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Oder nahm Tyrone womöglich an, sie sei auf die eine oder andere Weise an Cormac O’Neils Ermordung beteiligt?

Jetzt zitterte ihre eigene Stimme. »Zu viele Menschen sind bereits zu Schaden gekommen. Sicher wissen Sie auch, dass man den armen Cormac O’Neil heute Morgen ermordet hat. Es ist an der Zeit, diesen Dingen ein Ende zu bereiten. Ich will gern glauben, dass Sie keine Vorstellung davon hatten, was für Tragödien sich aus jener Geldüberweisung ergeben würden, und habe auch volles Verständnis für Ihren Hass auf jene, die ein Land besetzen, das von Rechts wegen Ihnen gehört. Aber durch Mord und Verrat lässt sich nichts gewinnen. Sie führen lediglich zu weiteren Tragödien unter denen, die darin verwickelt sind. Falls Sie an der Wahrheit meiner Worte zweifeln sollten, brauchen Sie sich nur anzusehen, was geschehen ist: Alle O’Neils sind tot. Sogar das, was sie einst miteinander verband, ist zerstört, denn sowohl Kate als auch Cormac sind von denen ermordet worden, die sie geliebt haben.«

»Ihr Bruder hat Cormac getötet«, sagte er schließlich.

»Nein. Er war bereits tot, als wir sein Haus erreichten.«

Er war verblüfft. »Sie sagen ›wir‹? Waren Sie denn ebenfalls dort?«

»Unmittelbar hinter ihm, aber nur wenige Sekunden später als er …«

»Dann konnte er ihn umgebracht haben, bevor Sie ins Haus getreten sind.«

»Nein. Ich bin ihm praktisch auf den Fersen gefolgt und hätte einen Schuss hören müssen. Ich habe lediglich gehört, dass der Hund angefangen hat zu bellen, als Victor das Haus betreten hat.«

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als hätten sich vor seinem inneren Auge plötzlich die Bestandteile des Puzzles zu einem finsteren Bild zusammengefügt, das er trotz aller Widerwärtigkeit erkennen konnte. Auf sein Gesicht trat der Ausdruck tiefen Schmerzes.

»Kommen Sie bitte mit in mein Arbeitszimmer«, sagte er matt. »Ich weiß nicht, was Sie jetzt noch an der Sache ändern könnten. Die Polizei ist von Narraways Täterschaft überzeugt, weil sie das glauben möchte. Ihm schlägt hier ein tief verwurzelter Hass entgegen, der weit in die Vergangenheit reicht. Man hat ihn sozusagen auf frischer Tat ertappt und wird sich keine Mühe geben, nach etwas zu suchen, was ihn entlasten könnte. Sie wären gut beraten, wenn Sie nach London zurückkehrten, solange Sie noch die Möglichkeit dazu haben.« Er führte sie durch den Raum zu seinem Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Dort bot er ihr einen Stuhl an und nahm ebenfalls Platz.

»Ich weiß nicht, was ich Ihrer Ansicht nach tun könnte, um etwas an der Situation zu ändern.« In seiner tonlosen Stimme lag der Ausdruck von Hoffnungslosigkeit.

»Erklären Sie mir genau, wie die Geldtransaktion abgelaufen ist«, forderte sie ihn auf.

»Inwiefern könnte das von Nutzen sein?«

»Insofern, als man dann beim Sicherheitsdienst in London wüsste, dass nicht Victor das Geld an sich genommen hat.«

Er lachte spöttisch auf. »Und was nützt ihm das, wenn man ihn hier in Dublin wegen Mordes an O’Neil hängt? Das Ganze hat etwas von poetischer Gerechtigkeit. Auch wenn Sie auf eine logische Erklärung hinauswollen, wird es Ihnen nichts helfen, dass er das Geld nicht an sich genommen hat. O’Neil hatte nicht das Geringste mit der Sache zu tun, aber das hat Ihr Bruder nicht gewusst.«

»Doch, das war ihm klar!«, gab sie sofort zurück. »Was glauben Sie, woher ich das weiß?«

Damit hatte er nicht gerechnet, das sah sie sogleich in seinen Augen.

»Und was soll ich Ihnen jetzt sagen?«, fragte er.

»Wer außer Ihnen daran beteiligt war. Irgendjemand in Lisson Grove muss Ihnen die Kontendaten mitgeteilt haben, damit Sie die Sache in die Wege leiten konnten. Diesen Leuten lag nicht daran, Ihnen zu helfen, sondern sie waren darauf aus, Victor aus dem Sicherheitsdienst hinauszudrängen. Man hat sich zu diesem Zweck Ihrer als Werkzeug bedient.« Sie hatte sich nicht überlegt, was sie sagen würde, bis ihr die Worte über die Lippen gekommen waren. War sie wirklich überzeugt, dass Charles Austwick dahintersteckte? Das musste nicht unbedingt der Fall sein. Ebenso gut hätten es ein Dutzend andere aus einem Dutzend verschiedener Gründe tun können, und sei es nur, weil man sie dafür bezahlt hatte. Aber auch dann wiesen die Spuren nach Irland. Wer wäre in dem Fall der Geldgeber gewesen? Und welche Gründe hätte er gehabt? Ging es nur um Rache, oder war ein Feind darauf aus gewesen, Narraways Position seinem eigenen Mann zuzuschanzen? Es gab so viele denkbare Möglichkeiten. Steckte einfach persönlicher

