Vielleicht war der schockierende Einfall Karins, allein in Urlaub zu fahren, gar nicht so verkehrt. Vielleicht begegnet ihr auf einer Nordseeinsel, sagte sich Mimmi, ein solcher Mann. Sollte das passieren, konnte es nur gut sein, wenn Paul Fabrici, Karins Erzeuger, weit vom Schuß war. Wäre er nämlich das nicht, drohte doch nur die Gefahr, daß sich alles gleich wieder zerschlüge, weil er die Ablehnung jedes Zugehörigen der besseren Kreise wachrufen würde. O nein, nur das nicht!
Je länger Mimmi Fabrici über Karins neuesten Schritt der von ihr praktizierten Emanzipation nachdachte, desto mehr gewann sie demselben Geschmack ab. Natürlich wird es notwendig sein, sagte sich die Mutter, daß dem Kind die notwendigen Anleitungen mit auf den Weg gegeben werden; am besten sofort.
«Karin, du — «
Wo war sie denn? Mimmi Fabrici sah auf und blickte herum. Das Zimmer war leer, Karin hatte es unbemerkt verlassen. Das tat sie häufig, wenn sie bemerkte, daß Mutter in Nachdenken versunken war, weil man in den allermeisten Fällen annehmen mußte, daß dieses Nachdenken ein mit der Literatur zusammenhängendes war, aus dem sich Mimmi Fabrici ungern aufschrecken ließ.
Karin konnte aber nur auf ihr Zimmer gegangen sein, weil sie noch ihre Hausschuhe angehabt hatte.
Seufzend stand Mimmi Fabrici auf und schellte dem Dienstmädchen zum Abräumen. Dann stieg sie die breiten, mit Seidenteppichen belegten Treppen empor zur Kemenate ihrer Tochter und trat nach einem kurzen Anklopfen ein.
Karin saß auf ihrer breiten Schlafcouch und starrte in den weit geöffneten Kleiderschrank, aus dem die Kleider herausquollen. Sie sah reichlich hilflos aus und hob beim Eintritt der Mutter wie flehend die Arme.
«Mutti«, begann sie mit kläglicher Stimme,»ich habe nichts anzuziehen, ü-ber-haupt nichts. Alle meine Sachen sind völlig aus der Mode. Da, das Lavabelkleid, sieh dir das an — das kann ich doch nicht mehr tragen! Und das Musseline? Schrecklich! Ebenso das rotweiß gestreifte Seidene. Nicht einmal mehr unsere Erna könnte man damit auf die Straße schicken. Ich muß mich für die See ganz neu ausstatten, das ist absolut notwendig. Sag das Vati, bitte.«
Erna war das Dienstmädchen der Fabricis.
«Kind«, antwortete Mutter Mimmi verständnisvoll,»das mache ich schon.«
Wenn Frauen sich über Kleider unterhalten, sind sie sich immer in einem Punkt einig: Man hat zuwenig davon. Es verschwinden dann sogar die Gegensätze zwischen Mutter und Tochter, und man ist ein Herz und eine Seele in dem Bewußtsein, daß Kleider überhaupt das Wichtigste im Leben einer Frau sind.
«Natürlich brauchst du einiges«, sagte Mimmi und wühlte in dem Kleiderschrank.»In diesen Fähnchen kannst du dort nicht herumlaufen. Deinem Vater werden wir schon heute beim Mittagessen gemeinsam das Messer an die Brust setzen. Erst wird er sich sträuben, du kennst ihn ja, aber schlimmstenfalls vergießt du ein paar Tränen, dann werde ich ihn fragen, wie lange er das mitansehen will.
Wozu er eine Tochter in die Welt gesetzt hat, wenn er sie nackt herumlaufen läßt? Und das ist ihm noch immer an die Nieren gegangen. Allerdings wirst du dir dafür wieder ein paar Worte von ihm anhören müssen, wie das früher war, und mich wird er mit seinem unausstehlichen Jargon quälen. Aber das müssen wir beide eben ertragen. Das Ende vom Lied wird der gewünschte Scheck sein, mit dem du gleich morgen zur Königsallee gehen und dir aussuchen kannst, was dir gefällt. Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit.«
Karin küßte ihre Mutter dankbar auf die Wange und beugte sich dann mit ihr über eine Liste, auf der sie schon alles verzeichnet hatte, was sie nötig zu haben glaubte. Nachdem die einzelnen Posten Mimmis Billigung gefunden hatten, räusperte sie sich und sagte:»Karin, ich möchte aber auch noch über ein paar andere Dinge mit dir reden. Schau, es ist nun das erstemal, daß du ohne unseren Schutz in die Welt hinausfährst, und ich hoffe, du bist dir im klaren, was da auf dich zukommen kann.«
«Was denn?«
«Männer, die gefährlich sind.«
«Hoffentlich.«
Mimmi hob den Zeigefinger.
