Manfred Barke hatte einen Einfall.
«Das Ganze«, sagte er,»wäre eigentlich ein prima Thema für einen Film.«
«Allerdings«, pflichtete der Baron bei.»Freilich wäre dabei strikte darauf zu achten, daß die Rolle der Wehrmacht nicht wieder im falschen Licht erscheint, so wie wir das jetzt seit Jahrzehnten bis zum Überdruß vorgeführt bekommen. Ich hoffe, Sie verstehen mich?«
«Sie spielen«, nickte der Filmmensch,»auf die soldatische Ehre an?«
«Ganz richtig.«
Das Gespräch der beiden, das noch sehr interessant hätte werden können, erfuhr leider eine Unterbrechung. Johannes M. Markwart trat hinzu und sagte zum Regisseur:»Na, kommen Sie auf Ihre Rechnung?«
Barke blickte hinauf zum Laufsteg, den gerade eine übernervöse Brünette erkletterte.
«Bis jetzt nicht«, erwiderte er.
Die Brünette stolperte über ihre eigenen Beine und erntete demoralisierendes Gelächter, das ihr den Rest gab, sie zu Tränen rührte und einen mitleidigen, hilfsbereiten Geist zwang, sie am Ende des Steges mit einem Becher Eissoda in Empfang zu nehmen und dadurch vor einer Ohnmacht zu schützen.
Barkes Kommentar war vernichtend.
«Mann!«stieß er verächtlich hervor.
«Und was sagen Sie zu der?«fragte ihn Markwart, dessen Lola nun der Brünetten folgte. Lolas Auftritt war eingebettet in Markwarts pflichtbewußtes Lächeln, das ihn, wenn er es versäumt hätte, möglicherweise sein Augenlicht gekostet hätte. Johannes M. Markwart hatte Lolas Fingernägel schon fürchten gelernt, Barke nicht.
«Was soll ich zu der schon sagen«, lautete Barkes Antwort, begleitet von einem Achselzucken.
Etwas Schlimmeres als Reaktion wäre gar nicht mehr denkbar gewesen. Dem Regisseur war das Verhältnis Markwarts mit Lola unbekannt, sonst hätte er vielleicht ein bißchen mehr Takt geübt.
Die ganze Schönheitskonkurrenz entwickelte sich zu einem mittleren Fiasko, wie alle diese Veranstaltungen, die man unter dem Motto Unterhaltung um jeden Preis< einem von Langeweile bedrohten Publikum schuldig zu sein glaubt.
Kurdirektor v. Vondel litt.
«Das geht nicht mehr so weiter«, sagte er leise zu Cölestin Höll-riegelskreuther, dem Geschäftsführer des Kurhauses.»Wir müssen uns für nächstes Jahr endlich etwas anderes einfallen lassen. Ich erwarte von Ihnen möglichst bald entsprechende Vorschläge.«
Immer ich, dachte Höllriegelskreuther. Soll er sich doch seinen Kopf selber zerbrechen, der Idiot.
«Dasselbe sagte ich mir soeben auch, Herr Direktor«, erklärte er.»Geben Sie mir eine Woche Zeit.«
«Tres bien«, lächelte Maitre Sandrou, der danebenstand. Er verstand von allem, was um ihn herum gesprochen wurde, fast kein Wort, lächelte trotzdem unentwegt und sagte immer wieder nur:»Tres bien«- sehr gut.
Er hatte auch Lola und die stolpernde Brünette tres bien< gefunden.
«Es gäbe wohl nur ein Mittel, dem sein >tres bien< auf den Lippen ersterben zu lassen«, raunte der zum Sarkasmus neigende Filmregisseur Barke dem Veranstalter Markwart ins Ohr.
«Und das wäre?«
«Seine Frau über den Laufsteg zu treiben.«
Eleganz war an Madame Sandrou alles, Schönheit nichts. Das Modehaus in Paris gehörte ihr. Albert war ein armer Junge aus der Provinz gewesen. Sie hatte ihn sich, er hatte sie sich geangelt. Auf diese Weise können durchaus funktionierende Ehen entstehen, deren
Basis das Geld der Gattin auf der einen Seite, sowie das Aussehen plus die Virilität des Gatten auf der anderen Seite bilden.
Danielle Sandrou wußte allerdings — und das hat in sämtlichen Fällen, die so gelagert sind, ausnahmslos stets Gültigkeit —, daß sie ihren Albert keine Stunde aus den Augen lassen durfte. Deshalb war sie auch mit nach Nickeroog gekommen. Sie saß an einem der vordersten Tische, damit ihr nichts entging.
Anzeichen mehrten sich, daß das Interesse des Publikums an der Veranstaltung zu erlahmen begann. Die Leute fingen an, sich zu unterhalten und einander nach den Plänen des kommenden Tages zu fragen.
