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»Können Sie das beweisen, Sir?«, fragte Austwick in höflichem Ton.

»Natürlich nicht!«, fuhr ihn Narraway an. Stellte sich der Mann absichtlich begriffsstutzig? Er wusste genauso gut wie Narraway, dass man bei solchen Transaktionen keine Spuren hinterlassen durfte, die als Beweis dienen konnten. Was auch immer er jetzt zu seiner Rechtfertigung beweisen könnte, hätte sich jeder Beliebige zunutze machen können, um Mulhare das Genick zu brechen.

»Sie werden einsehen, dass damit die ganze Sache fragwürdig erscheint«, sagte Austwick in halb entschuldigendem Ton und mit ausdruckslosem Gesicht. »Es dürfte sich sehr empfehlen, Sir, irgendeinen Beweis dafür zu finden, dass es sich so verhält, wie Sie sagen, damit man die Angelegenheit als erledigt betrachten kann.«

Narraways Gedanken jagten sich. Er hatte einen genauen Überblick über alles, was sich auf den von ihm geführten Bankkonten befand, sowohl den dienstlichen als auch den privaten. Austwick hatte gesagt, man habe das bewusste Konto

»Ich sehe mir das Konto an«, sagte er mit kalter Stimme.

»Ein guter Gedanke, Sir«, stimmte Austwick zu. »Vielleicht finden Sie dabei auch eine Erklärung dafür, warum das Geld an Sie zurückgegangen ist, und einen Beweis für den Grund, aus welchem der arme Mulhare es nie bekommen hat.«

Schlagartig begriff Narraway, dass diese Worte Austwicks keine Anregung waren, sondern eine ernst gemeinte und kaum verhüllte Drohung. Mit einem Mal erfasste ihn die Sorge, dass seine Stellung im Sicherheitsdienst gefährdet sein könnte. Ihm war klar, dass er sich im Laufe der Jahre auf seinem Weg an die Spitze der Organisation Feinde gemacht hatte, und erst recht, seit er sie leitete. In dieser Position hatte man immer wieder harte Entscheidungen zu treffen, mit denen zwangsläufig nicht jeder einverstanden war. Opfer mussten gebracht werden, und zwar sowohl in Bezug auf Ideale als auch auf Menschen. In seinem Beruf hatte man es mit dem Auf und Ab geschichtlicher Ereignisse zu tun, da war kein Platz für Sentimentalität.

Er hatte Pitt aufgenommen, als man diesen mit Hilfe einer gegen ihn gerichteten Intrige aus seiner Führungsposition in der Hauptstadtpolizei hinausgedrängt hatte. Seine Absicht war es gewesen, dem Mann damit einen Gefallen zu tun, da er eine Familie zu ernähren hatte. Anfangs war er mit Pitt, der weder für die speziellen Bedürfnisse des Sicherheitsdienstes ausgebildet war noch dessen Aufgaben alle vollständig akzeptierte, nicht recht zufrieden gewesen. Doch Pitt hatte alles Erforderliche rasch gelernt, und da er die Eigenschaften eines außergewöhnlichen Kriminalisten besaß, nämlich Beharrlichkeit und

Obwohl Narraway nach dem Grundsatz lebte, menschliche Gefühle aus dem beruflichen Umfeld herauszuhalten, konnte er Pitt gut leiden.

Aus all diesen Gründen hatte er ihn vor dem Neid und der Kritiksucht seiner Kollegen geschützt. Einerseits hatte Pitt seine herausgehobene Position mittlerweile mehr als verdient, und zum anderen dachte Narraway nicht daran, sich in seine Entscheidungen hineinreden zu lassen. Inzwischen gestand er sich ein, dass es teilweise auch um Charlottes willen geschehen war. Wenn Pitt nicht zu seiner Abteilung gehörte, gäbe es für ihn keinen Vorwand, sie wiederzusehen.

»Ich kümmere mich darum«, sagte er schließlich zu Austwick, »sobald ich etwas mehr über das Problem erfahren habe, das uns gegenwärtig beschäftigt. Man hat einen unserer Informanten ermordet, was die Aufgabe zusätzlich erschwert.«

Austwick erhob sich. »Sehr wohl, Sir. Das dürfte ein guter Gedanke sein. Ich denke, je früher Sie die Gemüter in Bezug auf die Angelegenheit beruhigen können, desto besser. Ich würde vorschlagen, noch vor Ende dieser Woche.«

»Immer vorausgesetzt, dass die Umstände das zulassen«, gab Narraway kühl zurück.

