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»Nein, vielen Dank«, sagte sie ein wenig atemlos. »Ich denke, dass ich eine andere Lösung finden kann. Vielen Dank für Ihre Mühe. Gute Nacht.« Sie hängte rasch auf, bevor er etwas sagen konnte.

Sie stand im stillen Wohnzimmer vor dem Kamin, in dem die letzte Glut verlosch, weil sie keine weiteren Scheite aufgelegt hatte. Unbedingt musste sie bis zum Abend des kommenden Tages jemanden finden, der sich um Daniel und Jemima kümmerte, weil sie sonst Narraway nicht begleiten konnte. In dem Fall aber hätte sie keine Möglichkeit, ihm zu helfen, und er würde in Dublin allein sein, durch den Umstand behindert, dass ihn seine Feinde dort kannten. Sein Aussehen und Auftreten waren so auffällig, dass man ihn auch nach zwanzig Jahren kaum vergessen haben dürfte. Ganz davon abgesehen vergaß Hass nie, ganz gleich, ob zwanzig oder fünfzig Jahre vergingen. Bisweilen wurde er sogar von einer Generation zur nächsten weitergegeben, ein Vermächtnis, so schlimm wie die Veranlagung zu einer Erbkrankheit.

Über den Mordfall im Buckingham Palace hatte Pitt ihr damals nur wenig gesagt, doch wusste sie, hauptsächlich durch Dinge, die er ausgelassen hatte, dass seine Lösung des Falles den Prinzen von Wales sehr verärgert hatte, weil dabei dessen

Wenn der Prinz von Wales auf Jahre hinaus Pitt seine Feindschaft spüren ließ, würde es diesem nicht im Geringsten nützen, dass ihn die Königin einige Minuten lang zu schätzen gewusst hatte.

Dass Narraway von Anfang an seine schützende Hand über Pitt gehalten und ihn de facto zu seinem Stellvertreter gemacht hatte, während offiziell Austwick diese Position bekleidete, hatte zu Missgunst und hin und wieder auch zu Befürchtungen geführt. Jetzt, da Narraway nicht mehr im Amt war, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis man auch Pitt auf einen unbedeutenden Posten abschob, wenn man ihn nicht gar entließ oder – was noch schlimmer wäre – dafür sorgte, dass er einen »Unfall« hatte.

Dann kam ihr ein anderer unangenehmer und noch hässlicherer Gedanke. Sofern Narraway, wie er sagte, schuldlos war, hatte jemand mit voller Absicht Beweismaterial gefälscht, um ihn als schuldig hinzustellen. Nichts würde diese Leute daran hindern, mit Pitt ebenso zu verfahren. Es war sogar durchaus möglich, dass er bereits in die Sache verwickelt war. Dann würde er in die Falle gehen, sobald er aus Frankreich zurückkehrte. Nur ein Dummkopf würde ihm genug Zeit lassen, eine Verteidigungslinie aufzubauen oder gar Beweise für seine Schuldlosigkeit und damit gleichzeitig für die Schuld der Gegenseite zu sammeln.

Was nur mochte der Grund für all das sein? Wollte sich wirklich jemand an Narraway für einen Fall aus früheren Zeiten rächen, oder war jenen Leuten bekannt, dass er etwas über

Jetzt aber musste sie eine Frau finden, die sich während ihrer Abwesenheit um die beiden Kinder kümmerte. Der Teufel mochte Mrs Waterman holen – das dumme Geschöpf!

Charlotte war so müde, dass sie recht gut schlief, doch gleich nach dem Aufwachen fiel ihr am nächsten Morgen alles mit einem Schlag wieder ein. Während sie im Nachthemd im Schlafzimmer stand, ging sie in Gedanken durch, was zu tun war. Dass sie das Frühstück selbst machen musste, störte sie nicht weiter. Daran war sie gewöhnt, denn sie hatte das in den Anfängen ihrer Ehe stets getan. Vor allem musste sie dafür sorgen, dass Mrs Waterman das Haus verließ und den beiden Kindern zumindest in etwa erklären, was geschehen war. Bei Jemima war das möglicherweise nicht so schwierig, denn sie war mit ihren dreizehn Jahren schon recht verständig, doch wie würde der zehnjährige Daniel die Sache aufnehmen, und wie konnte sie erreichen, dass er ihr glaubte? Sie musste unbedingt dafür sorgen, dass er nicht auf den Gedanken kam, er könne schuld an der Situation sein.

Vor allem aber musste sie sich der eigentlichen Aufgabe des Tages zuwenden. Wo nur konnte sie eine zuverlässige Frau finden, der sie die Kinder anvertrauen konnte, und zwar sofort? Das machte ihr große Sorgen, und die Furcht vor einem Fehlschlag ließ sie frösteln.