«Ein Mädchen hätte ich ja gehabt«, sagte Johannes M. Markwart zum Regisseur Barke,»das auch Sie vom Stuhl gerissen hätte, das garantiere ich Ihnen.«
Er zuckte die Achseln.
«.leider ist sie nicht erschienen«, schloß er.
«Weshalb nicht?«fragte Barke.»Bekam sie kalte Füße?«
«Anscheinend.«
«Hatte sie denn zugesagt?«
«Nein, direkt zugesagt nicht, aber — «
Markwart blickte plötzlich mit starren Augen über Barkes Schultern hinweg zum Pavillon.
«Moment mal«, unterbrach er sich.»Da ist sie ja.«
Barke drehte sich um und stieß nach zwei, drei Sekunden einen Pfiff durch die Zähne aus. Das war eine Reaktion, die mehr aussagte, als ein Wust bombastischer Worte hätte tun können.
Sehr rasch mußte Markwart erkennen, daß seine sofortige Anwesenheit im Pavillon erforderlich war. Er setzte sich in Bewegung. Noch während er unterwegs war, rief er scharf:»Lola!«
Ein Skandal mußte verhindert werden. Lola hatte schon die ganze Zeit auf der Lauer gelegen. Karin Fabricis Auftauchen im Pavillon hatte ihr also nicht entgehen können. Rascher als Markwart entdeckte sie Karin und stürmte in den Pavillon, den sie zehn Minuten vorher zu ihrem Auftritt verlassen hatte. Wer sie kannte, wußte, was nun ganz rasch zu passieren drohte.
«Lola!«rief Markwart ein zweites Mal.
Lola achtete nicht darauf. Sie hatte nur Augen für Karin, auf die sie eindrang. Karin wußte nicht, wie ihr geschah, erkannte jedoch das Furienhafte an der Feindin, die ihr rätselhafterweise urplötzlich erstanden war, und dachte nur noch an Flucht. Zurück konnte sie nicht mehr, dieser Ausgang des Pavillons war ihr durch Lola verstellt. Sie entwich also nach vorn, sah das Treppchen vor sich, das schon sechzehn Mädchen im Bikini erstiegen hatten, und rettete sich auf den Laufsteg. Dort oben war sie in Sicherheit.
Das ging alles so schnell, daß auch Walter Torgau, wäre er in der Nähe gewesen, Karin nicht mehr am Betreten des Laufstegs hätte hindern können.
Markwart packte Lola am Arm, riß sie von der Treppe zurück und stieß sie in den Pavillon hinein.
«Laß mich!«fauchte sie, sich wehrend.»Laß mich, du Schwein!«
Er hatte keine andere Wahl als die, ihr den Arm auf den Rücken zu drehen.
«Willst du mich ruinieren?«keuchte er.
«Jajaja!«
«Und warum?«
«Um dir dein abgekartetes Spiel mit der zu versalzen!«
«Das ist kein abgekartetes Spiel. Ich bin selbst so überrascht wie du, daß sie auftaucht.«
Lola hörte auf, sich losreißen zu wollen, und blickte ihn an.
«Das glaube ich dir nicht.«
«Frag sie selbst. Frag, wen du willst.«
Der Zweifel in Lolas Gesicht wollte nicht weichen.
«Sieh sie dir doch an«, fuhr er fort.»Sie hat ja nicht einmal eine Nummer für ihren Auftritt zur Verfügung.«
Das stimmte. Verblüfft mußte Lola sich das widerstrebend selbst eingestehen.
Auf dem Laufsteg tat sich Seltsames. Karin mußte anhalten, als sie die Stufen emporgesaust war und dann oben geblendet im grellen Licht des Scheinwerfers stand. Unten herrschte für sie momentan nur Dunkelheit. Karin konnte nichts und niemanden erkennen. Bin ich verrückt, fragte sie sich, was mache ich da überhaupt? Wenn mich Vater sehen würde — großer Gott!
Aber zu jenem Gedanken an eine Korrektur des Geschehenen war es jetzt zu spät. Als Karin oben stand und der Kegel des Scheinwerfers sie erfaßte, gab es kein Zurück mehr.
Die Ereignisse im Pavillon fanden ihren Abschluß darin, daß Lola, um sich selbst nicht ins Unrecht zu setzen, ihrem Johannes eine klatschende Ohrfeige verabreichte und sich laut heulend ins Innere des Pavillons flüchtete.
Baron v. Senkrecht hatte die Situation noch nicht erfaßt. Er starrte auf das Mädchen auf dem Laufsteg und hätte, wenn man ihn nach seinem sizilianischen Abenteuer gefragt hätte, nur noch eine Miene der Geringschätzigkeit zeigen können. Das Ringen zwischen Markwart und Lola am Fuße des Treppchens entging ihm zwar nicht, er konnte es aber geistig nicht verarbeiten. Seine Wahrnehmungen wurden fast ausschließlich von Karin in Anspruch genommen.