«Geschmack hat nichts mit Einbildung zu tun.«
«Geschmack, aha.«
Das Gespräch spitzte sich zu.
«Und Sie haben Geschmack?«fuhr Karin fort.
«Ich denke schon.«
«Einen Geschmack, der sich nicht mit Schönheitskonkurrenzen verträgt?«
«Gegen eine Schönheitskonkurrenz von Pudeln oder Möpsen habe ich nichts einzuwenden«, meinte Walter Torgau wegwerfend.
«Aber gegen eine von attraktiven Mädchen?«sagte Karin.
«Attraktiven Mädchen?«Er nickte geringschätzig hin zu dem Pavillon mit den Bikini-Mädchen.»Sehen Sie sich doch die an. Billigste Ware.«
«Ich sehe, daß ein Teil dieser Ware, wie Sie sich ausdrücken, sehr hübsch ist.«
«Äußerlich vielleicht — aber das allein genügt nicht.«
«Soso.«
«Sie wissen genau, was ich meine. Ein wirkliches Klassemädchen suchen Sie dort vergebens — wie übrigens bei jeder dieser Veranstaltungen.«
Damit hatte Torgau zwar die Auffassung zum Ausdruck gebracht, die Karin selbst insgeheim auch vertrat, aber nun war sie, von ihm gereizt, soweit, daß sie zu ihrer eigenen Überraschung hervorstieß:»Und wenn ich daran teilnehmen würde?«
«Sie?«
«Ja.«»Lächerlich! Sie doch nicht!«
«Warum nicht?«
«Aus verschiedenen Gründen. Einer davon mag Sie ganz besonders überraschen.«
«Welcher?«
«Daß ich suchen würde, Sie daran zu hindern.«
Es blieb ein, zwei Sekunden lang still. Ein gefährlicher Funke tauchte in Karins Auge auf. Dann entgegnete sie gedehnt: »Was würden Sie?«
«Suchen, Sie daran zu hindern«, wiederholte Torgau. Es war der größte Fehler, den er der durch und durch emanzipierten Karin Fa-brici gegenüber machen konnte.
Nun überstürzte sich das Weitere.
«Erstens«, sagte Karin kampfeslustig,»sind Sie nicht mein Vater, der mir Vorschriften zu machen hätte — «
«Das nicht, aber — «
«Oder mein Mann — «
«Auch nicht, leider, aber — «
«Und zweitens würde ich mir auch dann, wenn Sie mein Vater wären — «
«Oder Ihr Mann — «
«— keine Vorschriften von Ihnen machen lassen, merken Sie sich das! Ich lasse mir überhaupt von niemandem mehr Vorschriften machen! Diese Zeiten sind für mich vorbei! Ich bin ein modernes junges Mädchen und weiß selbst, was ich zu tun habe!«
«Aha.«
Dieses ironische >Aha< trieb Karin erst richtig auf die Palme.
«Davon werden Sie sich sehr rasch überzeugen können«, erklärte sie.
«Fräulein Fabrici, Sie — «
Karin war überrascht.
«Woher wissen Sie meinen Namen?«unterbrach sie ihn.
«Ich habe mich erkundigt, das war nicht schwierig. Die Neuanmeldungen — «»Sie haben die Hotels abgeklappert?«
«Nein, nur die Kurdirektion.«
«Aha«, meinte nun Karin, sagte dies jedoch nicht ironisch, sondern wütend.
«Sie wollten sich doch dort über mich beschweren, Fräulein Fa-brici?«
«Ich bedaure, daß ich das noch nicht getan habe.«
«Meine Tante hat mir trotzdem schon den Kopf gewaschen.«
«Ihre Tante?«
«Die Gattin des Kurdirektors.«
«Woher wußte sie Bescheid?«
«Ich habe mich selbst bei ihr angezeigt«, feixte Torgau.»Mein Onkel war gerade nicht da.«
Das Grinsen verging ihm aber rasch wieder. Karin zeigte sich davon unbeeindruckt. Sie war immer noch wütend.
«Sie nehmen das Ganze wohl nicht ernst genug, sehe ich«, sagte sie.»Sie schlagen Kapital daraus, daß Ihre Verwandtschaft Sie vor Unannehmlichkeiten schützt. So gesehen, ist man Ihnen gewissermaßen ausgeliefert, und das nährt Ihren Größenwahn.«
«Größenwahn?«
«Größenwahn, ja. Sie wollten mir vorschreiben, nicht an dieser Schönheitskonkurrenz teilzunehmen. Aber Sie haben sich dazu die Falsche ausgesucht, Herr Torgau!«
Karins Augen flammten im Schein der Lampions.
«Warten Sie nur ein paar Minuten!«setzte sie hinzu und wandte sich von ihm ab.
