»Aber mein Kind«, sagte Tepesch kopfschüttelnd.
»Sein Schicksal liegt jetzt allein in Gottes Hand!«
»Aber ...«
»Hör auf, Maria«, sagte Andrej.
»Verstehst du denn nicht? Je verzweifelter du ihn bittest, desto mehr Freude bereitetes ihm, dich zu quälen.« Er drehte sich zu Dracul um.
»Bin ich jetzt an der Reihe?« Tepesch zog in gespielter Überraschung die Augenbrauen zusammen.
»Ihr? Aber mein Freund, ich bitte dich! Das alles habe ich doch schließlich nur getan, um dich von meiner Aufrichtigkeit zu überzeugen!«
»Aufrichtigkeit?« Tepesch nickte heftig.
»Du hattest doch Angst, das ich mir einen anderen Verbündeten suchen könnte. Nun, jetzt gibt es keinen anderen Verbündeten mehr, nicht wahr?« Er lachte.
»Es ist schon seltsam, wie? Da suche ich mein ganzes Leben lang nach jemandem wie dir und mit einem Male sind beinahe mehr von deiner Art da, als ich verkraften kann.«
»Vielleicht hast du den Falschen hinrichten lassen«, sagte Andrej. »Ich werde dir ganz, bestimmt nicht helfen.«
»Wir werden sehen.« Tepesch deutete auf Domenicus.
»Steckt ihn in den Käfig«, befahl er.
»Und hängt ihn in die Sonne. Wir wollen doch nicht, das er friert.«
»Du Ungeheuer«, murmelte Maria.
»Wenn du ihn tätest, dann ...«
»Dann?«, fragte Tepesch, als sie den Satz unbeendet ließ. Er wartete vergeblich auf eine Antwort, zuckte schließlich mit den Schultern und machte eine weitere, befehlende Geste.
»Bringt sie in ihr Zimmer. Aber seid vorsichtig. Sie ist eine Wildkatze.« Maria funkelte ihn hasserfüllt an, aber sie gönnte ihm nicht den Triumph, sich gewaltsam von seinen Männern in die Burg schleifen zu lassen, sondern drehte sich herum und verschwand schnell und mit stolz erhobenem Haupt. Auf einen entsprechenden Wink ihres Herrn folgten ihr zwei Soldaten, während sich Tepesch endgültig zu Andrej umdrehte.
»Du siehst, ich stehe zu meinem Wort, Deläny«, sagte er. »Hast du dir mein Angebot also überlegt?«
»Du kennst meine Antwort«, Er deutete auf Domenicus, den Tepeschs Schergen in diesem Moment grob in den Gitterkäfig stießen. »Wenn du ihn wirklich töten lässt, könntest du dir große Schwierigkeiten einhandeln. Die Inquisition ist vielleicht nicht mehr so mächtig, wie sie einmal war, aber Rom wird es trotzdem nicht zu schätzen wissen, wenn seine Abgesandten umgebracht werden.«
»Rom«, antwortete Tepesch betont ruhig, »ist wahrscheinlich froh, einen lästigen und unberechenbaren Patron wie Domenicus auf diese bequeme Weise loszuwerden. Außerdem ist es ziemlich weit weg. Und wer weiß: Vielleicht weht ja in wenigen Jahren schon die Halbmondfahne über Rom?«
»Meine Antwort bleibt nein«, sagte Andrej. Tepesch seufzte.
»Schade. Trotzdem ... keine andere Antwort hätte ich dir geglaubt, Deläny. Gottlob bin ich nicht auf dich angewiesen. Mit dir lässt sich nicht gut verhandeln. Du bist zu ehrlich.« Er drehte sich zu Frederic um, sah ihn durchdringend an und fragte:
»Sind wir uns einig?« Einig? Frederic schwieg endlose Sekunden. Sein Blick irrte unstet zwischen Tepesch und Andrej hin und her. Einig?! Schließlich nickte er.
»Ja.«
»Frederic?«, murmelte Andrej.
»Was ... bedeutet das?« Tepesch drehte sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck wieder zu ihm um.
»Du kannst gehen, Deläny.«
»Wie?«, fragte Andrej verständnislos.
»Du bist frei«, wiederholte Tepesch.
»Nimm dir ein Pferd und reite los. Du wirst mir nachsehen, das ich dir keine Waffe gebe, aber darüber hinaus kannst du dir nehmen, was immer du benötigst.«
»Um wohin zu gehen?«
»Wohin immer du willst«, antwortete Dracul.
»Du bist ein freier Mann. Ich liege nicht im Zwist mit dir. Trotzdem bitte ich dich, meine Ländereien zu verlassen.« Andrej schwieg. Er sah Frederic an, aber der Junge macht, noch immer ein verstocktes Gesicht, hielt seinein Blick aber nicht mehr stand, sondern starrte zu Boden und begann nervös mit den Füßen zu scharren.
»Und Maria?«
»Wie ich dir schon sagte: Sie ist mir zu jung. Sie wird eine Weile hier bleiben, bis sie sich beruhigt hat, und danach lasse ich sie an einen Ort ihrer Wahl bringen. Ihr wird nichts geschehen. Du hast mein Wort« Andrejs Gedanken rasten. Tepeschs Worte waren vermutlich nicht mehr wert als der Schmutz unter seinen Schuhsohlen, aber welche Wahl hatte er als die, sein Angebot anzunehmen? Biehlers Schreie gellten noch immer in seinen Ohren. Der Krieger war nicht zu retten gewesen. Und ei war viel besser als er gewesen.