Sie sah Tyrone abwartend an, der abzuschätzen versuchte, wie viel sie wissen mochte. Allerdings meinte sie in seinen Augen noch etwas anderes zu erkennen. Er schien sich in einer Weise verletzt zu fühlen, die sie nicht mit dieser alten Rachegeschichte in Verbindung zu bringen vermochte.

»Austwick?«, riet sie, bevor der Augenblick vorüber war.

»Ja«, sagte er leise.

»Hat er Sie bezahlt?« Es war ihr unmöglich, die Verachtung aus ihrer Stimme herauszuhalten.

Ruckartig hob er den Kopf. »Nein! Ich habe das aus Hass auf Narraway, Mulhare und alle anderen Verräter an Irland getan.«

»Victor ist kein Verräter an Irland!«, gab sie zu bedenken. »Er ist genau so englisch wie ich. Sie sagen mir bewusst die Unwahrheit.« Einer Eingebung folgend, fügte sie aufs Geratewohl hinzu: »Hatte er womöglich nicht nur eine Affäre mit Kate O’Neil, sondern auch mit Ihrer Frau?«

Tyrones Gesicht wurde flammend rot, und er erhob sich halb. »Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie hinauswerfe, werden Sie sich sofort dafür entschuldigen, dass Sie den Namen meiner Frau mit Ihrer verdorbenen Fantasie in den Schmutz gezogen haben. Aber ich nehme an, dass Sie Ihren Bruder sehr viel besser kennen als ich. Ist er überhaupt Ihr Bruder?«

Jetzt war es an Charlotte zu erröten. »Vielleicht sind Sie derjenige, der eine verdorbene Fantasie hat, Mr Tyrone«, sagte sie mit einer Stimme, die unter anderem deshalb bebte, weil sie wusste, was Narraway für sie empfand.

Da ihr keine Möglichkeit einfiel, sich zu verteidigen, ging sie zum Angriff über. »Warum tun Sie das für Charles Austwick?

Mit wütender Stimme zischte Tyrone: »Es kümmert mich einen Dreck, wer an der Spitze Ihrer verdammten Dienste steht, ob geheim oder nicht. Mir ging es um die Gelegenheit, Narraway aus dem Weg zu räumen. Verglichen mit ihm ist Austwick ein Dummkopf.«

»Sie kennen ihn also doch genauer?« Sie klammerte sich an den einzigen Bestandteil seiner Aussage, der eine Möglichkeit zu enthalten schien, ihn anzugreifen, und sei es auch nur kurzfristig.

Hinter ihr ertönte ein leises Geräusch, es klang wie Stoff, der den Türrahmen streifte.

Sie wandte sich um und sah Bridget Tyrone nur einen Schritt von sich entfernt stehen. Mit einem Mal wurde sie von tiefer Angst erfasst. Wenn man ihr etwas antäte, könnte sie sich die Lunge herausschreien, ohne dass jemand sie hörte … oder sich dafür interessierte. Es kostete sie alle Kraft, ruhig stehen zu bleiben und mit – zumindest annähernd – ruhiger Stimme weiterzusprechen.

Es war sinnlos, so zu tun, als habe Tyrones Frau das Gespräch nicht mit angehört.

Charlotte saß in der Falle, das war ihr klar. Die blinde Wut in Bridgets Gesicht war unverkennbar. Beide Frauen traten im

Diese fiel zur Seite und stieß gegen ein Tischchen voller Bücher, das unter dem Anprall umfiel. Sie schrie laut auf, ebenso sehr vor Schmerz wie vor Wut. Das lenkte ihren Mann ab, der daraufhin zu ihr eilte, um ihr auf die Beine zu helfen. Diese Gelegenheit nutzte Charlotte dazu, den Raum zu verlassen und mit schnellem Schritt durch das Vestibül der Haustür entgegenzueilen. Sie riss sie auf und stürmte auf die Straße hinaus, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen. Mit beiden Händen ihre Röcke raffend, um nicht zu stolpern, rannte sie bis zur nächsten Hauptstraße. Dort kam sie so außer Atem an, dass sie keinen Schritt mehr gehen konnte. Sie ließ die Röcke los und begann, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, so würdevoll, wie sie konnte, die schwach beleuchtete Straße entlangzugehen. Dabei hielt sie Ausschau nach einer Kutschenlaterne, in der Hoffnung, möglichst bald eine Droschke zu finden, die sie in ihre Pension bringen würde. Sie wollte diese Gegend so rasch wie möglich hinter sich lassen.