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Sie erhob keine Einwände, hatte aber das Gefühl, dass sie nicht weiterkommen würden, wenn sie keine Fragen stellte. Höfliches Interesse ließ sich einfach beiseite wischen und erforderte nicht mehr als ebenso höfliche wie unergiebige Antworten.

Charlotte nahm ihren Umhang, und sie verließen Mrs Hogans Haus, um in der angenehmen Atmosphäre des Frühlingsabends den knappen Kilometer bis zum Anwesen von Fiachra McDaid zu Fuß und schweigend zurückzulegen.

Narraway klopfte an die mit Schnitzereien verzierte Mahagonitür, die ein eleganter Mann in einem dunkelgrünen Samtjackett nahezu sogleich öffnete. Er war ziemlich groß und um die Leibesmitte herum recht rundlich. Im Schein der Lampe an der Haustür wirkten seine Züge trübsinnig, doch sobald er Narraway erkannte, leuchtete sein Gesicht in einer Weise auf, die ihn auf verblüffende Weise anziehend erscheinen ließ. Sein Alter ließ sich nur schwer schätzen, aber da sein schwarzes Haar an den Schläfen weiße Strähnen aufwies, nahm Charlotte an, dass er an die fünfzig sein musste.

»Victor!«, sagte er munter und ergriff Narraways Hand, um sie kräftig zu schütteln. »Das Telefon ist zwar eine großartige Erfindung, lässt aber gegenüber einer persönlichen Begegnung viel zu wünschen übrig.« Er wandte sich Charlotte zu. »Und Sie sind bestimmt Mrs Pitt, die zum ersten Mal die Königin unserer Städte besucht. Ich heiße Sie willkommen. Es wird

Die Räume waren elegant eingerichtet, ganz im Stil des frühen 19. Jahrhunderts. So hätte es ohne weiteres auch in einer guten Wohngegend Londons aussehen können, vielleicht mit Ausnahme einiger der Bilder an den Wänden und der eigenartigen silbernen Pokale auf dem Kaminsims. Sie fand die kleinen Unterschiede interessant und hätte gern alles genauer in Augenschein genommen, doch wäre ein solches Verhalten unhöflich gewesen, da der Mann nicht wissen würde, ob sie die Dinge bewunderte oder kritisch beäugte.

»Sie müssen unbedingt ins Theater gehen«, fuhr Fiachra McDaid fort und sah Charlotte an. Ihr war klar, dass er sie aufmerksam musterte, obwohl er sich bemühte, das beiläufig aussehen zu lassen.

Er bot ihr ein Glas Sherry an, an dem sie lediglich nippte. Sie hatte nur wenig gegessen und musste einen klaren Kopf bewahren.

»Natürlich«, gab sie mit einem Lächeln zurück. »Die anderen Damen in London würden mich sicherlich sonderbar ansehen, wenn ich in Dublin gewesen wäre, ohne ins Theater zu gehen.« Nicht ohne Befriedigung sah sie einen Augenblick Verwirrung in seinen Augen. Es war eine unbedeutende Bemerkung gewesen, wie eine Frau sie wohl machte, der mehr daran lag, was andere von ihr hielten, als sie von sich selbst – und mit solchen Menschen würde sich Narraway freiwillig nicht umgeben. Was mochte er diesem Mann über sie gesagt haben? Und was wusste McDaid über Narraway? Sie war sicher,

Der Ausdruck in McDaids Augen, der nur flüchtig aufgeblitzt war, hatte ihr gezeigt, dass es eine ganze Menge sein musste. Sie lächelte, nicht, um ihn zu umgarnen, sondern aus Belustigung.

Er sah das Lächeln und verstand es. Ja, offensichtlich wusste er eine ganze Menge über Narraway.

»Ich nehme an, dass man dort alle interessanten Menschen trifft«, sagte sie.

»So ist es«, bestätigte er mit einem Nicken. »Und eine ganze Anzahl von ihnen wird heute bei der Abendgesellschaft der Tyrones anwesend sein. Es wird mir ein Vergnügen sein, sie Ihnen vorzustellen. Von hier ist es nur eine kurze Fahrt dorthin. Da es aber spät werden wird und zu weit ist, um zu Fuß in die Molesworth Street zurückzukehren, werde ich mir erlauben, Sie anschließend in meiner Kutsche nach Hause zu bringen.«

»Das klingt sehr gut.« Zu Narraway gewandt, fragte sie: »Sehe ich dich morgen zum Frühstück? Sagen wir, gegen acht?«

Er lächelte. »Ich nehme an, dass es dir lieber sein wird, wenn ich neun Uhr sage«, gab er zur Antwort.

