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»Ich weiß, was jetzt hinter deiner Stirn vorgeht«, sagte Dracul.

»Zweifellos bist du dazu fähig, mich anzugreifen und zu töten, bevor mir jemand aus der Stadt zu Hilfe eilen könnte, obwohl ich bewaffnet bin und du nicht. Wirst du es tun?«

»Du bist wahnsinnig«, sagte Andrej.

»Mag sein.« Tepesch deutete auf das offen stehende Stadttor Petershausens.

»Tu es oder reite dort hinein. Meine Zeit ist knapp.« Warum tat er es nicht? Andrej war ganz und gar nicht sicher, das er tatsächlich in der Lage gewesen wäre, den gut bewaffneten und gepanzerten Drachenritter in so kurzer Zeit zu überwältigen. Selbstverständlich würde die Torwache sofort Alarm schlagen; die Männer blickten schon jetzt misstrauisch in ihre Richtung. Er ließ einige Augenblicke verstreichen, dann wendete er sein Pferd und ritt auf das Stadttor zu. Unter dem gemauerten Torbogen hielten sie an und stiegen aus den Sätteln. Zwei Männer in Kettenhemden traten ihnen mit langen Spießen entgegen, hielten aber respektvollen Abstand - wenn auch eher zu ihrem Herrn als zu Andrej und Abu Dun. Tepesch mußte den Kopf senken, um nicht in dem Torbogen anzustoßen, machte aber keine Anstalten abzusteigen, sondern gestikulierte zu den beiden Wachen hin.

»Bringt die beiden in den Turm«, sagte er.

»Ich bin gleich zurück und will dann mit ihnen reden.«

»Turm?«

»Keine Sorge«, antwortete Dracul.

»Es klingt schlimmer, als es ist.« Die beiden Wächter führten sie eine steile Treppe hinauf in eine winzige, karg eingerichtete Kammer, die im oberen Stockwerk des massigen Turmes lag. Sie wurden nicht angekettet und auch vor dem schmalen Fenster gab es keine Gitter, aber als die Tür hinter ihnen geschlossen wurde, konnten sie das Geräusch eines schweren Riegels hören, der vorgelegt wurde. Darauf achtete Andrej aber kaum. Die Tür war noch nicht ganz geschlossen, da fuhr er herum und fauchte Abu Dun an:

»Was zum Teufel ist in dich gefahren?«

»Ich verstehe nicht«, behauptete Abu Dun.

»Du verstehst ganz genau, wovon ich spreche!« Andrej mußte sich beherrschen, um nicht zu schreien.

»Was soll dieser Irrsinn? Wieso bist du hier?« Abu Dun ging zum Fenster und beugte sich neugierig hinaus.

»Das sind gute zehn Meter«, sagte er.

»Und die Wand ist glatt. Trotzdem könnte man es schaffen.«

»Abu Dun!«, sagte Andrej scharf.

»Nur, was würde es nutzen?«, sinnierte Abu Dun.

»Dort draußen wird es spätestens in zwei Tagen von den Kriegern des Sultans wimmeln.« Er drehte sich herum, lehnte sich neben dem Fenster an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wusstest du, das zwei der Krieger entkommen sind?«

»Welche Krieger?«

»Türken der Patrouille, die Draculs Männer überfallen haben«, erklärte der Pirat.

»Zwei von ihnen sind entkommen, mindestens. Ich würde dort draußen keinen Tag überleben.«

»Oh«, sagte Andrej.

»Sie haben gesehen, wie wir Rücken an Rücken gegen ihre Brüder gekämpft haben, Deläny. Ich bin jetzt ein Verräter. Schlimmer als ein Feind. Jeder einzelne Mann des Heeres würde mir ohne zu zögern die Kehle durchschneiden.«

»Tepesch wird dich ebenfalls töten«, sagte Andrej.

»So wie dich«, fügte Abu Dun hinzu.

»Sobald er hat, was er von dir will.«

»Ich weiß«, sagte Andrej.

»Aber ich habe einen Grund, dieses Risiko einzugehen. Frederic.« Abu Dun sah ihn auf sonderbare Weise an.

»Man könnte meinen, er wäre wirklich dein Sohn.«

»Irgendwie ist er das auch«, murmelte Andrej, »in einem gewissen Sinne.« Er sah sich unschlüssig in der kleinen Kammer um. Es gab kein Bett, aber einen Tisch mit vier niedrigen Schemeln. Er ging hin und setzte sich auf einen davon, ehe er fortfuhr:

»Auf jeden Fall ist er alles, was ich noch habe.«.

»Vielleicht ist er mehr, als gut für dich ist«, sagte Abu Dun ernst.