»Ich möchte mit Frederic reden«, sagte er.
»Allein.«
»Ganz wie du willst.« Tepeseh schien einen Moment lang darauf zu warten, das Frederic und er sich entfernten. Als klar wurde, das dies nicht geschah, zuckte er mit den Schultern und ging davon.
»Was hat er dir versprochen?«, fragte Andrej.
»Nichts«, antwortete Frederic. Er scharrte noch immer mit den Füßen.
»Frederic!« Der Junge sah nun doch hoch. Er war blass und sein Mund war zu einem trotzigen, schmalen Strich zusammengepresst. »Lass mich raten«, sagte Andrej.
»Er hat dir angeboten, mich ungeschoren davonkommen zu lassen, wenn du dafür bei ihm bleibst, habe ich Recht?«
»Dich und Maria«, sagte Frederic.
»,Ja.«
»Und du glaubst ihm?«
»Du kannst geben, oder?«, fragte Frederic patzig.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Andrej.
»Glaubst du ihm?«
»Wo ist der Unterschied zu dem, was du getan hast?«, fragte Frederic.
»Du warst bereit, dich an Abu Dun zu verkaufen, um mein Leben zu retten. Jetzt tue ich dasselbe für dich.«
»Das ist ein Unterschied«, sagte Andrej betont.
»Abu Dun war ein Pirat. Ein Mörder und Dieb. Aber Dracul ist ... böse. Er ist kein Mensch, Frederic.«
»Du meinst, so wie wir?«, fragte Frederic.
»Du glaubst, du wärst ihm gewachsen«, fuhr Andrej fort. Tief in sich spürte er, wie sinnlos es war. Frederic verstand ihn nicht, weil er ihn nicht verstehen wollte. Trotzdem fuhr er fort:
»Du bist es nicht. Auch ich wäre es nicht, Frederic. Wenn du bei ihm bleibst, dann wird er dich verderben. Es wird nicht lange dauern, und dann wirst du sein wie er.« Und wenn er es schon war? Andrej versuchte mit aller Kraft, sich dagegen zu wehren, aber plötzlich glaubte er Abu Duns Stimme zu hören, so deutlich, das er sich um ein Haar herumgedreht hätte, um nachzusehen, ob der Pirat nicht wirklich hinter ihm stand: Hast du schon einmal daran gedacht, das es vielleicht Menschen gibt, die schon böse geboren werden?
»Das werde ich nicht«, widersprach Frederic.
»Ich habe keine Angst vor diesem ... alten Mann. Wenn er mir lästig wird, dann töte ich ihn.« In seinen Augen erschien ein verschlagener Ausdruck.
»Wir könnten es gemeinsam tun. Versteck dich ein paar Tage. Sobald ich Tepeschs Vertrauen errungen habe, lasse ich dir ein Zeichen zukommen. Ich lasse dich bei Dunkelheit in die Burg. Wir töten Tepesch und befreien alle Gefangenen«. Andrej sah ihn lange und voller Trauer an. Dann drehte er sich wortlos um, stieg auf das erstbeste Pferd, das er erreichen konnte, und ritt davon.
16
Er ritt direkt nach Osten. Auf dem ersten Stück bewegte er sich sehr rasch, denn er zweifelte nicht daran, das Tepesch nicht sonderlich viel Zeit verstreichen lassen würde, bevor er zur Jagd auf ihn blies. Das war auch der Grund, aus dem er sich in östliche Richtung wandte. Hier war das Gelände offen und es gab kaum Möglichkeiten für einen Hinterhalt oder eine Falle. Allerdings näherte er sich auf diese Weise in direkter Linie dem Schlachtfeld. Obwohl seit dem Kampf Zeit verstrichen war, bestand durchaus noch die Gefahr, auf Männer des Drachenritters zu stoßen. Erst, als er sich dem Schlachtfeld weit genug genähert und der Wind den ersten Hauch von süßlichem Leichengestank zu ihm tragen konnte, wurde ihm klar, das er diese Richtung keineswegs zufällig eingeschlagen hatte. Sein Tempo war gesunken. Andrej war nicht gutberaten gewesen, seinem Zorn nachzugeben und sich auf das erstbeste Pferd zu schwingen, das sich ihm dargeboten hatte. Das Tier war in keinem guten Zustand. Seine Kräfte erlahmten rasch. Einen langen Ritt oder gar eine Verfolgungsjagd würde es niemals aushalten. Er würde kämpfen müssen, wahrscheinlich früher, als er erwartete, und so hart wie noch niemals zuvor in seinem Leben. Biehlers Schicksal hatte ihm deutlich vor Augen geführt, das Tepesch nicht den Fehler beging, seine Art zu unterschätzen. Die Männer, die er hinter ihm herschicken würde, würden wissen, wie gefährlich er war. Und wie sie ihn töten konnten. Andrej hatte keine Angst. Er hatte in seinem Lebe, schon so viele Kämpfe ausgefochten, das er längst aufgehört hatte, sie zu zählen. So mancher davon war scheinbar aussichtslos gewesen. Und seit gestern Nacht war etwas ... mit ihm geschehen.