Pitt sah ihn von der Seite an und schämte sich ein bisschen wegen seiner wenig durchdachten und unausgegorenen Äußerung über die Sklaverei.
»Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir genauer feststellen, was hier eigentlich gespielt wird«, sagte er. Es klang endgültig.
Gower richtete sich auf. »Wenn wir uns offen erkundigen, bekommt er mit Sicherheit Wind davon und nimmt sich sehr viel mehr in Acht. Unser einziger Vorteil, Sir, besteht darin, dass er von der Beschattung durch uns nichts weiß. Können wir es uns leisten, diesen Vorteil aufzugeben?« Er zog die Brauen zusammen und machte ein besorgtes Gesicht.
»Ich habe bereits ein paar Erkundigungen eingezogen«, sagte Pitt.
»Was?« Mit einem Mal lag leichter Ärger in Gowers Stimme.
Pitt war überrascht. Er gewann den Eindruck, dass sich hinter dem nach außen hin entspannt wirkenden Verhalten des Mannes eine innere Anteilnahme verbarg, die ihm bisher entgangen war. Das hätte ihm unbedingt auffallen müssen. Immerhin hatten sie auch vor Beginn der überraschenden Jagd, die sie nach Saint Malo geführt hatte, schon zwei Monate lang zusammengearbeitet.
»Ja, und zwar um herauszufinden, von wem ich unauffällig Informationen bekommen kann«, gab er mit gleichmütiger Stimme zurück.
»Und von wem?«, fragte Gower rasch.
»Einem gewissen John McIver, ebenfalls Engländer, der seit zwanzig Jahren hier lebt. Er ist mit einer Französin verheiratet. «
»Und Sie sind sicher, dass man dem Mann vertrauen kann, Sir?« Gower war nach wie vor skeptisch. »Ein einziges unbedachtes Wort, eine hingeworfene Bemerkung genügt, und Frobisher weiß, dass er überwacht wird. Dann könnten uns die wichtigen Leute wie Linsky und Meister durch die Lappen gehen.«
»Ich habe McIver nicht aufs Geratewohl herausgepickt«, sagte Pitt. Er verschwieg, dass er den Mann von einem gänzlich anders gelagerten Fall her kannte.
Gower holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Ja, Sir. Ich bleibe hier und behalte Wrexham im Auge, dann sehen wir ja, mit wem er zusammentrifft.« Mit einem plötzlichen Lächeln fügte er hinzu: »Vielleicht geh ich sogar runter zum Platz, seh die hübsche junge Frau mit dem schönen Kleid wieder und gönn mir ein Glas Wein.«
Während Pitt den Kopf schüttelte, spürte er, wie seine Anspannung nachließ. »Ich vermute, dass Ihr Nachmittag angenehmer wird als meiner«, sagte er bedauernd.
McIver wohnte rund acht Kilometer von Saint Malo entfernt auf dem Land. Er war von Pitts Besuch geradezu begeistert. Ganz offensichtlich schien er sich danach zu sehnen, mit jemandem in seiner Muttersprache reden zu können und aus erster Hand die letzten Neuigkeiten aus London zu erfahren.
»Natürlich vermisse ich London, aber verstehen Sie mich nicht falsch, Sir«, sagte er, während er sich, behaglich in seinen Gartenstuhl zurückgelehnt, von der Sonne bescheinen ließ. Er hatte Pitt Wein und Kekse angeboten und – nachdem
Jetzt wartete er darauf, dass McIver fortfuhr.
»Es gefällt mir hier. Die Franzosen sind möglicherweise das zivilisierteste Volk auf Erden – natürlich abgesehen von den Italienern. Sie verstehen wirklich zu leben und tun das auf eine Weise, die selbst alltägliche Dinge elegant erscheinen lässt. Doch manche Annehmlichkeit des Lebens in England fehlt mir durchaus. So habe ich schon seit Jahren keine anständige Orangenmarmelade mehr gegessen. Sie wissen schon – kräftig, aromatisch und ein wenig bitter.« Er seufzte, während die Erinnerung seine Züge verklärte. »Die Times am frühen Morgen, eine schöne Tasse Tee und einen Diener, den buchstäblich nichts aus der Ruhe bringt. Ich hatte mal einen, der den Engel der Apokalypse mit der gleichen Gelassenheit hätte ankündigen können, mit der er das Eintreffen der Herzogin von Malmsbury gemeldet hat.«
Pitt lächelte und verzehrte eine Scheibe Brot, zu der er einen Schluck Wein trank, bevor er auf den Zweck seines Besuchs zu sprechen kam.
