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»Bist du deshalb zu einem solchen Ungeheuer geworden?«, fragte Andrej.

»Du hältst mich für ein Ungeheuer?« Tepesch wirkte nachdenklich. »Ja, ich glaube, viele halten mich dafür. Vlad, den Pfähler - so nennen sie mich, glaube ich.«

»Das habe ich auch gehört«, sagte Andrej spöttisch.

»Obwohl ich mir gar nicht vorstellen kann, wieso.«

»Hast du dich nie gefragt, warum ich das tue?«, fragte Tepesch.

»Weil du krank bist?«, schlug Andrej vor.

»Weil Schmerz der Schlüssel ist«, antwortete Tepesch.

»Vlad, der Zigeuner, hat die Wahrheit gesagt, als er behauptet hat, alles über dein Volk zu wissen, was es zu wissen gibt, Deläny. Es ist der Tod, der einen Menschen zu dem macht, was ihr seid. Tod und Schmerz. Nur, wer die vollkommene Qual kennen gelernt und den Tod berührt hat, kann die Unsterblichkeit erringen.« Andrej starrte sein Gegenüber vollkommen fassungslos an.

»Das ist ...«

»... die Wahrheit!«, unterbrach ihn Tepesch.

»Und du weißt es! So wurdest du zu dem, was du bist, und der junge auch. Du wurdest krank und bist gestorben, und Frederic wurde schwer verbrannt, bevor er starb. Ihr beide wart dem Tode so nahe, wie es nur möglich ist. Das ist das Geheimnis! Deshalb erforsche ich den Schmerz! Wann ist ein Mensch dem Tode näher als im Augenblick der höchsten Qual, wenn er sich wünscht, zu sterben, um endlich erlöst zu werden - und sich zugleich noch immer an das Leben klammert, trotz aller Qual, trotz aller Furcht und Verzweiflung? Wann sind Leben und Tod enger beisammen als in diesem Moment?« Andrej war erschüttert. Aus Tepeschs Worten sprach nichts anderes als der blanke Wahnsinn, aber zugleich auch eine grässliche Wahrheit.

»Wie viele Menschen hast du deshalb zu Tode gequält, du Wahnsinniger?«, fragte er.

»Welche Rolle spielt das?«, fragte Tepesch.

»Wie viele Männer hast du getötet, Deläny?«

»Das ist etwas anderes«, sagte Andrej, aber Tepesch lachte nur. Wann hatte es je Sinn gehabt, mit einem Wahnsinnigen zu diskutieren?

»Ach?«, fragte Tepesch.

»War es das? Natürlich, es ist etwas anderes, es selbst zu tun, und Ausreden und Gründe sind schnell zu finden. Du bist nicht besser als ich, Deläny. Wir beide haben Menschen getötet und es spielt keine Rolle, warum wir es getan haben. Sie sind tot, das allein zählt.«

»Dann habe ich einen Vorschlag für dich«, sagte Andrej böse.

»Lass uns zusammen in deinen Folterkeller gehen, und wir finden heraus, ob du Recht hast.«

»Du glaubst, ich würde den Schmerz fürchten?« Tepesch lachte.

»Du Dummkopf! Wie könnte ich zu einem Meister der Pein werden, ohne sie zu kennen und zu lieben?« Er zog einen schmalen, doppelseitig geschliffenen Dolch aus dem Gürtel, schlug den linken Ärmel seines weißen Hemdes hoch und begann, einen doppelt fingerbreiten Streifen Haut von seiner Schulter bis zum Ellbogengelenk abzuschälen. Seine Mundwinkel zuckten vor Qual, aber über seine Lippen kam nicht der mindeste Schmerzenslaut.

»Du bist ja wahnsinnig«, flüsterte Andrej.

»Vielleicht«, sagte Tepesch. Hellrotes Blut lief an seinem Arm hinab und tropfte am Handgelenk hinunter zu Boden. Er lachte. Langsam steckte er das Messer ein und kam näher.

»Aber was ist schon Wahnsinn? Was ist ein Menschenleben wert, Deläny? Ist dein Leben mehr wert als meines, oder meines weniger als das deines Freundes?« Er schüttelte heftig den Kopf.

