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Klein-Karin wuchs zu einer Karin und schließlich zu einem außergewöhnlich hübschen jungen Mädchen heran, dessen Position gewissermaßen zwischen der ihrer Mutter und der ihres Vaters lag. Paul Fabrici war, wie gesagt, ein Banause, Mimmi Fabrici das Gegenteil (oder glaubte es zumindest zu sein). Karin Fabrici, die Tochter, schätzte sowohl Kommerz als auch Bildung, übertrieb aber weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Sie war ein begehrtes, intelligentes, frisches, natürliches Mädchen, das von ihrem Vater als ganz persönlicher Schatz angesehen wurde. Gerade deshalb störte ihn ein gewisser Punkt an ihr ganz erheblich — sie schrieb ein Wort groß: EMANZIPATION.

Schon mit sechzehn ging das bei ihr los. Sie rauchte, obwohl ihr dabei übel wurde, weil ein Mädchen dasselbe Recht hat wie ein Jun-ge<. Mit siebzehn ließ sie sich vom Arzt die Pille verschreiben, obwohl sie ein Leben führte, in dem Verhütungsmittel so überflüssig waren und weiterhin auch noch blieben wie mit sieben. Mit neunzehn entschloß sie sich, den nächsten Urlaub, der unmittelbar vor der Tür stand, nicht mehr zusammen mit den Eltern zu verbringen, sondern allein auf eine Nordseeinsel zu fahren. Vater fiel fast vom Stuhl, als sie dies am Frühstückstisch bekanntgab, indem sie sagte:»Ich habe es mir überlegt, ich fahre nächste Woche nicht mit euch nach Kärnten.«

Paul Fabrici ließ die Zeitung, in der sein Kopf steckte, bis zur Nase sinken und antwortete:»Du willst zu Hause bleiben?«

«Nein.«

«Was dann? Zur Oma fahren?«

«Um Gottes willen!«

«Wenn du nicht zu Hause bleiben und nicht zur Oma fahren willst, dann weiß ich nicht, was dir vorschwebt.«

«Ich möchte mal an die Nordsee.«

Paul Fabricis Zeitung sank ganz herunter auf den Tisch.

«Kind«, sagte er väterlich,»was soll denn der Unsinn? Du weißt doch ganz genau, daß wir in Millstadt schon Zimmer gebucht haben. Erwartest du etwa, daß wir das rückgängig machen?«

«Nein.«

«Was heißt nein? Wenn du dabei bleibst, an die Nordsee zu wollen, müssen wir Kärnten sausen lassen.«

Paul Fabrici blickte immer noch nicht durch. Das geschah aber nun, als Karin erwiderte:»Keineswegs. Ihr beide fahrt nach Mill-stadt und ich auf eine Nordseeinsel.«

«Allein?«Mehr konnte Vater Fabrici in seiner Fassungslosigkeit nicht hervorstoßen.

«Ja, allein.«

Fabrici sah seine Tochter absolut ungläubig an, dann wanderte sein Blick zu Mimmi Fabrici, Karins Mutter.

«Hast du das gehört?«fragte er sie.

«Was?«

Mimmi las in jenen Tagen Die Dämonen< von Dostojewski. Das ging über ihre Kräfte. Außerordentlich ermüdet sank sie abends ins Bett, fand nur unruhigen Schlaf und erhob sich morgens in einem entsprechenden Zustand aus ihren Federn. Ein Psychiater hätte sie >als sehr gestört in ihrer Konzentrationsfähigkeit bezeichnen müssen. Zur Teilnahme an Gesprächen am Frühstückstisch benötigte sie einen Anlauf.

Paul Fabrici mußte sich wiederholen.

«Ob du das gehört hast, frage ich dich.«

«Ob ich was gehört habe?«

«Was Karin sagte.«

«Was hat sie denn gesagt?«

Paul Fabrici lief rot an.

«Himmel Herrgott!«begann er.»Wo bist du denn wieder mit deinen Gedanken?«

«Bei Dostojewski«, entgegnete Mimmi würdevoll. Das Mitleid, das sie dabei für ihren Gatten empfand, war weder zu überhören noch in ihrer Miene zu übersehen.

Paul winkte wegwerfend mit der Hand und wandte sich seiner Tochter zu.

«Karin, teile auch deiner Mutter mit, was du mir eröffnet hast.«

Karin leistete dieser Aufforderung Folge. Sie erzielte damit eine vorübergehende Herabminderung des Interesses ihrer Mutter an Weltliteratur und eine Hinwendung zu familiären Angelegenheiten.

