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»Warum?«, murmelte er schwach.

»Weil ich dich brauche, du Narr!«, antwortete Tepesch heftig.

»Und du mich!«

»Ich brauche dich nicht«, murmelte Andrej.

»Ich brauche nicht einmal dein Blut!« Tepesch lachte.

»Ich habe alles, was du willst«, sagte er.

»Den Jungen. Domenicus. Seine Schwester! Willst du Biehlers Kopf? Du kannst ihn haben.«

»So weit waren wir schon«, sagte Andrej müde.

»Und wir werden noch oft so weit sein, bis du begreifst, das wir einander brauchen!«, antwortete Tepesch.

»Ich habe alles, was du willst! Ich könnte dir drohen, aber das will ich nicht. Ich will, das du freiwillig zu mir kommst.«

»Warum? Um dich unsterblich zu machen? Damit du weitere hundert Jahre lang Menschen schinden kannst?«

»Das bräuchte ich nicht mehr, würde ich dein Geheimnis kennen«, antwortete Tepesch.

»Ist das alles, was du willst? Das der Pfähler aufhört zu pfählen? Du hast mein Wort. Reite an meiner Seite, Deläny, und es wird keine Pfähle mehr geben! Wozu brauche ich den Schmerz, wenn ich dich habe?«

»Und wozu?«

»Du hast es gesehen«, antwortete Tepesch.

»Du und ich, wir können dieses Land von der Geißel der türkischen Invasion befreien. Wir können die christlichen Heere gemeinsam anführen. Du hast mit eigenen Augen gesehen, wie wir die Heiden in die Fluch geschlagen haben.«

»Du kämpfst für das Christentum? Wer soll dir das glauben?«

»Es spielt keine Rolle, warum ich es tue«, sagte Tepesch zynisch.

»Und wenn ich weitere Menschen töte - was stört es dich? Wie viele kann ich töten, selbst in hundert f Jahren Fünftausend? Das ist nichts gegen die Opfer, die auch nur eine einzige Schlacht kostet.«

»Dann nimm die Verbündeten, die du schon hast«, sagte Andrej. »Ich will sie nicht!«, sagte Tepesch mit unerwartetem Nachdruck. »Du hältst mich für böse? Du kennst Domenicus nicht und dieses ... Ungeheuer, das an seiner Seite reitet. Selbst ich habe Angst vor ihnen.«

»Wie furchtbar«, sagte Andrej.

»Sie glauben mich zu brauchen«, fuhr Tepesch unbeeindruckt fort. »Wenn das nicht mehr so ist, werden sie mich töten. Oder ich sie.«

»Und was wäre anders, wenn ich an deiner Seite reiten würde?« Tepesch starrte ihn eine Weile wortlos an, dann stand er mit einem so plötzlichen Ruck auf, das Andrej zusammenschrak.

»Du willst einen Vertrauensbeweis?«, fragte er.

»Also gut. Du wirst ihn bekommen. Morgen früh, bei Sonnenaufgang.«

15

Gegen jede Erwartung fand er in dieser Nacht nicht nur Schlaf, sondern erwachte auch mit einem Gefühl von Stärke und ohne die mindeste Erinnerung an einen Alptraum. Der Kampf, den er ausgefochten hatte, hatte ihn offenbar so erschöpft, das er dafür keine Kraft mehr übrig gehabt hatte. Ihm wurde ein Mahl gebracht, das eines Fürsten würdig gewesen wäre. Er verzehrte es bis auf den letzten Rest und wunderte sich dabei ein wenig über sich selbst; nicht nur über seinen Appetit, sondern auch über die fast unnatürliche Ruhe, die ihn erfüllte. Er sollte entsetzt sein; zumindest empört, aber er fühlte im Grunde gar nichts; allenfalls eine vage Trauer, wenn er an Maria dachte. Als die Sonne aufging, hörte er Schritte draußen auf dem Flur. Die Tür wurde aufgerissen und zwei Bewaffnete traten herein. Sie sagten nichts, aber Andrej wußte, das sie gekommen waren, um ihn abzuholen; er hatte Tepeschs Worte vom vergangenen Tag nicht vergessen. Einen Vertrauensbeweis ... Noch etwas hatte sich geändert. Während Andrej aufstand und den Soldaten auf den Flur folgte, beobachtete er sich selbst dabei, die beiden Männer kühl nach ihrer Gefährlichkeit einzuschätzen.

