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Inzwischen hatte sich der Dicke wieder aufgerafft und stürmte auf den Mann los, der Pitt angegriffen hatte, wobei er etwas brüllte, was in den Geräuschen des Windes und des Zuges unterging. Der Angreifer tat einen Schritt beiseite, fuhr

Einen Augenblick lang war Pitt vor Entsetzen starr, dann wandte er sich dem Angreifer zu, den er im Dunkeln lediglich umrisshaft sehen konnte und von dem er trotzdem wusste, wer er war.

»Wie sind Sie mir eigentlich auf die Schliche gekommen?«, fragte Gower neugierig mit einer Stimme, die nahezu so klang wie immer.

Pitts Atem ging pfeifend, seine Lunge und Rippen schmerzten, wo ihn Gower gegen das Geländer gedrückt hatte, doch er konnte nur an den Mann denken, der ihn zu retten versucht hatte und jetzt mit zerschmetterten Gliedern auf dem Bahndamm lag.

Gower trat auf ihn zu. »Was hat Ihnen der Mann gesagt, den Sie gestern außerhalb der Stadt aufgesucht haben?«

»Nichts weiter, als dass man Frobisher nicht ernst nehmen darf«, gab Pitt zurück. Seine Gedanken jagten sich. »Um das zu merken, kann Wrexham unmöglich eine ganze Woche gebraucht haben. Also hat er es wahrscheinlich schon immer gewusst. Dann ist mir der Gedanke gekommen, dass auch Wrexham nicht der war, als den Sie ihn hingestellt haben. Zwar hatte ich zu sehen geglaubt, dass er West die Kehle durchgeschnitten hat, doch als ich die Sache in aller Ruhe Schritt für Schritt überdacht habe, ist mir aufgegangen, dass er es nicht gewesen sein konnte, denn vor West war schon eine Blutlache am Boden, als wir eintrafen. Sie waren bei der Verfolgung immer an der Spitze, bis hin zur Fähre. Ich hatte Sie damals für besonders klug gehalten, doch dann ist mir aufgegangen, wie einfach das alles war. Immer haben Sie den Mann angeblich wieder aufgespürt, wenn wir seine Fährte verloren hatten, und immer wieder darauf bestanden, ihn nicht festzunehmen.

Gower lachte kurz auf. »Der berühmte Pitt, auf den Narraway so große Stücke hält. Sie haben eine volle Woche gebraucht, um dahinterzukommen! Sie werden allmählich langsam – wenn Sie es nicht schon immer waren und bis jetzt einfach Glück hatten.«

Unvermittelt stürzte er sich mit ausgestreckten Armen und gespreizten Fingern auf Pitt, um dessen Kehle zu umkrallen. Diesmal aber war Pitt auf den Angriff vorbereitet. Geduckt stürmte er mit dem Kopf voran auf Gower los und traf ihn unmittelbar über der Gürtellinie so heftig in den Bauch, dass er keuchen musste. Dann streckte er seine Beine, so dass Gower vom Boden emporgehoben wurde und, von seinem eigenen Schwung getragen, über das Geländer in der Dunkelheit verschwand. Auch wenn Pitt den Aufprall nicht hörte, war ihm mit tiefem Bedauern bewusst, dass Gower sofort tot sein musste. Niemand konnte einen solchen Sturz überleben.

Langsam richtete er sich auf, am ganzen Leibe zitternd. Fast hätten seine Beine unter ihm nachgegeben, so dass er sich am Geländer festhalten musste.

Wieder schlug die Waggontür zu, dann öffnete sie sich. Der Schaffner stand mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen da, die Laterne in der Hand. Hinter ihm leuchteten gelblich die Lampen im Waggon.

»Se sind ja wahnsinnig!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme.

»Er wollte mich umbringen!«, begehrte Pitt auf und tat einen Schritt auf den Schaffner zu.

Dieser riss seine Laterne wie einen Schild vor sich hoch und stieß mit vor Entsetzen schriller Stimme hervor: »Rühr’n Se mich ja nich’ an! Ich hab hier ’n halbes Dutzend starker Männer, die mit Ihn’n fertig werd’n. Se sind ja total verrückt. Se

»Ich habe nichts dergleichen …«, setzte Pitt an, brachte den Satz aber nicht zu Ende. Zwei kräftig gebaute Männer waren hinter dem Schaffner aufgebaut. Der eine schwang drohend einen Knotenstock, während der andere einen Regenschirm mit scharfer Metallspitze wie eine Waffe vor sich hielt.

» Wir sperr’n Se im Packwag’n ein«, fuhr der Schaffner fort. »Un’ wenn wir Se dafür bewusstlos schlag’n müss’n. Se müss’n ’s nur sag’n. Ich konnte Mr Summers gut leiden. Er war ’n anständiger Kerl.«

Pitt dachte nicht daran, es mit diesen dreien aufzunehmen, und so ging er benommen und voll Entsetzen über das, was er getan hatte, widerstandslos mit ihnen.

