»Nein«, sagte er dann. »Aber er wird dir nichts mehr tun. Abu Dun hat ihn weggebracht.«
»Wohin?«
»Der Sultan will ihn haben«, antwortete Andrej. »Lebend. Ich könnte mir vorstellen, was er mit ihm anstellen wird, aber ich glaube, ich will es lieber nicht.« Frederic versuchte sich aufzurichten. Er brauchte drei Ansätze dazu, aber Andrej unterdrückte den Impuls, ihm zu helfen. Frederic war durch die Hölle gegangen und tat es vermutlich noch, aber das war ein Weg, den er allein gehen musste.
»Er hat gesagt, dass ... dass er mein Geheimnis ergründen will«, sagte er. Sein Blick war ins Leere gerichtet, aber es musste eine von Pein und unvorstellbarem Leid erfüllte Leere sein.
»Indem er dich foltert?«
»Es war meine Schuld«, flüsterte Frederic. »Ich habe es ihm verraten.«
»Was?«
»Unser Geheimnis.« Frederics Stimme zitterte leicht. »Dass man sterben muss, um ewig zu leben. Er sagt, dass ... dass der Schmerz der Bruder des Todes ist. Er wollte so werden wie ich. Er ... er hat gesagt, dass ... dass er das Geheimnis ergründen wird, wenn ... wenn ...« Seine Stimme versagte.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Andrej.
»Hat er Recht?«, fragte Frederic.
»Er ist vollkommen wahnsinnig«, sagte Andrej. »Keine Angst. Er wird nie wieder jemandem Leid zufügen.« Er machte eine aufmunternde Kopfbewegung. »Kannst du aufstehen?«
Statt zu antworten, versuchte Frederic es. Es bereitete ihm Mühe, und er stand im ersten Moment ein wenig wackelig auf den Beinen, aber er stand.
»Was ist mit Maria?«
»Sie ist in Sicherheit«, antwortete Andrej knapp.
»Komm.« Frederic sah ihn kurz und verwirrt an. Vielleicht war ihm der sonderbare Ton aufgefallen, in dem Andrej geantwortet hatte, aber wahrscheinlich wusste er, was geschehen war. Sie verließen den Keller. Frederic konnte sich nur langsam bewegen. Auf der Treppe musste Andrej ihm schließlich doch helfen, obwohl Frederic es weiter hartnäckig ablehnte. Er erholte sich nur langsam. Was Tepesch ihm angetan hatte, musste fast zu viel gewesen sein. Aus einem entfernten Teil der Burg wehte noch immer Kampflärm heran, aber Waichs war bereits gefallen. Gut die Hälfte von Mehmeds Kriegern hatte sich bereits wieder im Hof versammelt. Etliche von ihnen waren verletzt, aber soweit Andrej es beurteilen konnte, schienen sie keine Verluste zu beklagen. Abu Dun und sein Gefangener befanden sich unweit des Tores, umgeben von vier oder fünf türkischen Kriegern. Tepeschs Schulter blutete noch immer, wenn auch nicht mehr so heftig wie zuvor. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn zu verbinden, aber seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Seine Nase blutete. Andrej war ziemlich sicher, dass es nicht von dem Schlag kam, den Abu Dun ihm versetzt hatte.
»Vielleicht sollten wir ihn in eine seiner eigenen Zellen sperren«, sagte er.
»Wenigstens so lange, bis Mehmed hier ist.« Bevor Abu Dun antworten konnte, drehte sich einer der Krieger zu ihm herum; der gleiche Mann, der schon vorhin mit ihm gesprochen hatte.
»Unser Herr hat befohlen, ihn sofort zu ihm zu bringen«, sagte er. »Und euch auch.«
»Uns?« Abu Dun zog die Augenbrauen zusammen.
»Wir haben vereinbart, dass wir ihm Tepesch übergeben!«, protestierte Andrej.
»Lebend! Das haben wir getan oder etwa nicht?«
»Davon weiß ich nichts«, antwortete der Kriegerungerührt.
»Ich habe meine Befehle. Wir reiten sofort.«
»Das war nicht vereinbart!«, begehrte Abu Dun auf.
»Willst du das Wort deines Herrn brechen, du Hund?« Mehmeds Krieger wirkte für einen Moment unschlüssig. Dann drehte er sich mit einem Ruck herum und wechselte einige Worte in seiner Muttersprache und sehr harschem Ton mit einem seiner Begleiter. Der Mann fuhr herum und lief aus dem Tor.
»Also gut«, sagte der Türke.
»Ich habe einen Mann losgeschickt, um neue Befehle zu holen. Aber es wird eine Weile dauern, bis er zurück ist.« Er starrte Tepesch hasserfüllt an.
