»Und die beiden Teufel?«, fragte er schließlich.
»Sie sind bereits tot«, antwortete Andrej.
»Einen habe ich getötet. Den anderen hat Tepesch selbst hinrichten lassen.« Abu Dun warf ihm einen überraschten Blick zu und Andrej fügte hinzu:
»Er hat sie selbst gefürchtet. Wer einen Pakt mit dem Teufel eingeht, der muss damit rechnen, das schlechtere Geschäft zu machen.«
»Und womit muss ich rechnen?«, fragte Mehmed.
»Sag den Angriff auf Waichs ab und du bekommst Tepesch«, antwortete Andrej. Mehmed verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln.
»Das ist ein schlechtes Angebot«, sagte er.
»Ich müsste dir trauen, und warum sollte ich das? Nur weil du es sagst? Oder auf das Wort eines Piraten hin, der selbst in seiner Heimat mehr Feinde als Freunde hat?«
»Was hast du zu verlieren?«, fragte Andrej.
»Gib mir einen Tag. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin und dir Tepeschs Kopf liefere, kannst du Waichs meinetwegen bis auf die Grundmauern niederbrennen.«.
»Was für ein großzügiges Angebot«, sagte Mehmed spöttisch. Er schüttelte den Kopf.
»Nein. Meine Männer würden mir den Gehorsam verweigern. Sie schreien nach Rache. Diese Bluttat muss gerächt werden.«
»Aber ...«
»Ich gebe dir zwanzig von meinen Männern mit«, fuhr Mehmed fort.
»Das Heer wird weiter ziehen. Wir werden unseren Vormarsch nicht verlangsamen, aber auch nicht beschleunigen. Ihr allein seid schneller als wir. Du hast einen guten Vorsprung. Übergibst du mir Tepesch, lasse ich Petershausen ungeschoren und auch Burg Waichs - vorausgesetzt, seine Bewohner liefern alle ihre Waffen ab. Wenn nicht, brenne ich beides nieder.«
»Ich reite allein«, sagte Andrej.
»Deine Männer würden mich nur behindern.«
»Wir reiten allein«, verbesserte ihn Abu Dun. Mehmed schüttelte den Kopf.
»Stell meine Geduld nicht auf die Probe, Ungläubiger«, sagte er.
»Ich könnte auf den Gedanken kommen, das der Drachenritter dich geschickt hat, um meine Truppen abzulenken oder gleich in eine Falle zu locken.«
»Ich kann nur allein in die Burg kommen«, gab Andrej zu bedenken.
»Meine Männer werden euch begleiten«, sagte Mehmed bestimmt. »Bringst du Tepesch heraus, lasse ich Stadt und Burg unversehrt. Kommst du ohne ihn, stirbst du.« Er sah erst Abu Dun, dann Andrej ernst und durchdringend an.
»Morgen bei Sonnenaufgang wird ein abgeschlagener Kopf meine Zeltstange zieren. Es liegt bei dir, ob es der des Drachenritters oder dein eigener ist.« Er wartete auf eine Antwort, dann wandte er sich, ohne Andrejs Blick loszulassen, an einen der Männer in seiner Begleitung.
»Gebt diesen beiden frische Pferde. Und du, Pirat ...« Er sah Abu Dun an.
»Bist du sicher, das du ihn begleiten willst? Noch bist du ein freier Mann, aber wenn du mit ihm davonreitest, dann gehst du dasselbe Risiko ein wie er. Es könnte sein, das dein Kopf morgen früh neben seinem auf einem Speer steckt.«
»Ich habe nichts zu verlieren«, sagte Abu Dun.
»Außer deinem Kopf.« Mehmed seufzte.
»Gut, es ist deine Entscheidung. Also geht. Und ... Deläny.«
»Ja?«, fragte Andrej.
»Tepesch«, sagte Mehmed.