Auf dem Weg zum Haus ihrer Gastgeber unterhielten sich Charlotte und ihr Begleiter ausschließlich über belanglose Dinge. In erster Linie nannte ihr McDaid die Namen der Straßen, durch die sie fuhren, und erwähnte einige der Größen, die dort gelebt hatten. Manche der Namen hatte sie noch nie gehört, und obwohl sie das nicht sagte, nahm sie an, dass er es vermutete. Mitunter flocht er ein »Wie Sie sicher wissen« ein und teilte ihr dann etwas mit, wovon sie nicht die geringste Ahnung gehabt hatte.

Das Haus des Ehepaars Tyrone war größer als das McDaids. In der aufwendig gestalteten Eingangshalle führten zu beiden Seiten geschwungene Treppen nach oben, die sich über der Tür zum ersten Empfangssalon zu einer Galerie vereinigten. Links hinter dem Salon lag das Esszimmer, in dem für über zwanzig Personen gedeckt war.

Mit einem Mal begriff Charlotte, dass sie eine privilegierte Außenseiterin war, die man im Gegenzug für einen erwiesenen Gefallen oder zum Ausgleich einer bestehenden Schuld eingeladen hatte. Als sie und McDaid eintrafen, waren bereits über ein Dutzend Gäste da, Herren in Abendgarderobe und Damen, welche die gleichen Farben trugen, die man auch bei einer entsprechenden Abendgesellschaft in London hätte sehen können. Der Unterschied lag in der energiegeladenen Atmosphäre im Raum, in den ausholenden Handbewegungen und darin, dass die Anwesenden mit eindeutig nicht auf die englische Standardaussprache hin gedrillten melodiösen Stimmen sprachen.

Sie wurde der Gastgeberin Bridget Tyrone vorgestellt, einer gut aussehenden Frau mit blendend weißen Zähnen. Ihr herrliches, kaum gebändigtes kastanienfarbenes Haar schien sich ihren Bemühungen, es zu frisieren, auf die gleiche Weise entzogen zu haben, wie Herbstlaub im Wind davonweht.

»Mrs Pitt ist gekommen, um sich Dublin anzusehen«, teilte ihr McDaid mit. »Wo könnte man da besser beginnen als bei Ihnen?«

»Aha, Neugier also führt Sie hierher?«, fragte John Tyrone, der neben seiner Gattin stand, ein Mann mit dunklen Haaren und leuchtend blauen Augen.

Da Charlotte in der Frage einen Vorwurf zu spüren glaubte, ergriff sie die Gelegenheit und erläuterte mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es warm wirkte: »Sagen wir: Interesse. Einige Verwandte aus der Familie meiner Mutter stammen

»Ich hätte es mir denken sollen!«, sagte Bridget sogleich. »Sieh dir doch nur die Haare an, John! Das ist ein typisch irischer Farbton, nicht wahr? Wie hießen sie denn?«

Charlotte überlegte rasch. Sie musste sich etwas ausdenken, zugleich aber auch dafür sorgen, dass es der Wahrheit so nahe wie möglich kam, damit sie später nicht vergaß, was sie gesagt hatte oder sich gar widersprach. Außerdem musste es für Narraways und ihr Vorhaben nützlich sein. Alles, was sie unternahm, würde sich als sinnlos erweisen, wenn sie nichts über die Vergangenheit erfuhr. Bridget Tyrone wartete mit weit geöffneten Augen auf ihre Antwort.

Charlottes Großmutter hatte Christine Owen geheißen, und so sagte sie mit der gleichen Gelassenheit, die sie empfunden hätte, wenn sie in einen Wildwasserfluss hätte springen müssen: »Christina O’Neil.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ihr kam der entsetzliche Gedanke, dass es möglicherweise einen Menschen dieses Namens gab, den diese Leute kannten. Wie um Himmels willen würde sie aus der Sache herauskommen, falls es sich so verhielt?

»O’Neil«, wiederholte Bridget. »Hier in der Gegend gibt es viele O’Neils. Bestimmt werden Sie jemanden finden, der sie gekannt hat, außer natürlich, wenn die Leute das Land während der großen Hungersnot verlassen haben. Gott allein weiß, wie viele das gewesen sein mögen. Kommen Sie, ich möchte Sie unseren anderen Gästen vorstellen.«

Charlotte begleitete sie folgsam und wurde einem der Paare nach dem anderen vorgestellt. Sie gab sich Mühe, sich ihr unbekannte Namen einzuprägen, etwas halbwegs Intelligentes zu

Erneut brachte sie die Sprache auf ihre erfundene Großmutter.