Sie musste unbedingt die Reise nach Irland antreten, musste um eine Zukunft kämpfen, in der Pitt es nicht nötig hatte, auf der Suche nach einer geeigneten Arbeit von Ort zu Ort zu ziehen,

So zitternd, wie sie nun dastand, würde sie nichts erreichen. Also konnte sie sich ebenso gut anziehen, während sie ihre Möglichkeiten erwog. Eine weiße Bluse und ein einfacher brauner Rock dürften das Richtige sein, immerhin standen ihr Haushaltspflichten bevor.

Als sie nach unten ging, wartete Mrs Waterman bereits in der Diele; ihr Koffer stand an der Haustür. Beinahe hätte Charlotte Mitleid mit ihr empfunden, aber diese Anwandlung ging vorüber. Es gab viel zu viel zu tun, als dass sie hätte weich werden können, selbst wenn Mrs Waterman das gewollt hätte. Das hier war nichts als eine Unannehmlichkeit – die Katastrophen reckten ihr Haupt erst am Horizont.

»Guten Morgen, Mrs Waterman«, sagte sie höflich. »Ich finde es bedauerlich, dass Sie es für richtig halten, uns zu verlassen, aber so, wie die Dinge liegen, dürfte das die beste Lösung sein. Sicherlich werden Sie verstehen, dass ich mich kurz fasse. Ich muss bis heute Abend Ersatz für Sie finden und hoffe für Sie, dass Sie bald eine passende Anstellung bekommen. Guten Tag.«

»Das schaff ich bestimmt, Ma’am«, gab Mrs Waterman mit so viel Überzeugung in der Stimme zurück, dass in Charlotte der Verdacht aufkeimte, die Frau habe bereits eine Anstellung in Aussicht. Es kam durchaus vor, dass Hausangestellte, insbesondere Köchinnen, einen Vorwand suchten, um kündigen zu können, damit sie eine Stelle antreten konnten, die ihnen lieber war oder günstiger erschien.

»Ja, das denke ich mir, dass Sie auf die Füße fallen werden«, sagte Charlotte eine Spur schroff.

Mrs Waterman warf ihr einen kalten Blick zu, holte Luft, um etwas zu antworten, unterließ es dann aber und öffnete die Haustür. Sie zerrte ihren offenbar sehr schweren Koffer nach draußen und trat dann auf den Bürgersteig, um einer Droschke zu winken.

Charlotte schloss die Tür, als Jemima herunterkam. Das Mädchen wuchs rasch und würde bestimmt so groß werden wie ihre Mutter. Nach den allmählich weiblicher werdenden Formen ihres Körpers und der Sicherheit zu urteilen, mit der sie sich zu bewegen begann, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie eine erwachsene Frau war.

»Wo will Mrs Waterman denn hin?«, fragte sie. »Es ist Frühstückszeit. «

Um den heißen Brei herumzureden war sinnlos. »Sie geht«, gab Charlotte gelassen zurück.

»Um diese Tageszeit?« Jemima hob die Brauen, die genauso elegant geschwungen waren wie die ihrer Mutter.

»Ja, die andere Möglichkeit wäre gestern Abend gewesen«, gab Charlotte zurück.

»Hat sie etwa gestohlen?« Jemima hatte jetzt die unterste Stufe erreicht. »Das kann ich mir von der überhaupt nicht vorstellen. Die könnte sich doch nie wieder im Spiegel ansehen. Aber wenn ich es mir recht überlege, tut sie das vielleicht sowieso nie, weil er dann zerspringen würde.«

»Boshafte Äußerungen dieser Art sind äußerst ungehörig«, sagte Charlotte mit Schärfe. »Nicht ich habe ihr gekündigt, sondern sie mir«, fügte sie hinzu. »Leider ist es ein ausgesprochen ungünstiger Augenblick dafür …«

Inzwischen war Daniel am oberen Treppenabsatz aufgetaucht. Er wollte gerade das Geländer herunterrutschen, als er seine Mutter sah und stattdessen mit betont würdigen

»Geht Mrs Waterman weg?«, fragte er mit hoffnungsvoller Stimme.

»Sie ist bereits fort«, gab seine Mutter zurück.

»Juhu! Kommt Gracie jetzt wieder?«

»Natürlich nicht«, sagte Jemima in tadelndem Ton. »Sie ist jetzt verheiratet, da muss sie zu Hause bleiben und sich um ihren Mann kümmern. Wir bekommen sicher jemand anders, nicht wahr, Mama?«

»Ja. Und sobald wir gefrühstückt haben und ihr in der Schule seid, werde ich mich nach einer passenden Person umsehen.«