»Vater Domenicus!« Tepesch ging dem Inquisitor ein paar Schritte entgegen und bedeutete den Trägern zugleich, die Sänfte abzustellen.
»Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht? Vermutlich wird meine bescheidene Burg Euren Ansprüchen nicht gerecht, worum ich um Vergebung bitte, aber meine Diener haben getan, was in ihrer Macht steht.« Domenicus spießte ihn mit Blicken regelrecht auf. Ohne auf seine Worte einzugehen, hob er die Hand und deutete anklagend auf Andrej.
»Was macht dieser Hexer hier? Wieso liegt er nicht in Ketten?«
»Ich bitte Euch, Vater«, antwortete Tepesch lächelnd.
»Habt Ihr so wenig Zutrauen zu den Mauern meiner Burg und den Fähigkeiten meiner Krieger?« Domenicus antwortete irgendetwas, aber Andrej hörte nicht mehr hin. Er versuchte, Marias Blick festzuhalten, aber sie wich ihm aus und blickte zu Boden. Frederic, der direkt neben ihr stand, war nicht mehr gefesselt. Er sah ihn an, aber sein Blick wirkte eher trotzig, fast schon herausfordernd, auch wenn Andrej sich beim besten Willen keinen Grund dafür denken konnte. Aus Biehlers Augen sprühte die blanke Mordlust. Andrej wollte zu Frederic gehen, aber Tepesch hielt ihn mit einer Handbewegung zurück und schnitt Domenicus mit der gleichen Bewegung das Wort ab.
»Genug, Vater«, sagte er.
»Ich weiß, wie ich mit meinen Gefangenen zu verfahren habe.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Domenicus.
»Wenn Ihr jetzt vielleicht die Güte hättet, mir zu sagen, warum Ihr mich gerufen habt. Ich hoffe, es ist wichtig. Meine Wunde ist noch immer nicht ganz verheilt. Jede Bewegung bereitet mir große Schmerzen.«
»Ich wollte Euch nur eine Frage stellen«, antwortete Tepesch.
»Eine ganz einfache Frage, von deren Beantwortung jedoch viel abhängt.«
»Und wie lautet sie?«
»Seht Ihr, Vater ...«, Tepesch deutete auf Andrej, »ich hatte gestern Abend ein interessantes Gespräch mit dem Mann, den Ihr so gerne als Hexenmeister bezeichnet.« Domenicus starrte erst ihn, dann Andrej finster an, und Andrej bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich Biehler spannte und unauffällig einen Schritt näher trat. Als Domenicus nicht antwortete, fuhr Tepesch in einem schärferen Ton fort:
»Natürlich gilt mir sein Wort bei weitem nicht so viel wie das eines heiligen Mannes und Kirchenvertreters wie Euch, Vater. Aber ich frage mich doch, ob er vielleicht die Wahrheit sagt.«
»Die Wahrheit worüber?«, fragte Domenicus.
»Das Ihr mich belogen habt«, antwortete Tepesch hart.
»Das Ihr ein Lügner und Mörder seid, der mich als nützliches Werkzeug für seine verruchten Pläne eingesetzt hat.« In Domenicus’ Augen blitzte es auf.
»Was erdreistet Ihr Euch, Fürst?«
»Verbrennt die Hexen!«, antwortete Tepesch.
»Das waren doch Eure Worte, nicht wahr? Ich habe sie in dem Moment, als Ihr sie ausspracht, nicht ganz verstanden - ging es doch nur um das Schiff eines berüchtigten Piraten, der die Donau hinauffuhr, um dort Beute zu machen.« Domenicus starrte ihn finster an und schwieg.
»Von den paar Dutzend Männern und Frauen, die unter Deck angekettet waren, habt Ihr sicherlich nur vergessen, mir zu erzählen.«
»Hexen«, antwortete Domenicus hasserfüllt.
»Sie waren alle Hexen, mit dem Teufel im Bunde!«
»Dann ... dann ist es wahr?« Maria starrte ihren Bruder aus aufgerissenen Augen an.
»Du hast davon gewusst?«
»Sie hatten den Tod verdient«, antwortete Domenicus.
»Sie sind lebendig verbrannt«, fuhr Tepesch fort.
»Männer, Frauen und Kinder - mehr als fünfzig Menschen. Ich habe sie verbrannt, Vater Domenicus. Aber ich wußte nicht, das sie da sind. Ihr wusstet es.«
»Sag, das das nicht wahr ist!«, keuchte Maria.
