»Ich bitte dich, lieber Freund«, sagte er hämisch.
»So viel Vertrauen muss doch sein, oder? Ich meine, wo wir doch Freunde werden wollen.«
»Wo ist Frederic?«, fragte Andrej. Tepesch sah ihn einen Moment nachdenklich an und gab dann das Zeichen zum Aufbruch. Erst als sie sich in Bewegung gesetzt hatten, antwortete er auf Andrejs Frage.
»An einem sicheren Ort.«
»Sicher vor dir?«
»Auch«, bestätigte Tepesch ungerührt.
»Jedenfalls hoffe ich es.«
»Was soll das heißen?« Tepesch lachte.
»Das ich nicht genau weiß, wo er sich im Moment aufhält«, sagte er. »Ich bin nicht dumm. Und ich begehe nicht den Fehler, dich zu unterschätzen. Mein treuester Diener hat ihn weggebracht - an einen Ort, den selbst ich nicht kenne.«
»Burg Waichs?«, vermutete Andrej. Tepesch seufzte.
»Vlad redet zu viel«, sagte er.
»Er ist ein zuverlässiger Diener, aber seine Zunge sitzt zu locker. Vielleicht sollte ich sie ihm an den Gaumen nageln lassen ... nein, ich weiß nicht, wo er ist. Er wird zu mir gebracht, sobald ich Burg Waichs unbeschadet erreiche. Sollte mir hingegen etwas zustoßen ...«
»Ich verstehe«, sagte Andrej düster.
»Du musst große Angst vor mir haben.«
»Verwechsle Respekt nicht mit Angst«, sagte Tepesch.
»Ich habe gesehen, wozu du fähig bist.«
»Und wenn wir in einen Hinterhalt geraten?«.
»Dann wäre es um deinen jungen Freund geschehen, fürchte ich«, sagte Tepesch gleichmütig.
»Das Leben ist voller Risiken.« Andrej sagte nichts mehr. Er hatte nicht vor, sich von Tepesch in ein Gespräch verwickeln zu lassen, dessen Verlauf nicht er bestimmte. Der Mann war gefährlich. In jeder Beziehung. Trotzdem war er es, der das Schweigen wieder brach, nachdem sie eine Weile nebeneinanderher geritten waren.
»Es gibt da etwas, das du tun könntest, um mein Vertrauen zu gewinnen.«
»So? Und was?« Tepesch klang nicht sonderlich interessiert. Er drehte nicht einmal den Kopf.
»Abu Dun.« Andrej deutete auf den Piraten, der mit einem Ausdruck leiser Überraschung den Blick hob, als er seinen Namen hörte.
»Lass ihn frei.«
»Und warum sollte ich das tun?«
»Er ist dir nicht von Nutzen«, sagte Andrej.
»Nur ein Gefangener mehr, auf den du Acht geben musst.«
»Das stimmt«, sagte Tepesch.
»Vielleicht sollte ich ihn töten lassen.«
»Lass ihn frei«, beharrte Andrej.
»Lass ihn gehen und wir reden.«
»Du meinst das ernst«, sagte Tepesch in erstauntem Ton.
»Ich hätte nicht gedacht, das du so billig zu haben bist.«
»Du weißt nicht, wovon du sprichst«, sagte Andrej.
»Selbst wenn ich dir gebe, was du von mir erwartest, wäre der Preis höher, als du dir auch nur vorstellen kannst.«
»Ich kann mir eine Menge vorstellen«, sagte Dracul.
»Aber gut, ich bin heute großzügig. Der Heide kann gehen: Früher oder später schneidet ihm sowieso jemand die Kehle durch.«
»Dann mach ihn los«, verlangte Andrej.
»Jetzt?« Tepesch schüttelte den Kopf.