»Ich muss unauffällig Erkundigungen einziehen. Im Auftrag der Regierung, Sie verstehen?«
»Selbstverständlich.« McIver nickte. »Was kann ich Ihnen sagen?«
»Frobisher. Einer unserer Landsleute, der in Saint Malo lebt. Wäre er der richtige Mann, wenn es um einen kleinen Dienst an seiner alten Heimat ginge? Seien Sie bitte offen. Es ist … wichtig. Sie verstehen doch?«
»Durchaus – durchaus.« McIver beugte sich leicht vor. »Ich würde Ihnen empfehlen, sich das gut zu überlegen, Sir. Ich kenne Ihren Auftrag nicht, Sir, aber Frobisher ist dafür kaum der Richtige.« Er machte eine kleine abschätzige Bewegung. »Er verkehrt mit einigen äußerst sonderbaren Gestalten. Er
Zwar hatte Pitt sich zu fragen begonnen, ob hinter Frobisher mehr steckte als das behagliche Leben, das er zu führen schien, doch war er bitter enttäuscht von McIvers Worten. Wenn die Informationen, die West ihnen hätte zukommen lassen und um derentwillen Wrexham ihn umgebracht hatte, nichts mit Frobisher zu tun hatten – was tat Wrexham dann noch in Saint Malo? Warum hatten Leute wie Linsky und Meister Frobishers Haus aufgesucht?
»Sind Sie sicher?«, fragte er.
»So sicher, wie man nur sein kann«, gab McIvers zurück. »Er stolziert prahlerisch herum, aber es steckt nichts dahinter. Es ist wie das Radschlagen eines Pfaus. Er hat in seinem Leben noch keinen Handschlag getan.«
»Bei ihm waren einige Besucher, die dafür bekannt sind, dass sie mit gewalttätigen Kreisen in Verbindung stehen«, blieb Pitt beharrlich bei der Sache. Er war nicht ohne weiteres bereit, sich einzugestehen, dass er und Gower sich für nichts und wieder nichts knapp eine Woche in Saint Malo aufgehalten hatten. Erst recht konnte er sich nicht vorstellen, dass man West ohne jeden Grund aus dem Weg geräumt hatte.
»Haben Sie die selbst gesehen?«, erkundigte sich McIver.
»Ja. Einer von denen ist unverkennbar«, teilte ihm Pitt mit. Noch während er das sagte, ging ihm auf, wie einfach es
Aber welcher Zweck steckte hinter all dem? Warum wurde diese Scharade gespielt?
Mit einem Schlag ging ihm auf: um ihn und Gower von ihrer eigentlichen Aufgabe fortzulocken. Bis zu diesem Augenblick war das den Leuten glänzend gelungen. Noch jetzt war Pitt verwirrt und bemühte sich, einen Sinn in dem Ganzen zu sehen, ohne zu wissen, was er als Nächstes tun sollte.
»Tut mir leid«, sagte McIver betrübt, »aber Frobisher ist ein Maulheld und Schaumschläger. Etwas anderes kann ich nicht über ihn sagen. Es wäre töricht, ihm in wichtigen Dingen zu vertrauen. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie den weiten Weg wegen irgendwelcher Kinkerlitzchen gemacht haben. Ich bin nicht mehr der Jüngste und komme nicht mehr oft in die Stadt, aber falls ich etwas für Sie tun kann, brauchen Sie es nur zu sagen.«
Pitt zwang sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank, aber es müsste schon jemand sein, der in Saint Malo wohnt. Auf jeden Fall bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mich vor einem schlimmen Fehler bewahrt haben.«
»Nichts zu danken«, tat McIver das mit einer Handbewegung ab. »Nehmen Sie doch noch etwas Käse. Niemand macht so guten Käse wie die Franzosen – wenn man einmal von einem guten Wensleydale oder einem Caerphilly absieht, wie man sie in England bekommt.«
Pitt lächelte. »Mir ist ein vollfetter Gloucester am liebsten. «
»Ach ja«, stimmte McIver zu. »Hab ich ganz vergessen. Nun, sagen wir, die Käse-Partie zwischen England und Frankreich steht unentschieden. Aber gegen einen guten französischen Wein kommt nichts an.«
»Da haben Sie Recht«, gab Pitt zu.
McIver goss beiden noch einmal nach und lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück. »Was sind die letzten Cricket-Ergebnisse? Ich höre hier so gut wie nie etwas darüber, und wenn, dann nur mit großer Verspätung. Wie steht Somerset zur Zeit da?«
Kurz vor Sonnenuntergang kehrte Pitt auf der leicht gewundenen Straße zurück. In der Luft hing ein blasser Goldschimmer von der Art, der die Gemälde alter Meister so unwirklich erscheinen lässt, dass sie aussehen wie erdachte Landschaften. Von Scheunen und Stallungen umgebene behäbige Bauernhäuser lagen am Weg. Die Bäume standen um diese frühe Jahreszeit noch nicht in vollem Laub, aber in den dicht an dicht sitzenden Blüten, die wie später Schnee wirkten, spiegelte sich der Schein der schwindenden Sonne. Es war windstill, man hörte keinen Laut, und nichts regte sich, wenn man davon absah, dass hin und wieder eine grasende Kuh den Kopf hob.