«Karin, ich spreche von Kerlen, die nichts anderes im Sinn haben, als dich zu verführen.«
«Auch das muß einmal sein, Mutti.«
«Karin!«Mimmi schüttelte den Zeigefinger in der Luft.»Du sollst dich nicht immer über mich lustig machen. Du mußt mich richtig verstehen. An sich bist du in einem Alter, in dem auch das, wie du dich ausdrückst, einmal sein muß, sicher. Aber nicht mit dem Falschen! Nicht mit einem, der nur gut aussieht! Diese Gefahr ist bei euch jungen Mädchen immer riesengroß. Oder mit einem, der nur Geld hat. Was hättest du denn davon? Sieh mich an. Was habe ich von unserem ganzen Besitz? Nichts. Du verstehst, was ich meine?«
«Wann gehen wir morgen zum Einkaufen, Mutti?«»Wann du willst — aber weiche jetzt bitte nicht vom Thema ab. Ich erwarte von dir, daß du dir den Mann, mit dem du. na, du weißt schon, ich will das nicht noch einmal in den Mund nehmen… daß du dir also diesen Mann vorher genau ansiehst. Ist er gebildet? Hat er Lebensart, Stil, verstehst du? Ein Beispieclass="underline" Fragt er, wenn er in Florenz ankommt, nicht nach dem nächsten Käseladen, um sich Anregungen zu holen, sondern nach den Uffizien? So meine ich das!«
«Ja, Mutti.«
«Versprichst du mir das?«
«Was? Daß ich mit jedem erst nach Florenz fahre, um ihn zu prüfen, ehe ich mit ihm — «
«Karin!«
«Ja?«
«Was hättest du jetzt um ein Haar wieder gesagt! Du bist kein feines Mädchen, obwohl ich mir mit dir die größte Mühe gebe. Wie oft muß ich dir ins Wort fallen, um zu verhindern, daß du mich an deinen Vater erinnerst?«
«Entschuldige, Mutti.«
«Es geht doch darum, daß du dir nicht selbst alle Chancen verdirbst, wenn du den Richtigen kennenlernst und ich nicht dabei bin.«
«Ich werde schon aufpassen«, sagte Karin. Sie kannte diese Debatte und hatte keine Lust, sie noch länger fortzuführen.
«Wo sind eigentlich meine Badesachen?«fragte sie.
Von der Suche danach, die sogleich einsetzte, wurde sie so sehr in Anspruch genommen, daß kein Gespräch mit Mutter mehr zustande kam. Dies einsehend, räumte Mimmi das Feld.
Kapitel 2
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen — sagt man hernach. Vorher ist es meistens so, daß der Tag der Abfahrt nicht schnell genug heranrücken kann. Hat man ein Jahr lang auf den Urlaub gewartet, will man möglichst rasch dem verhaßt gewordenen Alltag entfliehen. Aber so schnell geht das nun auch wieder nicht.
Hat man schon ein Zimmer? Nein. Also los, zum Reisebüro! Oder man setzt sich selbst telefonisch mit einem Hotel bzw. einer Pension in Verbindung. Das erfordert aber oft vier, fünf und noch mehr Versuche, gerade in der Hauptsaison.
Dann muß, wie von Karin geplant, eingekauft werden. Auf ihrer Liste standen: drei neue Tageskleider; ein Abendkleid; Schuhe; Shorts; Strandkleidung; eine moderne Sonnenbrille; Parfüm; Filme für den Fotoapparat; zwei Frottiertücher, extra groß; Sonnenöl; Badetasche; Bademantel; Badehaube.
Die Badesachen mußten neu gekauft werden, weil sich die alten entweder nicht mehr fanden oder unmodern geworden waren. Letzteres traf ganz besonders auf die Badehaube zu, die neuerdings nicht mehr glatt sein durfte, sondern einen aus Gummiteilen angefertigten Blumenschmuck aufweisen mußte.
Nagellack mußte auch besorgt werden, und zwar einer, der zum frisch erworbenen Bademantel paßte.
Das Wichtigste war ein neuer Badeanzug. Karin suchte lange nach einem und kaufte dann zur Vorsicht gleich zwei. Sie wählte mit großer Sorgfalt aus — einen Bikini für besondere Fälle und einen normalen, altertümlichen, falls auch der Pastor der Insel zum Strand kommen sollte, um Kühlung im Wasser zu suchen. Mimmi Fabri-ci stand daneben, hielt den Bikini in der Hand, versuchte vergeblich, sich vorzustellen, was damit bedeckt werden sollte, und gab es dann auf, sich über die moderne Jugend zu wundern. Auf jeden Fall sah sie, daß Karin den Zweck der Reise begriffen hatte und alle Dinge kaufte, die dazu dienlich sein mochten, nicht nur ungebildete, ungehobelte Männer in Aufregung zu versetzen, sondern auch Akademiker und — noch besser — Herren von Adel, falls solche vorhanden sein sollten.