«Und wie lange steckt sie mit Dr. Bachern schon unter einer Dek-ke?«
«Paul, ich bitte dich, wie sprichst du denn! Wie lange steckt sie mit Dr. Bachern schon unter einer Decke? Das klingt ja geradezu nach Verbrechen.«
«Wie lange?«
«Seit Jahren.«
Das war wieder ein Hammer.
«Waaas? Seit.«
Das Wort erstarb Paul auf der Zunge. Ausdrücke sammelten sich in ihm an, ganz schlimme. Mimmi erkannte, daß sie rasch reagieren mußte.
«Was regst du dich auf?«sagte sie.»Das heißt doch nicht, daß sie die regelmäßig auch hätte nehmen müssen. Das war nicht der Fall.«
«Soso?«meinte er ironisch.
«Karin ist heute noch Jungfrau.«
Das konnte Paul nach dem, was er gehört hatte, nicht glauben. Drohend blickte er seine Frau an.
«Mimmi, ich warne dich, dieses Spiel mit mir noch länger fortzusetzen. Ihr habt mich lange genug als Trottel angesehen. Schluß jetzt damit!«
«Karin ist heute noch Jungfrau«, wiederholte Mimmi.
«Dann verstehe ich nicht. «Paul unterbrach sich selbst:»Ich versehe mich doch in der Sahara nicht mit Schlittschuhen. Oder in Grönland mit Badehosen?«
Mimmi mußte kurz lachen, dann erwiderte sie:»Du kennst deine Tochter nicht, Paul. Du hast überhaupt von den heutigen jungen Mädchen keine Ahnung. Die wollen sich… wie soll ich sagen?
… die wollen sich auf diesem Gebiet aufspielen. Wenn die glauben, es sei soweit, daß sie die Pille brauchen — und das glauben sie viel früher als zu unserer Zeit —, dann besorgen sie sie sich. Weil das ihr gutes Recht ist, sagen sie. Weil wir ohnehin viel zu rückständig sind, um das zu verstehen. Und dazu kommt auch noch, daß keines der Mädchen bei ihren Freundinnen in den Verdacht geraten will, selbst rückständig zu sein. Da muß nur eine mit der Pille anfangen, dann setzt sich das wie eine Kettenreaktion fort. In Karins Schulklasse war das so — «
«Schulklasse!«rief Paul explosiv dazwischen.
«— und schließlich und endlich darfst du auch Dr. Bachern nicht vergessen.«
«Warum darf ich den nicht vergessen? Weil der dran verdienen wollte?«
Mimmi machte eine wegwerfende Geste.
«Ach was! Karin selbst sagte mir, als ich mich genauso wunderte wie du dich, daß es ihr, nachdem sie sich bei Dr. Bachern das erstemal ein Rezept geholt hatte, doch nicht mehr möglich war, damit wieder aufzuhören.«
«Warum nicht?«
«Weil das ihr Ansehen bei ihm geschädigt hätte.«
Restlos entgeistert blickte Paul Fabrici seine Frau an, wobei er sagte:»Das mußt du mir schon näher erklären.«
«Dr. Bachern hätte doch dann gesehen, daß sie keine Pille mehr braucht.«
«Na klar! Und?«
Mimmi seufzte.
«Paul«, sagte sie,»sei um Himmels willen nicht so begriffsstutzig; das liegt doch auf der Hand.«
«Was liegt auf der Hand?«
«Welche Perspektive sich dadurch dem Dr. Bachern automatisch eröffnet hätte.«
Paul guckte noch immer dumm. Mimmi hatte recht, Paul Fabrici kannte sich zwar in Ein- und Verkaufspreisen aus, aber nicht in der Psyche moderner junger Mädchen.
Nach einem zweiten Seufzer erklärte Mimmi:»Karin konnte es auf keinen Fall darauf ankommen lassen, daß bei Dr. Bachern der Eindruck entstanden wäre, sie sei nach einem ersten Versuch bei keinem Mann mehr gefragt. Verstehst du das?«
Zwar fiel endlich der Groschen bei Paul, aber daß er das, was Mim-mi gesagt hatte, auch verstanden< hätte, konnte man nicht behaupten.
«Das darf doch nicht wahr sein«, stieß er hervor.
«Doch«, nickte Mimmi, ihn bei der Hand nehmend,»so ist das heute.«
«Wenn die früher jevöjelt han — «
«Paul!«
«Wenn die früher gevögelt haben«, besann er sich wenigstens aufs Hochdeutsche,»hatten sie vor nichts mehr Angst, als davor, daß das bekannt würde. Aber heute«- er holte Atem —»heute ist offensichtlich das Gegenteil der Fall.«
Mimmi hatte Pauls Hand wieder losgelassen, sie geradezu von sich gestoßen.
