte, wagte er sich nicht einmal vorzustellen. Der Pirat hatte die ganze Nacht über hohes Fieber und fantasierte laut in seiner Muttersprache, aber als sich in dem kleinen Fenster über ihnen das erste Morgenlicht zeigte, erwachte er aus seinem Fiebertraum. Seine Augen waren dunkel vor Schmerz und sein Gesicht sah nun viel mehr grau als schwarz aus; aber zumindest schien er das Fieber überwunden zu haben.
»Hexenmeister«, murmelte er.
»Ich wollte, ich könnte sagen, das ich mich freue, dich zu sehen. Aber das wäre eine Lüge.« Er sprach so undeutlich, das Andrej Mühe hatte, ihn zu verstehen, denn seine Lippen waren unförmig geschwollen. Seine Zähne waren rot von seinem eigenen, eingetrockneten Blut.
»Und ich freue mich, das du noch lebst«, antwortete Andrej.
»Wahrscheinlich fragst du dich, warum«, nuschelte Abu Dun.
»Wenn du die Antwort gefunden hast, verrate sie mir. Ich habe noch nie gehört, das Tepesch einen Muslim am Leben gelassen hätte. Und wenn, hat sich dieser vermutlich gewünscht, er hätte es nicht getan.« Er versuchte sich aufzurichten und stieß einen keuchenden Schmerzenslaut aus, als die eisernen Fesseln in seine wundgescheuerten Handgelenke schnitten.
»Du wusstest also, wer er ist«, sagte Andrej.
»Ich habe von ihm gehört«, brachte Abu Dun stöhnend hervor.
»Der Schwarze Engel ist der schlimmste der Drachenritter. Aber ich wußte nicht, das er es ist. Es heißt, das nicht viele Menschen sein Gesicht bisher gesehen haben.«
»Woher weist du dann ...«
»Weil ich nicht taub bin«, unterbrach ihn Abu Dun.
»Ihr habt laut genug geredet.«
»Du hast den Bewusstlosen gespielt?«
»Das erschien mir angeraten«, antwortete Abu Dun.
»Es macht keinen Spaß, einen Mann zu quälen, der den Schmerz nicht spürt. Ich bin kein sehr tapferer Mann, habe ich dir das schon erzählt?«
»Du bist ein Lügner.« Abu Dun versuchte noch einmal, in eine andere Position zu gelangen, und diesmal schaffte er es.
»Ich hoffe, du überlegst dir deinen Standpunkt noch einmal. Ich bin nicht versessen darauf, Draculs Erfindungsreichtum kennen zu lernen.«
»Glaubst du etwa, er würde dich am Leben lassen?«, fragte Andrej. »Oder auch nur sein Wort halten?«
»Nein«, gestand Abu Dun nach kurzem Überlegen. Er rang sich ein gequältes Grinsen ab.
»Wenn du wirklich ein Hexenmeister bist, wäre jetzt vielleicht der Moment, ein paar deiner Zaubertricks vorzuführen.«
»Wenn ich zaubern könnte, wären wir nicht hier«, antwortete Andrej.