»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Andrej.
»Zuerst einmal, das ich mich freue zu sehen, das du meine Gastfreundschaft offensichtlich hoch zu schätzen weißt, Andrej Deläny«, antwortete Tepesch.
»Sonst wärst du ja wohl kaum freiwillig zurückgekommen, oder?« Er stand auf. Es klirrte, als er die Beine aus dem Bett schwang und sich aufrichtete. Andrej drehte sich ganz langsam herum. Vlad und Abu Dun hatten hinter ihm den Raum betreten. Abu Dun wirkte alarmiert, während auf Vlads Gesicht nicht die mindeste Regung zu erkennen war.
»Warum?«, fragte Andrej leise. Bevor Vlad antworten konnte, tat Tepesch es.
»Du tust ihm Unrecht, Deläny. Er hat dich nicht verraten.« Andrej sah ihn zweifelnd an, aber Tepesch wiederholte sein Kopfschütteln und wandte sich direkt an Vlad.
»Wie lange bist du jetzt bei mir, mein Freund? Drei Jahre? Fünf? Wie auch immer, glaubst du wirklich, ich hätte nicht gewusst, das in dieser Zeit nicht ein Tag vergangen ist, an dem du mir nicht den Tod gewünscht hast? Ich wußte, das du der Versuchung nicht würdest widerstehen können.«
»Und du hast trotzdem in Ruhe abgewartet, das er mich hierher bringt?« Andrej hob sein Schwert.
»Das war sehr dumm, Tepesch. Ich werde dich töten.« Er begann um das Bett herumzugehen, und Tepesch stellte endlich den Trinkbecher aus der Hand und zog stattdessen sein Schwert, wich aber gleichzeitig um einige schnelle Schritte vor ihm zurück.
»Hast du Angst, Dracul?« Andrej lachte böse.
»Der Herr der Schmerzen, der Drache, hat Angst?«.
»Nein«, antwortete Tepesch.
»Nur scheint mir der Kampf ein wenig unfair. Ich kann dich nicht besiegen. Ich habe nichts gegen einen Kampf - aber dann sollte er auch wirklich fair sein!« Andrej sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln, wirbelte herum - und erstarrte für eine Sekunde vor Schrecken. Wie aus dem Nichts war eine riesige Gestalt in einem golden schimmernden Brustharnisch hinter ihm erschienen. Körber.
»Ihr hattet Recht, Fürst«, sagte der Vampyr, an Tepesch gewandt, aber ohne Andrej auch nur einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen.
»Er war tatsächlich dumm genug, hierher zu kommen.« Andrej bewegte sich vorsichtig ein paar Schritte rückwärts und versuchte, Tepesch und Körber dabei gleichzeitig im Auge zu behalten. Tepesch folgte ihm, wenn auch langsam und in respektvoller Distanz, aber Körber rührte sich nicht von der Stelle.
»Ich pflege meine Versprechen normalerweise zu halten«, sagte Dracul.
»So oder so.« Er griff so schnell an, das es ihm um ein Haar gelungen wäre, Andrej zu überrumpeln. Erst im letzten Moment brachte er sein Schwert hoch, parierte den Angriff des Drachenritters und schlug blitzschnell zurück. Er traf sogar, aber seine Waffe prallte Funken sprühend von der Rüstung des Ritters ab. Die pure Wucht des Schlages ließ Dracul zurücktaumeln, aber er war nicht verletzt. Andrej wirbelte herum. Sein Schwert vollzog die Bewegung am Ende eines glitzernden tödlichen Dreiviertelkreises nach und kam nur eine Handbreit vor Körbers Gesicht zum Stillstand. Der Vampyr hatte den Moment der Unaufmerksamkeit genutzt und stürmte heran. Kein anderer Gegner hätte schnell genug reagiert, um sich nicht selbst an Andrejs Klinge aufzuspießen, aber Körber schaffte es, sich mitten in der Bewegung zu stoppen. Er hätte fast das Gleichgewicht verloren, prallte gegen die Wand und rollte sich blitzschnell zur Seite. Andrejs Schwert schlug Funken in die Wand neben seinem Gesicht.