Mimmi sagte zu ihrer Tochter:»Das darfst du nicht, Karin.«

«Doch, Mutti.«

Daraufhin sagte Mimmi zu ihrem Mann:»Das mußt du ihr verbieten, Paul.«

«Hörst du«, wurde Karin von ihrem Vater gefragt,»was deine Mutter von mir verlangt?«

«Ja.«

«Du weißt also, daß du nicht an die Nordsee fährst, sondern nach Kärnten.«

«Einverstanden«, nickte Karin zur Überraschung ihrer Eltern.

Die beiden lächelten erlöst, doch sie taten das zu früh. Das Lächeln verschwand wieder aus ihren Zügen, als Karin hinzusetzte:»Wir tauschen. Ich fahre nach Kärnten und ihr an die Nordsee.«

Damit war endgültig klar, worauf es ihr ankam. Wichtig war ihr nicht Salz- oder Süßwasser, das Meer oder die Alpen — wichtig war die Abnabelung von den Eltern.

Wie dieses Ringen am Frühstückstisch endete, wird jedem Leser klar sein — mit dem Sieg Karins. Wer die heutige Jugend kennt, weiß, daß Paul und Mimmi Fabrici auf verlorenem Posten standen. Die Kapitulation der Eltern wurde deutlich, als Paul sagte:»Weißt du, was zu meiner Zeit passiert wäre, Karin, wenn ich als Sohn meinem Vater mit einer solchen Idee gekommen wäre? Und erst als Tochter! Weißt du, was da passiert wäre?«

«Woher soll ich das wissen, Vati? Opa hatte ja gar keine Tochter.«

«Das spielt keine Rolle. Du weißt genau, was ich sagen will.«

«Ja — daß bei euch alles ganz anders war.«

«War es auch!«

«Und daß wir schon noch sehen werden, wo wir hinkommen.«

«Werdet ihr auch!«

«Laß nur mal die Zeiten schlechter werden.«

«Ja, dann — «

Paul Fabrici brach ab. Der Spott in den Worten seiner Tochter war zu deutlich. Sein Blick wechselte von ihr zu seiner Frau, als sei von dieser Beistand zu erwarten. Doch das war ein Irrtum, Mim-mi Fabrici schwieg, sie wußte, daß die Entscheidung schon gefallen war. Außerdem benötigte sie derzeit ihr inneres Kräftepotential nicht für solche Konflikte, sondern für ihre Auseinandersetzung mit den großen russischen Schriftstellern. Wie so oft mußte also Paul Fabrici erkennen, daß er alleinstand.

«Hat ja keinen Zweck«, sagte er, winkte mit der Hand, faltete seine Zeitung zusammen, erhob sich, obwohl er erst halb gefrühstückt hatte, steckte die Zeitung in die Jackettasche und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und verkündete:»Ich jeh ins Jeschäft. Macht ihr, wat ihr wollt.«

Mimmi Fabrici seufzte, als er verschwunden war, und rührte in der Kaffeetasse herum. Immer dasselbe, dachte sie. Er weiß, wie mich das nervt, wenn er in seinen Dialekt der Gosse zurückfällt, trotzdem verschont er mich damit immer wieder nicht. Er ist und bleibt ein ungehobelter Klotz, der kein Gefühl für gehobene Lebensart hat. Zwar verdient er viel Geld, doch das tun andere auch und gehören dabei zur Gesellschaft. Aber Paul? Nie werde ich mit ihm in bessere Kreise eindringen, nie wird man mich bei Freifrau v. Sarrow oder bei Generaldirektor Dr. Borne einladen. Paul kann keinen Smoking tragen — er sieht darin aus wie eine Karikatur. Und wenn er den Mund aufmacht und >enä< sagt, ist die Gesellschaft geplatzt.

Das war es, was an der Seele Mimmi Fabricis nagte. Sie waren wohlhabend, konnten sich fast alles leisten, was das Herz begehrte, aber sie spielten trotzdem keine Rolle. Die Leute, zu denen Mimmi aufblickte, ignorierten sie und ihren Mann. Für diese war und blieb Paul Fabrici ein Emporkömmling, nichts weiter; ein Parvenue, sagten die ganz feinen Herrschaften und rümpften die Nase; angefangen hat er mit Milch und Edamer.

Mimmi dachte an ihr unzugängliche Bridgepartien, an ebensolche Cocktail-Partys und Tanztees, und ihr Mutterherz krampfte sich zusammen, wenn sie sich sagen mußte, daß sich ihrer Karin nie die Gelegenheit bieten würde, einen Mann der großen Gesellschaft kennenzulernen, um von ihm zum Traualtar geführt zu werden.