Magnetisch zog er die Blicke angejahrter, frustrierter Ehefrauen, aber auch verträumter Teenager auf sich. Wenn er sich untertags am Strand sehen ließ, um Badefreuden zu genießen, klopften viele Damenherzen schneller. Nur vereinzelt gab es allerdings auch Augen, die schärfer hinsahen und an seinem kastanienbraungebrannten Körper Spuren des Verfalls entdeckten, Spuren, die darauf schließen ließen, daß ihn die Massagen der zwei Sängerinnen seiner Kapelle mehr in Mitleidenschaft zogen, als sie ihn in Form halten konnten.
Benito Romana stammte nicht aus südlichen Gefilden, sondern aus Berlin-Moabit und hieß schlicht Karl Puschke. Das wußte aber niemand, nicht einmal die Kurdirektion ahnte dies, die den erfolgreichen Orchesterleiter mit seiner ausgezeichneten Kapelle nach längeren Bemühungen aus einer rheinischen Großstadt nach Nik-keroog hatte locken können.
Sein Trick war es, ein gebrochenes Deutsch mit italienischen Brok-ken zu durchsetzen. Dafür wurde er von jung und alt, soweit es sich um Vertreterinnen des schwachen Geschlechts handelte, angehim-melt. Sein musikalisches Repertoire war groß; persönlich favorisierte er allerdings, wie schon erwähnt, den Tango; insofern wurde er von der Jugend, besonders der männlichen, manchmal doch auch schon als etwas antiquiert empfunden.
Am größeren Podium standen:
Johannes M. Markwart, ein wenig bedrückt nach einer sehr lauten Aussprache mit seiner Lola; Maitre Sandrou, ein bekannter Pariser Modellschneider, der zum Preisrichterkollegium gehörte; Kurdirektor Eberhard v. Vondel; Manfred Barke, ein noch unbekannter, aber sehr ehrgeiziger junger Filmregisseur; der Geschäftsführer des Kurhauses, der auf den seltsamen Namen Cölestin Höll-riegelskreuther hörte, obwohl er kein Bayer oder Tiroler, sondern ein waschechter Friese war; und schließlich und endlich ein älterer, kerzengerade dastehender Herr, der zur ersten Garnitur des Bades gehörte.
Dieser ältere Herr war Baron v. Waiden. Als ehemaliger Turnierreiter behielt er auch im täglichen Leben das steife Kreuz eines guten Sitzes auf dem Pferd bei und stolzierte mit seinem Hohlkreuz durch die Landschaft. Man nannte ihn deshalb auch nur den >Ba-ron v. Senkrecht<.
Die Gruppe dieser Persönlichkeiten war also um das Podium versammelt, das sich in der Nachbarschaft eines runden Pavillons befand, in dem sich die Bewerberinnen um den Preis der >Miß Nik-keroog< zusammengefunden hatten und einander nun, sparsam in Superbikinis gehüllt, mit kritischen Blicken musterten und sich gegenseitig am liebsten schon mit Fingernägeln bearbeitet hätten. Der Bademeister, der diese gefährliche Schar zu bändigen hatte, saß, von Resignation übermannt, in einer Ecke; er hatte alle Bemühungen aufgegeben, den streitsüchtigen Damen ihre niederen Instinkte auszureden und den hin und her fliegenden spitzen Bemerkungen Ermahnungen, sich zu mäßigen, entgegenzusetzen.
Die Giftigste von allen war Lola. Notdürftigst angetan mit einem aus winzigen Teilen bestehenden goldenen Seidenbikini, stellte sie ihre langen schlanken Beine, den biegsamen Leib und fast gänzlich unverhüllt auch die kleine, jedoch wohlgeformte Brust zur Schau. Sie tänzelte von einem Fuß auf den anderen und suchte jene Dame, mit der Johannes M. Markwart auf Abwege zu geraten sich angeschickt hatte.
Diese Dame, Karin Fabrici, stand im Hintergrund, an einen Sonnenschirm gelehnt, den man bei Einbruch der Dunkelheit zu schließen vergessen hatte, und überblickte das ganze herrliche Bild von Wohlstand, guter und giftiger Laune, offenen und verborgenen Wünschen, von echter Eleganz und von falscher. Sie hatte ihr neues, tief ausgeschnittenes Abendkleid aus großgeblümtem Organdy an, unter dem sie einen in Prinzeßform geschnittenen, ebenfalls weiten seidenen Unterrock in stahlblauer Farbe trug. Ein schlichtes Kollier aus zwei Topasen und einem Turmalin schmückte den schlanken Hals. Da der Abend kühl zu werden versprach, trug Karin um die Schulter einen breiten Schal aus Madeiraspitzen, dessen blendendes Weiß einen sehr, sehr hübschen Gegensatz zu dem durch den Organdy schimmernden Stahlblau des Unterrocks bildete. Im
Haar steckte eine kleine mit Brillantsplittern besetzte Rose aus Rotgold.