»Wir müssen ihn einsperren, schon zu seiner Sicherheit. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn vor dem Zorn meiner Männer schützen kann.« Seine Miene verdüsterte sich.
»Oder ob ich es überhaupt tun sollte.«
»Sperrt ihn in den Käfig«, schlug Frederic vor.
»Soll er von seiner eigenen Mahlzeit kosten. Oder gebt mir ein Messer und lasst mich mit ihm allein.«
»Steckt ihn in den Käfig«, sagte Andrej.
»Dort ist er zumindest in Sicherheit.« Er ließ absichtlich offen, vor wem. Die Krieger sahen unschlüssig aus, aber dann nickte der Mann, der mit Andrej gesprochen hatte. Zwei osmanische Soldaten packten Tepesch und zerrten ihn zu dem Gitterkäfig, um ihn grob hineinzustoßen. Tepesch keuchte vor Schmerz, als er sich an den spitzen Metalldornen verletzte. Die Männer warfen die Tür hinter ihm zu, und der Käfig wurde an seiner Kette in die Höhe gezogen. »Wo habt ihr Maria hingebracht?«, fragte Andrej, an Abu Dun gewandt.
»In den Wald, unweit der Stelle, an der wir auf dich gewartet haben«, antwortete Abu Dun.
»Ich muss zu ihr. Kümmere dich um Frederic.« Andrej wartete Abu Duns Antwort nicht ab, sondern ging unverzüglich los, aber er kam nur wenige Schritte weit. Einer der türkischen Soldaten vertrat ihm den Weg und zwei weitere schoben sich unauffällig in seine Richtung.
»Was soll das?«, fragte Andrej scharf. Seine Hand senkte sich auf den Schwertknauf, ohne dass er sich der Bewegung auch nur bewusst gewesen wäre. Die Männer antworteten nicht, aber sie gaben auch den Weg nicht frei. Andrej zog die Hand mit einer sichtbaren Anstrengung wieder zurück und entspannte sich. Er hatte kein Recht, zornig zu sein. Dass diese Männer mit ihm hergekommen waren und gegen seine Feinde kämpften, bedeutete nicht automatisch, dass sie seine Freunde waren. Abu Dun, Frederic und er waren ebenso Gefangene wie Tepesch, mit dem Unterschied vielleicht, dass auf sie nicht der sichere Tod wartete. Jedenfalls hoffte er das. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen. Seinem Gefühl nach musste einige Zeit verstrichen sein, bis er Hufschläge hörte. Es war kein einzelnes Pferd, das zurückkam, sondern ein ganzer Trupp Reiter, die in scharfem Galopp herangesprengt kamen. Andrej hörte sie schon eine geraume Weile, bevor die anderen das Hämmern der näher kommenden Pferdehufe wahrnahmen, ein dumpfes Grollen, das an den Donner eines entfernten Gewitters erinnerte und beinahe mehr zu spüren als zu hören war. Es war eine große Abteilung, mindestens fünfzig Reiter, schätzte Andrej, wenn nicht mehr, und er war nicht überrascht, als er Sultan Mehmed selbst an der Spitze des kleinen Heeres auf den Hof sprengen sah. Mehmed glitt aus dem Sattel, noch bevor sein Pferd ganz zum Stehen gekommen war, wechselte einige Worte mit dem Soldaten, der ihm entgegeneilte, und ging dann mit schnellen Schritten auf den Käfig mit Tepesch zu. Auf eine knappe Geste hin ließen seine Männer den Käfig herunter, machten aber keine Anstalten, die Tür zu öffnen, und auch Mehmed selbst stand einfach nur da und starrte Tepesch an. Andrej wollte zu ihm gehen, aber Abu Dun legte ihm rasch die Hand auf den Unterarm und schüttelte den Kopf. Er sagte nichts. Der Osmane blieb lange so stehen, dann drehte er sich herum und kam mit langsamen Schritten auf sie zu..
»Das ist also der berüchtigte Vlad Tepesch, der Pfähler«, sagte er kopfschüttelnd.
»Seltsam - ich hätte erwartet, dass er drei Meter groß ist und Hörner und einen Schweif hat. Aber er sieht aus wie ein ganz normaler, kleiner Mann.«
»Der erste Eindruck täuscht manchmal«, sagte Andrej kühl. Er merkte sofort, dass dieser Ton bei Mehmed nicht verfing. Der Sultan sah ihn eine ganze Weile nachdenklich und mit undeutbarem Ausdruck an, dann sagte er:
»Ja. Das scheint mir auch so.«
»Wir haben getan, was wir versprochen haben«, sagte Abu Dun.
»Tepesch ist Euer Gefangener. Und Burg Waichs gehört Euch. Das war zwar nicht abgesprochen, aber nehmt es als zusätzliche Gabe.«