»Sag es!« Ihr Bruder schwieg, und Tepesch fuhr mit kalter, schrecklich ausdrucksloser Stimme fort:
»Ihr seid ein Mörder, Domenicus. Ein gewissenloser Mörder und Lügner. Ich werde Euch zeigen, was ich mit Männern mache, die mich belügen. Packt ihn!« Die beiden letzten Worte hatte er geschrien. Andrej sah, das Biehler genauso schnell reagierte, wie er es erwartet hatte. Er warf sich mit einer blitzartigen Bewegung nach vorne und zog gleichzeitig sein Schwert aus dem Gürtel. Doch seine Schnelligkeit nutzte ihm nichts. Mehr als ein halbes Dutzend Armbrustbolzen zischte mit einem Geräusch wie ein zorniger Hornissenschwarm heran. Die meisten Geschosse verfehlten ihr Ziel, weil sich Biehler mit fast übermenschlicher Schnelligkeit bewegte, aber einer der Bolzen traf seine rechte Schulter und riss ihn herum, der zweite bohrte sich in sein Knie und ließ ihn stürzen. Der Vampyr brauchte nur Augenblicke, um die Geschosse herauszureißen und sich von seinen Verletzungen zu erholen, aber dann waren bereits Tepeschs Männer über ihm. Biehler wehrte sich mit verzweifelter Kraft, gegen die vielfache Übermacht kam er nicht an. Das Schwert wurde ihm aus den Händen gerissen, dann wurde er zu Tepesch geschleift und vor ihm in die Knie gezwungen.
»Was soll das?«, schrillte Domenicus.
»Was fällt Euch ein?« Tepesch schwieg. Er machte nur eine herrische Kopfbewegung. Seine Männer rissen Biehler wieder in die Höhe und zerrten ihn quer über den Hof in Richtung des Eisenkäfigs und der Pferde hin. Biehler schien zu ahnen, was ihm bevorstand, denn er bäumte sich auf und wehrte sich mit solch verzweifelter Kraft, das weitere von Tepeschs Männern hinzueilen mussten, um ihn zu bändigen. Trotz aller Gegenwehr wurden seine Hand- und Fußgelenke mit groben Stricken gefesselt, deren Enden an den Geschirren der Pferde befestigt waren.
»Nein!«, keuchte Domenicus.
»Das könnt Ihr nicht tun!« Tepesch hob die Hand und die vier Pferde trabten in verschiedene Richtungen an. Biehler wurde in Stücke gerissen. Maria schrie gellend auf, schlug die Hand vor den Mund und wandte sich würgend ab. Domenicus schloss mit einem unterdrückten Stöhnen die Augen. Einzig Frederic sah dem grausigen Geschehen interessiert zu.
»Erstaunlich«, sagte Tepesch.
»Man kann euch also doch töten.« Er wandte sich mit erhobener Stimme an die Männer, die Richler festgehalten hatten.
»Verbrennt ihn. Und bleibt dabei, bis auch wirklich nichts mehr von ihm übrig ist«
»Du Ungetüm!«, sagte Domenicus hasserfüllt.
»Du gewissenloser Mörder! Dafür wirst du büßen!«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Tepesch gelassen.
»Verbrennt die Hexen - das waren doch Eure Worte oder? Nun, ich tue nichts anderes. Ich lasse einen Varnpyr verbrennen. Wollt Ihr mich dafür zur Rechenschaft ziehen?« Er beugte sich so weit vor, das sein Gesicht beinahe das des Inquisitors berührte.
»Dankt Eurem Gott, das ich nicht dasselbe mit Euch machen lasse, Pfaffe! Ich lasse Euch leben. Seht Ihr diesen Käfig dort?« Er lachte. »Selten wir doch einfach, wie wichtig Ihr Eurem Herrn im Himmel seid. Wenn Ihr bis Sonnenuntergang noch lebt, seid Ihr frei und könnt gehen, wohin es Euch beliebt.«.
»Nein«, murmelte Maria. Sie hatte sich wieder gefangen. Zwar war sie noch immer sehr blass, mußte aber nicht mehr mit aller Macht gegen ihre Übelkeit ankämpfen, »Bitte, Fürst! Tut es nicht! Ihr würdet ihn umbringen!«