Karin fühlte sich bald einsam, und sie konnte dem Treiben, das sie beobachtete, keinen besonderen Reiz mehr abgewinnen. Allerdings hatte es noch gar nicht richtig angefangen. Sie kam sich aber jetzt schon irgendwie ausgeschlossen aus dem ganzen Betrieb vor. Das kam daher, daß sie ohne Begleitung war. Sie hatte noch keine Bekannten in Nickeroog, war heute erst angekommen, war also fremd in diesem Kreis und hatte Hemmungen, sich einfach an irgendeinen Tisch zu setzen. So verblieb sie denn weiter unter der Obhut ihres Sonnenschirms, beobachtete den Pulk der Herren um den Veranstalter Markwart, auf den sich alles konzentrierte, und rang mit dem Entschluß, fortzugehen und sich allein in ihren Strandkorb zu setzen und die Stille der Nacht, das Rauschen des Meeres und die Einsamkeit unter den glitzernden Sternen zu genießen. Ein Hindernis war da nur ihre Garderobe. Ein Abendkleid und ein Strandkorb — das paßte nicht gut zusammen.
Trotzdem wollte sich Karin gerade abwenden und das weite Rund der schaukelnden Lampions verlassen, als sie Bewegung in ihrer Nähe spürte. Leicht erschrocken wandte sie sich um und sah, daß sie Gesellschaft bekommen hatte. Walter Torgau stand hinter ihr.
«Guten Abend«, sagte er mit unterdrückter Stimme.
Fast hätte ihn Karin nicht erkannt. Angezogen wirkte er ganz anders als in der Badehose — nämlich irgendwie so, daß er >wer< war.
«Guten Abend«, grüßte auch Karin.
«Ich habe Sie gesucht.«
«Wozu?«
«Um mich für meine Beschlagnahme Ihres Strandkorbes zu entschuldigen.«
Das war natürlich nicht der Grund, trotzdem führ er fort:»Wissen Sie, ich habe mir das Ganze noch einmal überlegt und bin zu der Ansicht gekommen, daß das, was ich gemacht habe, wirklich unmöglich war. Man tut so etwas nicht. Bitte, verzeihen Sie mir.«
«Sie bereuen also Ihr Verbrechen?«antwortete Karin lächelnd.
«Zutiefst.«
«Dann geht es nur noch darum, die Buße festzusetzen.«»Welche denn?«
«Das muß ich mir noch überlegen. «Sie schien darüber nachzudenken, sagte aber dann:»Übrigens war ich gerade dabei, zu meinem Strandkorb zu gehen und mich in ihn zu setzen.«
«Jetzt?«fragte er ungläubig.
Sie lachte.
«Jetzt wäre ich wenigstens sicher, daß ihn mir niemand streitig machen würde.«
«Darf ich Sie hinbringen?«sagte er bereitwillig. Klar, daß er sich davon etwas versprach.
«Nein«, erwiderte Karin, die seine Absicht erkannte und sie damit durchkreuzte.
«Warum nicht?«
«Weil wir dann ja wieder soweit wären.«
«Wie weit?«
«Daß mir jemand meinen Strandkorb streitig machen würde.«»Sie irren sich.«
«Das glaube ich nicht.«
«Doch, doch, wir würden ihn uns brüderlich teilen.«
«Und was ist mit schwesterlich?«
«Das wäre Ihre Aufgabe.«
Beide lachten. Karin war dem Flirt, der begonnen hatte, weiß Gott nicht abgeneigt, doch eine innere Stimme ermahnte sie, ein bißchen die Bremse anzuziehen. Sie sagte deshalb:»Bleiben wir lieber hier.«»Sie sind wankelmütig«, entgegnete er.»Einmal so, einmal so.«»Warten wir auf das, was uns hier geboten wird.«
«Gefällt Ihnen denn dieser Käse?«
«Käse?«
«Was ist es denn sonst?«
«Das sagen Sie — als Mann?«
«Ja, das sage ich!«
Das klang sehr arrogant. Karin fing an, sich über ihn zu ärgern.
«Solche Veranstaltungen finden doch nur statt, weil die Männer sie verlangen«, erklärte sie.
«Nicht alle Männer.«
«Sie nicht, wollen Sie damit sagen?«
«Ganz recht.«
«Sie halten sich wohl für eine Ausnahme?«
«Vielleicht.«
«Aber eingebildet sind Sie trotzdem nicht, wie?«