Schon hatte sie sich einige Schritte entfernt, als ihr Torgau nachrief:»Wohin wollen Sie?«
Über ihre Schulter rief sie zurück:»Zu meinem Hotel.«
«Wozu?«
«Um den Bikini zu holen!«
Torgau stieß einen leisen Fluch aus und rief laut:»Karin!«
Umsonst. Karin Fabrici aus Düsseldorf zeigte sich taub. Rasch entschwand sie und ließ einen Mann zurück, der sich an die Hoffnung klammerte, daß der Weg zum Hotel sie abkühlen und zur Vernunft bringen werde.
In der gleichen Minute gab Johannes M. Markwart, der Veranstalter, dem Kapellmeister ein Zeichen, worauf das Orchester einen Tusch spielte. Still wurde es am Strand, und Markwarts weißer Frack leuchtete in einem grellen Scheinwerferkegel auf dem Laufsteg. Es ging los.
«Meine hochverehrten Damen und Herren«, sagte Markwart mit heller Stimme,»die Kurdirektion gibt sich die Ehre, Sie alle heute aufzunehmen in ein großes Preisrichterkollegium. Zur Wahl steht wieder einmal die >Miß Nickeroog< des laufenden Jahres. Eine erfreulich große Anzahl attraktiver junger Damen hat sich zur Verfügung gestellt, um der Konkurrenz den nötigen Glanz zu verleihen. Danken wir jeder von ihnen. Siegen kann nur eine, aber schon die Teilnahme allein bedeutet eine Auszeichnung. Wir alle kennen dieses berühmte Wort, das der elegante Baron de Coubertin in ähnlicher Form prägte, als er die Neugründung der Olympischen Spiele ins Leben rief. Eine Olympiade der Schönheit veranstalten wir heute auf Nickeroog. Mögen Sie, meine Damen und Herren, Gefallen daran finden, einen Gefallen, der groß genug ist, um jeden von Ihnen auch in den kommenden Jahren immer wieder hierher auf die Insel, dieses Juwel der Nordsee, zu locken. Dies wünscht Ihnen — und sich — die Kurdirektion aus ganzem Herzen.«
Baron v. Senkrecht stand am Fuß des Podiums und hatte zu jedem Satz Markwarts sein Einverständnis genickt, vor allem, als der Name seines Kollegen Coubertin gefallen war.
Markwart hatte noch nicht alles gesagt. Er legte nur eine kurze Pause ein. Nach den Ausführungen allgemeiner Natur, die er bisher zum besten gegeben hatte, wurde er nun konkret. Er fuhr fort:»>Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau'n<, heißt es in der Operette. So leicht ist jedoch heute Ihre Aufgabe, meine Herren im Publikum, nicht. Sie müssen sich schon entscheiden — ob blond oder braun, rot oder schwarz. Ob grüne Augen oder blaue, großer Busen oder kleiner, betonte Hüften oder knabenhafte… das sind alles Ausstattungen der Damen, zwischen denen Sie zu wählen haben. Nicht ganz so schwierig ist die Aufgabe für Sie, meine Damen im Publikum. Lassen Sie sich einen Rat geben von mir: Gucken Sie in den Spiegel, und richten Sie danach Ihre Wahl aus. Jeweils die Teilnehmerin an der Konkurrenz, die Ihnen am ähnlichsten sieht, bekommt Ihre Stimme — ich hoffe, auch die Ihres Gatten, falls Sie verheiratet sind. Ich.«
Markwart mußte infolge des großen Gelächters, das sich erhob, erneut eine Pause einlegen.
«Ich habe die Erfahrung gemacht«, fuhr er dann wieder fort,»daß auf diese Weise der eheliche Frieden am gesichertsten ist. Im übrigen — «
«Anfangen!«rief eine ungeduldige Männerstimme laut.
Baron v. Senkrecht blickte indigniert in die Richtung derselben.
«Im übrigen.«, sagte Markwart noch einmal.
«Fangt schon an, ja!«ertönte ein zweites männliches Organ.
Johannes M. Markwart beugte sich dem Druck. Er hätte zwar noch einiges zu sagen gehabt — schon in der Antike habe z.B. eine Schönheitskonkurrenz stattgefunden, als der Apfel des Paris der schönen Helena zugefallen sei —, unterließ dies aber, seufzte, murmelte statt dessen:»Also gut, ihr Kanaken«, zwang sich zu einem Lächeln, verbeugte sich vor dem Publikum, das zögernd zu applaudieren begann, und gab dem Kapellmeister wieder ein Zeichen, worauf der noch anhaltende Applaus der Leute von einem beginnenden schmelzenden Tango untermalt wurde.