KAPITEL 7

»Du kanns nicht mitkommen«, sagte Charlotte mit Nachdruck. Es war früher Nachmittag, und sie stand in ihrem besten Frühjahrskostüm, zu dem sie die herrliche neue Bluse angezogen hatte, im Speiseraum von Mrs Hogans Pension. Es war ihr fast nicht recht, zu sehen, wie gut ihr die Bluse stand. Zusammen mit einem einfachen dunklen Rock wirkte sie schlicht gesagt hinreißend. »Da kennt dich bestimmt jemand«, fügte sie hinzu.

Narraway hatte sich ganz offensichtlich ebenfalls die größte Mühe gegeben. Sein Hemd war makellos, seine Krawatte saß einwandfrei, und sein dichtes Haar war tadellos gekämmt.

»Es geht nicht anders«, gab er zurück. »Ich muss unbedingt mit Talulla Lawless sprechen. Das kann ich nur an einem sozusagen öffentlichen Ort, weil sie mich sonst bezichtigen würde, mich an ihr vergangen zu haben. Das hat sie früher schon einmal versucht und mir klargemacht, dass sie es wieder tun würde, wenn ich es wagen sollte, mit ihr unter vier Augen zusammenzutreffen. Ich weiß, dass sie heute Nachmittag zu dem Konzert gehen will. Bei den vielen Menschen dort wird man nicht sonderlich auf uns achten.«

»Es genügt, wenn dich nur ein Einziger erkennt, denn der würde es sofort allen anderen sagen«, gab sie zu bedenken.

»Ich gehe nicht mit dir zusammen. Die Scharade, dass du meine Schwester bist, ist ausschließlich für Mrs Hogan bestimmt. « Er lächelte trübselig. »Ich gehe allein, dich hingegen wird Fiachra McDaid begleiten. Er wird dich …«, er warf einen Blick auf die Kaminuhr, »… in etwa zehn Minuten hier abholen. Mir bleibt wirklich keine Wahl. Meiner festen Überzeugung nach ist Talullas Rolle in dieser Angelegenheit von entscheidender Bedeutung. Bei allem, was ich herausbekommen habe, führt die Fährte immer wieder zu ihr. Sie ist das Bindeglied zwischen allen anderen.«

»Wer sind denn diese anderen?«, fragte sie. »Kann ich die Sache nicht übernehmen?«

Er lächelte flüchtig. »Diesmal nicht, meine Teure.«

Obwohl ihr klar war, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, gab sie den Versuch auf, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Vermutlich hatte er Recht mit seinem Hinweis, dass es töricht gewesen wäre, herzukommen, wenn sie nicht bereit waren, Risiken einzugehen. Sie erwiderte sein Lächeln kurz und nickte. »Aber sei vorsichtig.«

Der Blick seiner Augen wurde weicher. Er schien im Begriff, etwas Spöttisches zu erwidern, doch da klopfte es an die Tür. Mrs Hogan, deren Frisur wie üblich halb aufgelöst war, kam in ihrer gestärkten weißen Schürze herein.

»Mr McDaid möchte Sie abholen, Mrs Pitt.« Ihrem Gesichtsausdruck ließ sich unmöglich entnehmen, was sie dachte, wohl aber, dass es ihr offenkundig schwerfiel, ihre Gesichtszüge zu beherrschen.

»Danke, Mrs Hogan«, sagte Charlotte höflich. »Ich gehe gleich hin.« Sie sah Narraway an. »Bitte sei vorsichtig«, wiederholte sie, raffte, bevor er etwas erwidern konnte, ihren

Fiachra McDaid stand im Vestibül neben der Standuhr, die gegenüber der im Esszimmer fünf Minuten vorging. Obwohl er modisch gekleidet war, reichte er nicht an Narraways lässige Eleganz heran.

»Guten Tag, Mrs Pitt«, sagte er in herzlichem Ton. »Ich hoffe, dass Ihnen die Musik gefallen wird. Nun werden Sie einen anderen Teil Dublins kennenlernen, und es ist ein herrlicher Tag dafür, übrigens auch genau richtig für eine Besichtigung der näheren Umgebung. Wie wäre es beispielsweise mit einer Fahrt nach Drogheda und zu den Ruinen von Mellifont, der ältesten Abtei Irlands, die 1142 auf Betreiben des heiligen Malachias erbaut wurde? Sofern Ihnen das zu nahe an der Gegenwart sein sollte, könnte ich Ihnen den Hügel von Tara empfehlen. Er war zur Zeit unserer Hochkönige das politische Zentrum Irlands, denn dort stand deren Burg, bis das Christentum kam und ihrer Macht ein Ende bereitete.«