»Hattest du ein größeres Recht zu leben als der Mann, vor dem ich dich gerettet habe?« Andrejs Hände begannen zu zittern. Er konnte sich kaum mehr zurückhalten, sich auf Tepesch zu stürzen, die Hände um seinen Hals zu legen und zuzudrücken. Nein. Mehr. Plötzlich erwachte eine düstere, furchtbare Gier ihn ihm. Er wollte ....... ihn packen. Ihn an sich reißen und die Zähne in seinen Hals schlagen. Seine Haut und sein Fleisch zerreißen und sein süßes Blut trinken, das verruchte Leben aus seinem Leib saugen, um ... Es kostete ihn unvorstellbare Mühe, einfach stehen zu bleiben. Dracul stand jetzt fast unmittelbar vor ihm. Der Geruch seines Blutes, süß, klebrig, düster und zugleich unvorstellbar verlockend, schien überall zu sein, trieb ihn fast in den Wahnsinn. Er hob die Hände, unfähig, die Bewegung zu unterdrücken. Tepeschs Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Speichel sammelte sich unter seiner Zunge und lief in dünnen, klebrigen Fäden aus seinen Mundwinkeln und an seinem Kinn hinab. Er vernahm einen tiefen, dumpfen Laut, ein Geräusch wie das drohende Knurren eines Wolfes, und er begriff mit ungläubigem Entsetzen, das dieser Laut aus seiner eigenen Kehle kam. Tepeschs Augen leuchteten auf und Andrej packte ihn, riss ihn mit brutaler Kraft an sich, seine Zähne näherten sich seiner Kehle Und dann stieß er Tepesch mit solcher Gewalt von sich, das er quer durch den Raum geschleudert wurde und so wuchtig gegen die Wand neben der Tür prallte, das er mit einem Schmerzensschrei zu Boden ging. Auch Andrej taumelte rücklings gegen die Wand und sank zitternd in die Knie. In ihm tobte ein Kampf. Die Gier war noch immer da, schlimmer als je zuvor, ein tobendes Ungeheuer, das seinen Willen zu einem wimmernden Nichts degradierte und für nichts anderes Platz ließ als den Wunsch - den Befehl! - sich auf Tepesch zu stürzen und ihn zu zerreißen. Eine Gier, die ihn entsetzte und erschreckte und ihn vor Ekel aufschreien ließ. Er nahm seine Umgebung wie durch einen blutigen Nebel wahr. Von weit her sah er, wie die Tür aufgestoßen wurde und Männer hereingestürmt kamen, angelockt durch seinen eigenen und Tepeschs Schrei. Dracul rief etwas, was er nicht verstand, und die Männer blieben stehen, dann senkte sich der rote Nebel auch über diese Bilder und er trieb durch eine brodelnde Unendlichkeit, die aus nichts anderem als schierer Qual und unbefriedigter Gier zu bestehen schien. Schließlich obsiegten Erschöpfung und Schwäche. Er sank zurück und das brodelnde Feuer in seinem Inneren erlosch, weil es sich selbst verzehrt hatte. Die Anstrengung, den Kopf zu drehen und die Lider zu heben, überstieg den winzigen Rest von Kraft, der noch in ihm war. Tepesch lag neben ihm auf den Knien. Die große Wunde auf seinem Arm blutete noch immer; es konnte nicht viel Zeit vergangen sein. Sie waren wieder allein. Andrej sah aus den Augenwinkeln, das die Tür offen stand, aber die Wachen waren fort.

»Warum wehrst du dich?«, fragte Tepesch.

»Warum weigerst du dich, anzunehmen, was du bist?«

»Du ... Narr«, murmelte Andrej.

»Willst du ... sterben? Geh ... solange du es ... noch kannst.«

»Du brauchst keine Furcht zu haben«, sagte Tepesch.

»Dem Jungen wird nichts geschehen, und dir auch nicht. Ich habe meinen Männern befohlen, euch gehen zu lassen, sollte ich sterben.« Andrej antwortete nicht. Er konnte es nicht. Schwäche hüllte ihn ein wie etwas Schweres, Greifbares, etwas, das ihn in einen Abgrund reißen und verzehren wollte. Und in ihm, tief, unendlich tief in ihm, war noch immer diese fürchterliche Gier, etwas, vor dem er entsetzliche Angst und noch größeren Abscheu empfand und das doch zu ihm gehörte. Tepesch stand auf und entfernte sich ein paar Schritte. Andrej hörte ein Scharren, dann das Reißen von Stoff. Es verging eine geraume Weile, bis er sich aufsetzen und Tepesch ansehen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich sofort auf den Fürsten zu stürzen und ihm den Kehlkopf durchzureißen. Tepesch hatte sich auf einen Stuhl sinken lassen und ein paar Streifen aus seinem Hemd gerissen, um sich selbst einen notdürftigen Verband anzulegen. Obwohl die Wunde nicht sehr tief war, war sie doch großflächig und blutete stark, denn auch der Verband hatte sich bereits wieder dunkelrot gefärbt. Als er Andrejs Blick auf sich ruhen spürte, drehte er sich zu ihm herum und lächelte dünn.

»Verzeiht meine Schwäche, Deläny«, sagte er spöttisch.

»Aber meine Wunden heilen nicht ganz so schnell wie Eure.« Andrej richtete sich mühsam auf, mußte sich aber sofort wieder gegen die Wand in seinem Rücken sinken lassen. Er fühlte sich matt und ausgelaugt, als hätte er den schwersten Kampf seines Lebens hinter sich. Vielleicht traf das ja auch zu..