»Mit dem türkischen Heer auf den Fersen? Das wäre nicht klug. Er wird freigelassen, sobald wir Petershausen erreichen. Darauf hast du mein Wort.«
»Und was ist dein Wort wert?«, fragte Andrej. Tepesch lachte böse. »Ich würde sagen: Mindestens so viel wie deines. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.« Sie ritten bis spät in die Nacht hinein und machten auch dann nur eine kurze Rast, gerade ausreichend um die Pferde zu tränken und den Männern Gelegen heit zu geben, sich die Beine zu vertreten und ihre steig gesessenen Glieder zu recken, dann ritten sie weiter Andrej war sicher, das sie ohne längere Rast durch reiten würden, bis sie Petershausen erreichten; was frühestens um die Mittagsstunde des nächsten Tage der Fall sein würde. Draculs Furcht vor der heran rückenden türkischen Armee schien größer zu sein als er zugab. Möglicherweise hatte er einen guten Grund dafür. Es mußte Mitternacht sein, als Andrej sich im Sattel herumdrehte und nach Osten zurücksah, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Horizont glühte in einem dunklen Rot. Etwas brannte. Etwa Großes. Vielleicht nur das Heerlager der Türken, dessen Lagerfeuer den Himmel erhellte. Vielleicht auch Rettenbach. Die Nacht zog sich dahin. Als der Morgen graute, legten sie eine zweite, etwas längere Rast ein, in de Tepesch Andrejs erneute Bitte, Abu Dun sofort frei zulassen, wiederum abschlug. Sie ritten weiter und e: reichten am frühen Nachmittag die bewaldeten Hügel um Petershausen am Oberlauf des Flusses Arges, nicht weit entfernt von Poenari, auf dessen steilen Felsen der Walachen-Fürst gerade eine neue mächtige Burg errichten ließ, wie Andrej gehört hatte. Aber vielleicht war das auch nur ein Gerücht, das Tepesch in die Welt gesetzt hatte, um seine Feinde zu beeindrucken. Die Stadt Petershausen zumindest war real; sie war deutlich größer als Rettenbach und von einer wehrhaften, gut fünf Meter hohen Mauer umgeben, in die drei gewaltige Rundtürme eingebettet waren. Dahinter, schon fast an der Grenze des überhaupt noch Erkennbaren, erhob sich der düstere Umriss einer mittelgroßen Burg; Waichs, Vladimir Tepeschs gefürchteter Stammsitz. Als sie sich dem Tor näherten, zügelte Andrej sein Pferd und sah Tepesch auffordernd an.
»Abu Dun.« Auch Dracul hielt an. Andrej war schon fast überzeugt, das er sich nur einen seiner grausamen Scherze mit ihm erlaubte, aber dann nickte er und machte eine befehlende Geste.
»Bindet ihn los. Er kann gehen. Niemand wird ihn anrühren, habt ihr gehört?« Nicht nur Andrej war überrascht, als Vlad sein Pferd an das des Piraten heranlenkte und seine Handfesseln durchtrennte. Abu Dun riss ungläubig die Augen auf und starrte abwechselnd seine Hände, Tepesch und Andrej an. Er hatte sichtlich Mühe, zu glauben, was er sah.
»Worauf wartest du, Heide?«, herrschte Tepesch ihn an.
»Verschwinde. Reite zu deinen Brüdern und sag ihnen, das ich auf sie warte.«
»Das ... möchte ich nicht«, sagte Abu Dun stockend.
»Wie?« Tepesch legte lauernd den Kopf auf die Seite. Abu Dun sah nicht ihn, sondern Andrej an.
»Ich bleibe bei dir.«
»Was soll denn dieser Unsinn?«, fragte Andrej.
»Es ist kein Unsinn«, antwortete Abu Dun. Er versuchte, gleichmütig zu wirken, aber seine Stimme klang ein ganz kleines bisschen brüchig und er konnte nicht verhindern, das sein Blick immer wieder in Draculs Richtung irrte.
»Schließlich haben wir eine Abmachung.«
»Du bist verrückt«, sagte Andrej.
»Aber Andrej«, mischte sich Tepesch ein.
»Du wirst doch deinem Freund diesen Wunsch nicht abschlagen? Ich bin enttäuscht.« Er richtete sich im Sattel auf und sprach mit lauterer Stimme weiter.
»Ihr habt es alle gehört! Der Mohr ist mein Gast und ihr werdet ihn als solchen behandeln!« Andrej starrte Abu Dun an und zweifelte für einen Moment ernsthaft an dessen Verstand. Sie in diese Stadt zu begleiten bedeutete Abu Duns sicheren Tod. Bildete sich der ehemalige Sklavenhändler tatsächlich ein, das Tepesch ein Mann von Ehre war? Andrej war sicher, das Dracul nicht einmal wußte, was dieses Wort bedeutete.
»Vlad, du wirst mit den anderen weiterreiten«, fuhr Tepesch fort. »Ich sorge dafür, das unsere Gäste standesgemäß untergebracht werden. Dann folge ich euch.« Vlad zögerte. Er wirkte regelrecht bestürzt.
»Herr, seid Ihr sicher, das ...« Tepesch starrte ihn an, und Vlad verstummte und senkte hastig den Blick.
»Wie Ihr befehlt.« Er drehte hastig sein Pferd herum und sprengte los. Der Rest der kleinen Truppe folgte ihm. Für einen Augenblick waren sie allein. Zwar nur wenige Meter von der Stadtmauer entfernt, aber allein und nicht einmal gefesselt.