»Ich will ihn lebend.« Obwohl der Weg zurück nach Waichs nicht lang war, kam er Andrej weit und anstrengend vor. Sie hatten die Pferde geschunden, bis sie beinahe zusammenbrachen, und drei der zwanzig Männer, die Mehmed ihnen mitgegeben hatte, fielen unterwegs zurück und verloren schließlich ganz den Anschluss. Der Rest folgte ihnen in geringem Abstand; nicht nahe genug, um ihnen das Gefühl zu geben, Gefangene zu sein, aber auch nicht weit genug, um den Gedanken an eine Flucht aufkommen zu lassen. Andrej mußte gestehen, das er ihm mehr als einmal gekommen war. Seine Aussichten, unbemerkt in die Burg einzudringen, Frederic und Maria zu befreien und Tepesch nicht nur zu überwältigen, sondern ihn auch noch lebend aus der Burg und in Mehmeds Lager zu bringen, waren klein. Dafür war die Möglichkeit, ihrer Eskorte zu entkommen, nicht einmal so schlecht; auf jeden Fall besser, als das Unmögliche zu versuchen und den Drachen in seinem eigenen Bau zu besiegen. Aber er würde es nicht tun. Er mußte zurück, selbst wenn es seinen sicheren Tod bedeutete. Wenn er es nicht tat und die einzigen Menschen verriet, die ihm noch etwas bedeuteten, dann war er nicht besser als die beiden Vampyre, die er getötet hatte. Sie ritten bis weit in den Nachmittag hinein, ohne mehr als eine einzige, kurze Rast einzulegen, während der sie die Pferde tränkten und sich selbst von den Vorräten stärkten, die Mehmed ihnen mitgegeben hatte. Andrej hatte sich Sorgen gemacht, was geschehen würde, wenn sie auf Soldaten trafen, doch sie blieben unbehelligt. Tepeschs Heer schien sich ebenso rasch aufgelöst zu haben, wie er es zusammengepresst hatte. Erst, als sie sich Burg Waichs schon fast bis auf Sichtweite genähert hatten, brach Abu Dun das ungute Schweigen, das im Laufe des Nachmittags zwischen ihnen geherrscht hatte. Andrej vermutete, das er seinen Entschluss, ihn zu begleiten, schon längst bereute.
»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie du in die Burg hineingelangen willst?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Andrej. Er hob die Schultern.
»Ich werde mir etwas ausdenken müssen.«
»Ein kluger Plan«, sagte Abu Dun spöttisch.
»Sicherlich wird er Tepesch vollkommen überraschen.«
»Das will ich doch hoffen«, antwortete Andrej.
»Was erwartest du? Ich habe dich nicht aufgefordert, mich zu begleiten.«
»Eigentlich schon«, behauptete Abu Dun.
»Mir ist selten ein solcher Narr wie du untergekommen. Ich möchte zu gerne sehen, wie die Geschichte ausgeht.«
»Das wirst du«, sagte Andrej.
»Aber wenn du Pech hast, von der Höhe einer Zeltstange aus.« Abu Dun zog eine Grimasse.
»Um das zu verhindern, frage ich, was du vorhast«, sagte er.
»Du musst doch einen Plan haben.«
»Nein«, antwortete Andrej - in einem Ton, von dem er hoffte, das er ihm diesmal glaubte.
»Ich muss in die Burg kommen, das ist alles, was ich weiß.«
»Du könntest ans Tor klopfen«, schlug Abu Dun vor. Andrej schenkte ihm einen erzürnten Blick, aber Abu Dun hob rasch die Hand und fuhr fort:
»Das ist vielleicht kein so schlechter Plan. Wir könnten uns für Männer des Fürsten ausgeben und dich als Gefangenen in die Burg zurückbringen.« Andrej dachte einen Moment ernsthaft über diesen Vorschlag nach, schüttelte aber dann den Kopf.
»Das würde nicht funktionieren«, sagte er.
»Du könntest dir Flügel wachsen lassen«, sagte Abu Dun düster, »und über die Mauer fliegen. Was ist mit dem Geheimgang?«
»Nachdem Tepesch ihn uns selbst gezeigt hat und du ihn mit zwanzig Gefangenen als Fluchtweg benutzt hast?« Andrej schüttelte heftig den Kopf.
»Ich werde über die Idee mit dem Fliegen nachdenken.« Abu Dun schwieg, und auch Andrej zog es vor, das Gespräch nicht fortzusetzen. Mit jeder Idee, die sie erwogen und wieder verwarfen, wurde ihm die Ausweglosigkeit ihrer Situation klarer. Sie ritten weiter, bis sie der Burg sehr nahe waren, dann wurde Andrej langsamer und hielt schließlich an. Die bewaldete Ebene, auf der Waichs lag, schien menschenleer, aber zwischen den Bäumen konnte sich eine ganze Armee verbergen. Und selbst wenn dem nicht so war, würden die Wachen auf den Burgmauern sie sehen, sobald sie auch nur einen Fuß über die letzte Hügelkette gesetzt hatten.
»Wir rasten hier«, bestimmte Andrej, »und warten.« Abu Dun hatte Mühe, sein Pferd ruhig zu halten. Das Tier tänzelte vor Erschöpfung. Flockiger weißer Schaum troff von seinen Nüstern.
»Warten? Worauf?«
»Das es dunkel wird«, antwortete Andrej.
»Wusstest du nicht, das wir uns nur bei Dunkelheit in Fledermäuse verwandeln können?« Abu Duns Pferd tänzelte unruhiger. Er hatte große Mühe, es auf der Stelle zu halten, machte aber trotzdem keine Anstalten abzusteigen.