»Der Junge ist böse, Andrej, begreif das endlich.«

»Das ist er nicht!«, widersprach Andrej heftig.

»Er ist jung. Er weiß es nicht besser. Er braucht jemanden, der ihn leitet.«

»Ich glaube, er hat ihn gefunden«, sagte Abu Dun.

»Ich weiß nicht, wen ich mehr bedauern soll - Fürst Tepesch oder ihn.«

»In einem Punkt gebe ich dir Recht«, sagte Andrej.

»Dracul ist eine Gefahr für ihn. Ich muss ihn aus den Klauen dieses Ungeheuers befreien. So schnell wie möglich.« Abu Dun stieß sich von der Wand ab und kam mit langsamen Schritten näher. Er setzte sich nicht, sondern blieb mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Tisches stehen und sah auf Andrej hinab, und Andrej fragte sich, ob er wohl wußte, wie drohend und einschüchternd er in dieser Pose wirkte.

»Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, das es Menschen gibt, die einfach böse geboren werden?«, fragte er.

»Einen davon kenne ich«, sagte Andrej, aber Abu Dun verstand die spitze Bemerkung nicht einmal.

»Und deshalb hast du dich also entschieden, bei mir zu bleiben und auf mich aufzupassen«, fuhr Andrej böse fort.

»Ich verrate dir ein Geheimnis: Ich brauche keinen Leibwächter. Man kann mich nicht verletzen.«

»Schade«, sagte Abu Dun.

»Wäre es so, dann würde ich dich jetzt windelweich prügeln. So lange, bis du endlich Vernunft annimmst.« Er atmete hörbar ein, schwieg einen Moment und ließ sich dann auf einen der kleinen Hocker sinken. Das Möbelstück ächzte unter seinem Gewicht.

»Lass uns aufhören, miteinander zu streiten«, sagte er.

»Das führt zu nichts.«

»Ich habe nicht damit angefangen«, behauptete Andrej trotzig. Es klang so sehr nach einem verstockten Kind, das er selbst lachen mußte. Auch Abu Dun lachte leise, aber seine Augen blieben ernst. »Uns bleibt nicht viel Zeit«, sagte er nach einer Weile, jetzt aber in versöhnlichem Ton.

»Ich kenne Selics Pläne nicht, aber ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Im Moment ist es hier noch scheinbar friedlich, aber das ist ein Trugbild. In zwei, spätestens drei Tagen versinkt dieses Land im Chaos. Ich weiß nicht, ob Selic diese Stadt des Eroberns für wert hält. Ich täte es nicht. Aber selbst wenn er Petershausen ungeschoren lässt, werden seine Krieger das Land ringsum besetzen.«

»Und?«, fragte Andrej.

»Noch können wir fliehen«, sagte Abu Dun.

»Fliehen? Und wohin?«

»Nach Westen«, antwortete Abu Dun.

»Waren all deine Racheschwüre nur Gerede? Wir suchen diesen verdammten Inquisitor. Und wenn schon nicht ihn, dann das Mädchen. Oder war auch das nur so dahingesagt?«

»Welches ...« Andrej ballte die Hand zur Faust.

»Frederic«, murmelte er.

»Er redet zu viel. Ich habe ein- oder zweimal über sie gesprochen. Und ich habe niemals gesagt, das sie mir etwas bedeutet.«

»Du hättest deine Augen sehen sollen, als die Rede auf Maria kam«, sagte Abu Dun grinsend.

»Du liebst sie, habe ich Recht?« Andrej schwieg. Er hatte sich diese Frage bisher nicht gestellt. Vielleicht, weil er Angst vor der Antwort hatte. Es war lange her, das er die Frau, der er sein Herz geschenkt hatte, zu Grabe getragen hatte, und er hatte sich damals geschworen, sich dem süßen Gift der Liebe nie wieder hinzugeben. Der Preis war zu hoch. Selbst wenn sie ein Menschenleben währte, der Schmerz über den Verlust dauerte länger, so unendlich viel länger. Trotzdem verging kein Tag, an dem er nicht mindestens einmal an Maria dachte. Das Schicksal hatte sich einen besonders grausamen Scherz mit ihm erlaubt. Der Schmerz war bereits da. Er bezahlte den Preis, ohne die Gegenleistung dafür bekommen zu haben.

»Wenn du ihn nicht jagst, ich tue es auf jeden Fall«, sagte Abu Dun. »Der Kerl hat nicht nur deine Familie ausgelöscht. Er hat auch meine Männer getötet und mich betrogen.«

»Warum gehst du dann nicht ohne mich?«