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Er klopfte.

Nichts rührte sich. Und wenn sie gar nicht zu Hause war, sondern Bekannte aufgesucht hatte? War das denkbar, so kurz, nachdem sie ihren Onkel ermordet hatte? Sicherlich hatte sie da das Bedürfnis, allein zu sein? Außerdem musste sie sich um den Hund kümmern. Würde sie nicht warten, bis die Polizei abgezogen war, damit sie die von ihrem Onkel aufbewahrten Unterlagen über ihre Eltern aus dessen Haus holen konnte?

Er hämmerte erneut an die Tür.

Nach wie vor geschah nichts.

War sie womöglich schon dort? Er hatte keine Polizeibeamten vor der Tür gesehen. Oder hatte sie sich in ihrem Haus hingelegt, seelisch erschöpft von dem Mord und der endlich vollzogenen Rache?

Er zog die Uniformjacke aus, wickelte sie, während ihm der Regen auf den nackten Oberkörper prasselte, um die Faust und schlug eine Fensterscheibe neben der Tür ein, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass es nicht klirrte. Dann öffnete er das Fenster und kletterte hindurch. Er zog die Jacke wieder an und ging leise von Zimmer zu Zimmer, um zu sehen, wo sich Talulla aufhielt.

Das Haus war verlassen. Er hatte nicht angenommen, dass ein Dienstmädchen da sein würde, denn bestimmt hatte Talulla ihr den Tag freigegeben. Sie sollte nichts mitbekommen, weder Schüsse noch das Bellen des Hundes hören.

Er verließ das Haus durch die Hintertür und eilte mit raschen Schritten auf Cormacs Haus zu. Die Zeit wurde knapp. Seine Verfolger konnten jeden Augenblick eintreffen. Vorwärts! Vorwärts!

Er hielt sich nicht mit Anklopfen auf. Ihm blieb keine Zeit zu warten, und ohnehin war es nicht wahrscheinlich, dass Talulla jetzt jemandem öffnen würde.

Erneut zog er die Jacke aus. Inzwischen zitterte er vor Kälte, vielleicht auch vor Furcht. Wieder schlug er ein Fenster ein und war binnen Sekunden im Haus. Sogleich fing der Hund wild zu bellen an.

Er sah sich suchend um und trat in einen Raum, der aussah wie eine Speisekammer. Er musste unbedingt die Küche erreichen, bevor Talulla sich ihm in den Weg stellte. Wenn sie den Hund auf ihn hetzte, musste er bereit sein. Was sollte sie daran hindern? Schließlich war er in das Haus eingedrungen und wurde bereits des Mordes an Cormac verdächtigt. Da hatte sie jede Rechtfertigung, die sie brauchte.

Rasch öffnete er die Tür und fand sich in der Spülküche, die unmittelbar neben der Küche lag. Kaum hatte er einen hölzernen Schemel ergriffen, als Talulla die Tür von der Küche aus öffnete. Im selben Augenblick stürmte der Hund wild bellend auf ihn los.

Bei Narraways Anblick blieb Talulla verblüfft stehen. Er hob den Schemel so, dass dessen dünne spitze Beine auf den Hund wiesen.

»Ich möchte dem Tier nichts tun«, sagte er. Er musste laut sprechen, um das Bellen zu übertönen. »Rufen Sie ihn zurück. «

»Damit Sie mich auch umbringen können?«, rief sie ihm entgegen.

»Stellen Sie sich nicht dumm!« Er hörte die Wut in seiner eigenen Stimme, die er kaum noch beherrschen konnte. »Sie haben Ihren Onkel selbst umgebracht, um sich endlich zu rächen.«

Ein hartes, kaltes Lächeln voller Hass trat auf ihre Züge. »Sicher – aber hängen werden Sie dafür, Victor Narraway, und der Geist meines Vaters wird frohlocken. Ich werde da sein, um zuzusehen – das schwöre ich.« Sie wandte sich dem Hund zu. »Ruhig, ruhig«, gebot sie. »Lass ihn zufrieden. Ich will,

Irgendetwas lenkte den Hund ab, er fuhr in Richtung Haustür herum und knurrte drohend.

»Zu einfach?« Narraway hörte den Unterton von Verzweiflung in seiner Stimme. Auch ihr dürfte das nicht entgehen.

Das tat es in der Tat nicht, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ich will Sie hängen sehen, will das Entsetzen mitbekommen, wenn man Ihnen die Schlinge um den Hals legt und Sie keuchend nach Atem ringen, Ihre Zunge sich verfärbt und aus dem Mund quillt. Dann werden Sie keinen Frauen mehr schön tun, nicht wahr? Macht man sich in die Hose, wenn man aufgehängt wird? Verliert man dann alle Beherrschung und Würde?« Sie kreischte jetzt mit verzerrtem Gesicht.