Körber warf sich mit einem Keuchen noch einmal herum und verlor endgültig die Balance. Er fiel nicht, sank aber auf die Knie und war für einen Moment hilflos. Andrej setzte ihm nach, rammte ihm das Knie ins Gesicht und registrierte voll grimmiger Befriedigung das spritzende Blut, als Körbers Nase brach. Der Vampyr mochte nahezu unsterblich sein, aber er war weder immun gegen Schmerz noch gegen die Gesetze der Physik. Er schrie auf, sein Hinterkopf prallte mit einein trockenen Laut gegen die Wand, und für eine kurze Zeit war er so benommen, das er das Schwert sinken ließ. Andrej sprang rasch einen halben Schritt zurück und hob sein Schwert, um den Vampyr zu enthaupten, aber ein dünner, blendend greller Schmerz bohrte sich zwischen seine Schulterblätter in seinen Rücken und ließ ihn vor Qual aufschreien. Haltlos taumelte er gegen die Wand, glitt daran herab und drehte sich halb herum. Er ahnte die Bewegung mehr, als er sie sah, warf instinktiv den Kopf zur Seite und die tödlichen Dornen auf Tepeschs Handschuhen, die diesmal nach seinen Augen zielten, rissen nur seine Schläfe auf.
Andrej griff instinktiv zu, verdrehte Draculs Arm und stieß ihn von sich. Einer der schrecklichen Dornen durchstieß seine Hand und peinigte ihn mit einem weiteren, lodernden Schmerz, aber er ignorierte ihn und stieß Tepesch mit so großer Wucht von sich, das er noch zwei Schritte haltlos rückwärts taumelte und dann mit einem gewaltigen Scheppern zu Boden fiel. Noch bevor er sich wieder hochstemmen konnte, waren Abu Dun und Vlad über ihm. Andrej blieb keine Zeit, den Kampf zu verfolgen. Körber hatte die winzige Atempause genutzt, um wieder auf die Beine zu kommen und seine Waffe aufzunehmen. Andrej hatte in den nächsten Sekunden genug damit zu tun, dem Hagel von Hieben und Stichen auszuweichen, den der Vampyr auf ihn niederprasseln ließ. Mit zwei fast ungezielten, aber wuchtigen Schlägen verschaffte er sich Luft, sprang ein paar Schritte zurück und suchte mit gespreizten Beinen nach festem Stand. Körber verzichtete jedoch darauf, ihm sofort nachzusetzen, sondern blieb stehen und schien sich zu sammeln. Bei jedem anderen Gegner wäre Andrej jetzt sicher gewesen, das dieser einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Nicht so bei Körber. Andrejs Arme und Schultermuskeln schmerzten noch immer. Körbers Schläge waren unglaublich hart gewesen. Der Vampyr war viel stärker als er, und er erholte sich auch deutlich schneller. Die Wunde in Andrejs Gesicht hatte sich schon wieder geschlossen, aber seine Hand blutete noch immer. Körbers zertrümmerte Nase war bereits wieder unversehrt. Der Vampyr schien über ungleich größere Kraftreserven zu verfügen. Spätestens in diesem Moment begriff Andrej, das er den Kampf verlieren würde. Er konnte es in Körbers Augen lesen. Der Vampyr war stärker als er, schneller, er war der bessere Schwertkämpfer und er war ungleich erfahrener. Und das Entsetzlichste von allem war vielleicht diese Erkenntnis: Er würde den Kampf selbst dann verlieren, wenn er ihn gewann.
Er sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und hörte einen Schrei und das helle Klirren von aufeinander prallendem Metall; Vlad oder Abu Dun, vielleicht auch beide, die mit Tepesch kämpften. Andrej widerstand dem Impuls, auch nur einen Blick in ihre Richtung zu werfen, aber schon die winzige Ablenkung, die dieser bloße Gedanke bedeutete, schien Körber zu genügen, um sich einen Vorteil auszurechnen. Möglicherweise zu Recht. Andrej sah den Angriff kommen, reagierte auf die Art, die ihm bei einem so starken und erfahrenen Gegner wie Körber angemessen schien: Er versuchte nicht, seinen Hieb aufzufangen oder auch nur zu parieren, sondern tänzelte leichtfüßig zur Seite und hob sein Schwert gerade weit genug, um Körbers Klinge an seiner eigenen entlanggleiten zu lassen, sodass die immense Kraft seines Hiebes einfach verpuffte. Im letzten Moment machte er eine kreiselnde Bewegung mit dem Schwert, die Körber eigentlich die Gewalt über seine Waffe verlieren lassen und ihm das Schwert aus der Hand prellen sollte. Körber schien jedoch auch dies vorausgesehen zu haben, denn er konterte mit einer ähnlichen, aber viel komplizierteren und schnelleren Bewegung, und plötzlich war es Andrej, der darum kämpfen mußte, nicht entwaffnet zu werden. Mit einem fast schon verzweifelten Satz brachte er sich in Sicherheit, konnte aber nicht verhindern, das Körber ihm eine lange, heftig blutende Schnittwunde am Unterarm beibrachte. Mit einem zweiten Schritt bewegte er sich vollends außer Reichweite des Vampyrs und wechselte das Schwert für einen Moment von der rechten in die linke Hand. Er kämpfte mit links beinahe ebenso gut wie mit rechts.