Ein Teil von ihm schätzte ihre Bewaffnung, ihre Aufmerksamkeit und die Art ihrer Bewegungen ein und überlegte im nächsten Schritt, wie er sie am schnellsten und mit dem geringsten Risiko ausschalten konnte. Er erschrak vor sich selbst, aber der Gedanke blieb. Als die Männer hereingekommen waren, hatte er eine deutliche Anspannung verspürt, die nun verflogen war, weil er begriffen hatte, das sie für ihn keine Gefahr darstellten. Etwas war mit ihm geschehen. Er wußte nicht, was, aber es machte ihm Angst. Draußen auf dem Gang warteten vier weitere Männer auf ihn, die sich zu einer schweigenden, aber sehr nervösen Eskorte formierten. Andrej drehte sich nicht einmal zu ihnen herum, aber er spürte die Armbrustbolzen, die auf seinen Rücken gerichtet waren. Anders als gestern schien Burg Waichs nun voller Leben zu sein. Aus der kalten, dunklen Gruft, in der jeder Schritt unheimlich widerhallte, war ein lauter, lärmender Ort geworden, der von Menschen nur so wimmelte und schon fast beengt schien. Zahlreiche Männer - größtenteils, aber nicht ausschließlich Soldaten - kamen ihnen entgegen. Auch der Hof war voller Menschen. In der Nähe des Tors war ein mehr als mannshoher Stapel mit Kriegsgerät und Beutegut aufgebaut, und auf den Zinnen flatterten neben Tepeschs schwarzroter Drachenfahne die erbeuteten Wimpel von Selics zerschlagenem Heer im Wind. Seine Begleiter stießen ihn grob auf den Hof hinaus und signalisierten ihm, stehen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren.

Niemand sprach ihn an; die Männer wichen sogar seinem Blick aus. Wahrscheinlich dachten sie, das er über den Bösen Blick verfüge, überlegte Andrej. Niemand hier hielt ihn für einen normalen Kriegsgefangenen. Offensichtlich hatte sich herumgesprochen, das Burg Waichs im Moment ganz besondere Gäste beherbergte. Während er wartete, sah sich Andrej aufmerksam um. Er entdeckte weder einen Scheiterhaufen noch einen der gefürchteten Pfähle, nur in einiger Entfernung stand ein einsamer Käfig, der offenbar zur Aufnahme eines Gefangenen bestimmt, im Augenblick aber leer war: Ein Würfel von einem guten Meter Kantenlänge, der mit spitzen, nach innen gerichteten Dornen gespickt war. Daneben standen vier Pferde mit einer sonderbaren und Andrej vollkommen unbekannten Art von Geschirr. Eine große Anzahl Bewaffneter bevölkerte den Hof, hielt aber respektvollen Abstand zu Andrej und seinen Begleitern. Während der Zeit, die Andrej tatenlos warten mußte, verließen mehrere Abteilungen Reiter die Burg oder kehrten zurück. Einmal trieben sie eine Gruppe zerlumpter und vollkommen entkräfteter Gefangener - die meisten verletzt - vor sich her. Tepesch hatte die Jagd auf Überlebende des muselmanischen Heers noch nicht einstellen lassen. Während die Männer die Gefangenen mit Stockschlägen und Fußtritten auf eine niedrige Tür zutrieben, die vermutlich zu den Verliesen hinabführte, versuchte Andrej möglichst unauffällig, ihre Gesichter zu erkennen.

»Mach dir keine Sorgen, Deläny«, sagte Tepesch hinter ihm.

»Dein muselmanischer Freund ist nicht dabei.« Andrej ließ ganz bewusst einige Zeit verstreichen, ehe er sich zu ihm umdrehte. Tepesch hatte sich ihm wieder einmal genähert, ohne das er seine Schritte gehört hatte; etwas, das er offensichtlich gut beherrschte. Er fuhr fort:

»Ich habe meinen Männern befohlen, den Mohr und seine Begleiter unbehelligt zu lassen. Nimm es als Zeichen meines guten Willens - und als Anzahlung auf unseren Handel.«

»Ich wüsste nicht, das wir einen hätten«, sagte Andrej ..Tepesch lächelte flüchtig. Er hatte sich verändert, war nun ganz in Schwarz gekleidet und trug einen einfachen Waffengurt mit einem schlichten, fast zierlichen Schwert um die Hüften. Seltsamerweise sah er dadurch fast gefährlicher aus, als hätte er sich in eine barbarische Rüstung gehüllt.

»Wir werden sehen«, sagte er. Mehr nicht, aber die Worte erfüllten Andrej mit einer unguten Vorahnung. Tepesch drehte sich halb herum, hob die Hand - und nur einen Augenblick später wurde das zweiflügelige Tor des Hauptgebäudes geöffnet und eine sonderbare Prozession verließ den Ort: Es waren vier von Tepeschs Männern, die eine Art lieblos zusammengezimmerter Sänfte zwischen sich trugen, auf der Vater Domenicus saß. Wie zuvor war er auch jetzt auf seinen Stuhl gebunden, allerdings auf eine Art, die Andrej zweifeln ließ, ob die stabilen Stricke tatsächlich nur seiner Sicherheit dienten oder doch Fesseln darstellten. Biehler, der letzte und wohl auch stärkste seiner drei Vampyrkrieger, folgte ihm. Er trug nicht mehr seine goldfarbene Rüstung, hatte aber ein gewaltiges Schwert im Gürtel, auf dessen Griff seine rechte Hand ruhte. Sein Gesicht war unbewegt, aber es gelang ihm trotzdem nicht ganz, seine Unruhe zu verbergen. Maria und als Letzter Frederic folgten ihm. Es gab keine bewaffnete Eskorte, wie bei Andrej, aber der Hof wimmelte von Soldaten.