«Ich will solche Ausdrücke nicht mehr hören!«
«Ist doch wahr.«
«Sei wenigstens froh, daß bei Karin Theorie und Praxis so weit auseinanderklaffen. Das vergißt du wohl?«
«Was vergesse ich?«
«Daß sie nur den Anschein erweckt, als ob sie es ganz toll mit Männern treiben würde; das ist die Theorie. In Wahrheit ist sie noch Jungfrau; das ist die Praxis. Wäre es dir umgekehrt lieber?«
«Wer sagt dir denn das?«
«Was?«
«Daß sie noch Jungfrau ist.«
«Karin sagt mir das!«
Paul schnaubte verächtlich durch die Nase.
«Und du glaubst das?«»Ja.«
«Ich nicht!«
«Weil du keine Ahnung hast. Es gibt keinen Grund, warum mir Karin nicht die Wahrheit gesagt haben sollte.«
«Warum nicht?«
«Erstens tat sie es unaufgefordert. Und zweitens sieht sie in ihrer Jungfräulichkeit nichts Rühmliches, sondern eher — in ihrem Alter — einen Makel.«
«Sind denn die alle verrückt?!«schrie Paul Fabrici.
Mimmi raubte ihm die letzten Illusionen, indem sie erwiderte:»Wenn du's genau wissen willst — Karin freut sich auf den Tag, an dem sie mir mitteilen kann, daß es passiert ist.«
Paul blickte um sich wie ein Irrer.
«Und dazu fährt sie ans Meer«, ächzte er.»Allein! Ohne uns!«
Die Wogen glättend, sagte Mimmi:»Sie hat ja die Pille bei sich, Paul. Davon verspreche ich mir mehr, als ich es von unserer Aufsicht tun würde. Diese würde sich nämlich im entscheidenden Moment genauso wirkungslos erweisen wie jedesmal seit Adam und Eva.«
Mimmi Fabrici schien — jedenfalls auf dem zur Debatte stehenden Gebiet — eine große Realistin zu sein. Paul kam da nicht mit. Er blickte sie an, schüttelte den Kopf, schaute zur Tür, schüttelte noch einmal den Kopf und verkündete seine alte Parole:
«Ich jeh ins Jeschäft.«
Kapitel 3
Nickeroog liegt vor der Nordseeküste. Es ist eine Insel mit einem Bad, das vornehmlich von Leuten besucht wird, die Spaß daran haben, aus einem langweiligen sandigen Strand ein kleines Paradies zu zaubern. Anscheinend gefällt das sehr vielen Menschen, denn wie die Pilze waren die weißen Hotels, die Strandpromenaden, die Pensionen, die >Original Fischerhäuser< und die eleganten Nachtbars emporgeschossen, und der flache Strand vor den Dünen, die Reihen der bunten Strandkörbe und die vielen Wimpel über den Sandburgen erweckten in den Gästen, die ankamen, das Gefühl, in eine ungewohnte, völlig unbeschwerte Welt einzutreten.
Wie überall an der See lagen auch hier die braunen Gestalten in der Sonne und ließen sich braten, wie überall spielten Kinder mit dicken Bällen, saßen ältere Herren in großen Burgen und kloppten Skat, flirteten junge Mädchen mit athletischen Typen, die sich, wenn sie Zeitung lasen, nicht für den Kulturteil, sondern für die Seite mit dem Sport interessierten, machten Eisverkäufer gute Geschäfte und hatten Mütter mit Kindern alle Hände und Augen voll zu tun, um zu verhindern, daß ihnen ihre Kleinen zu Verlust gingen.
Als Karin auf Nickeroog eintraf und im Palast-Hotel das von ihr bestellte Zimmer bezog, begegnete sie gleich in der Halle einem Mann, der sich nicht scheute, sie auffällig zu mustern und ihr sogar anerkennend zuzunicken. Karin war verwirrt. Wie kommt mir denn der vor? dachte sie. Wenn er ein Ami wäre, würde er mir sicher auch noch nachpfeifen. Und das in einem solchen Haus!
Der Mann war aber kein Amerikaner, das verriet schon seine Kleidung. In dieser Beziehung übertreffen ja bekanntlich die Leute aus der Neuen Welt einander bis zur Unmöglichkeit.