Wie sich herausstellte, ließen die Umstände es nicht zu. Schon früh am nächsten Morgen wurde Narraway zur Berichterstattung bei seinem politischen Vorgesetzten Sir Gerald Croxdale ins Innenministerium beordert – dem Einzigen, dem gegenüber er zu vollständiger Rechenschaft verpflichtet war.

Croxdale war ein farbloser Mann von Anfang fünfzig, dem es mit seiner beharrlichen Art erstaunlich rasch gelungen war, in hohe Regierungsämter aufzusteigen, obwohl er weder von

Zwar hatte Narraway an ihm nie Anzeichen der Art von Leidenschaft bemerkt, die ehrgeizige Männer antreibt, doch war ihm der rasche Aufstieg des Mannes in den Sphären der Macht nicht entgangen, was ihm einen gewissen widerstrebenden Respekt abnötigte.

»’n Morgen, Narraway«, sagte Croxdale, als dieser sein großes Arbeitszimmer betrat, und wies auf einen wuchtigen braunen Ledersessel. Croxdale war hochgewachsen, breitschultrig und massig. Auch wenn man ihn nicht im herkömmlichen Sinne als gut aussehend bezeichnen konnte, wirkte sein Gesicht doch durchaus eindrucksvoll. Er sprach mit leiser Stimme und lächelte wohlwollend. Wie üblich trug er einen unauffällig gut geschnittenen Anzug und auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe. Seinem ganzen Auftreten nach hätte er ohne weiteres der nachgeborene Sohn einer der großen Familien des Landes sein können.

Narraway erwiderte die Begrüßung und nahm Platz. Er beugte sich leicht im Sessel vor, um Croxdale seine Aufmerksamkeit zu signalisieren.

»Üble Geschichte, das, der Mord an Ihrem Informanten West«, begann dieser. »Sicher hätte der Ihnen eine ganze Menge über das berichten können, was die militanten Sozialisten zur Zeit planen.«

»Ja, Sir«, gab Narraway bedrückt zurück. »Pitt und Gower sind nur um wenige Sekunden zu spät gekommen. Sie haben West noch gesehen, aber der war schon wegen irgendetwas in Panik geraten und hatte sich davongemacht. Sie haben ihn auf dem Hof einer Ziegelei in Shadwell eingeholt, wenige Augenblicke, nachdem man ihn umgebracht hatte. Der Mörder stand noch über ihn gebeugt.« Er spürte die Hitze seiner Wangen, während er das sagte. Wirklich ärgerlich, dass seine Männer dem Täter so nahe gewesen waren, ohne die Tat verhindern zu können. Eine Minute früher, und West wäre nicht nur noch am Leben, sondern sie hätten auch all seine Informationen. Er empfand das zum Teil als persönliches Versagen, denn für den Fall, dass dahinter Unfähigkeit seiner Leute stand, fiel das seiner Ansicht nach auch auf ihn selbst zurück. Er sah Croxdale in die Augen, ohne den Blick abzuwenden. Es war nicht seine Art, nach Ausreden zu suchen, weder offen noch versteckt.

Mit einem Lächeln lehnte sich Croxdale zurück und schlug seine langen Beine übereinander. »Das war Pech – aber man kann nun einmal nicht immer Glück haben. Es war eine beachtliche Leistung Ihrer Männer, dass sie dem Mörder auf den Fersen geblieben sind. Wie sieht die Lage inzwischen aus?«

»Ich habe von Pitt zwei Telegramme aus Saint Malo bekommen. Wrexham, also der Mörder, scheint im Haus eines dort ständig lebenden Briten mehr oder weniger untergetaucht zu sein. Interessanterweise haben sie dort auch andere weithin bekannte sozialistische Aktivisten gesehen.«

»Wen?«

»Pieter Linsky und Jacob Meister«, erklärte Narraway.

Croxdale richtete sich ein wenig auf und fragte mit angespanntem Gesicht: »Tatsächlich? Dann ist vielleicht noch nicht alles verloren.« Er senkte die Stimme. »Meinen Sie immer noch, dass größere Aktionen bevorstehen könnten?«

»Unbedingt«, sagte Narraway, ohne zu zögern. »Meiner Ansicht nach dürfte der Mord an West jeden Zweifel daran ausgeräumt haben. Er hätte uns gesagt, worum es geht, und wahrscheinlich auch, wer dabei seine Hand im Spiel hat.«