»Genaugenommen sollen die Schlinge und die Falltür dafür sorgen, dass man sich das Genick bricht, und zwar sofort«, sagte er. »Man soll gleich tot sein. Vermindert das Ihre Vorfreude? «

Schwer atmend sah sie ihn an. Mit zurückgezogenen Lefzen konzentrierte sich der Hund vollständig auf das, was er an der Haustür hörte, und das Knurren, das aus seiner Kehle drang, wurde lauter.

Sofern Talulla merkte, dass jemand dort war – und er hoffte, dass es die Polizei war –, würde sie aufhören zu reden und vielleicht sogar behaupten, Narraway habe sie angegriffen. Aber sie schien nicht darauf zu achten. Sie kostete ihren Triumph aus, weil sie endlich die Möglichkeit hatte, ihm zu sagen, auf welche Weise sie ihn in die Falle gelockt hatte.

Er machte eine plötzliche Bewegung auf sie zu.

Der Hund fuhr zu ihm herum und bellte erneut. Er hob ihm den Schemel entgegen für den Fall, dass er ihn anspringen würde.

»Jetzt haben Sie wohl Angst?«, sagte sie mit unüberhörbarer Befriedigung.

Er bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen, während er sagte: »McDaid hat Sie angestiftet, nicht wahr? Was hat er Ihnen gesagt? Und warum gerade jetzt? Er war einmal mein Freund.«

»Seien Sie nicht albern!«, stieß sie mit einer Stimme hervor, der anzuhören war, dass sie fast an ihren Worten erstickte. »Er hasst Sie genauso wie wir alle.«

»Was hat er Ihnen gesagt?«, ließ er nicht locker.

»Wie Sie meine Mutter, diese Hure, verführt und dann preisgegeben haben. Sie sind Schuld an ihrem Tod und haben zugelassen, dass mein Vater dafür gehängt wurde!« Jetzt schluchzte sie.

»Aber warum mussten Sie den armen Cormac umbringen, um mir einen Mord anhängen zu können?«, fragte er. »War Ihr Onkel Ihnen so wenig wert? Die Tat können nur Sie begangen haben. Sie waren der einzige Mensch, bei dessen Eintreten ins Haus der Hund nicht bellen würde, denn Sie haben ihn gefüttert, wenn Cormac nicht da war. Er ist an Ihre Anwesenheit gewöhnt. Wenn ich der Täter gewesen wäre, hätte er die ganze Nachbarschaft zusammengekläfft.«

»Sehr klug«, stimmte sie zu. »Aber beim Prozess wird das niemand wissen, und niemand wird Ihrer Schwester glauben, wenn sie überhaupt Ihre Schwester ist, weil alle als selbstverständlich voraussetzen, dass sie zu Ihnen hält.«

»Haben Sie Cormac wirklich nur umgebracht, um mich auf diese Weise zu erledigen?«, fragte er erneut.

»Nein, wohl aber dafür, dass er nichts getan hat, um meinen Vater zu retten! Keinen Handschlag, absolut nichts!«

»Sie waren damals erst sechs oder sieben Jahre alt.«

»McDaid hat mir das gesagt!«, schluchzte sie.

»Ach ja, McDaid – der irische Freiheitsheld, der die Gesellschaftsordnung in ganz Europa durch eine Revolution umgestalten

In diesem Augenblick ließ sie das Halsband des Hundes los und hetzte ihn auf Narraway. Während ihm dieser den Schemel entgegenhielt und halb auf dem Rücken landete, als der Hund dagegen sprang, kamen zwei Polizeibeamte durch die Diele hereingestürmt. Einer von ihnen riss den Hund so heftig am Halsband zurück, dass er ihm fast die Luft abgedrückt hätte, während der andere Talulla festhielt.

Narraway stand mühsam auf und versuchte hustend und keuchend Luft zu bekommen.

»Danke«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich hoffe, Sie waren lange genug hier, um zu hören, was sie gesagt hat.«

»Das waren wir«, gab der ältere der beiden zur Antwort. »Aber für Sie bleibt trotzdem noch der eine oder andere Anklagepunkt übrig. Da wäre beispielsweise der tätliche Angriff auf einen Polizeibeamten in Ausübung seines Dienstes sowie Flucht aus dem Polizeigewahrsam. Ich an Ihrer Stelle würde die Beine in die Hand nehmen, als wenn der Teufel hinter mir her wäre, und dafür sorgen, dass ich nie wieder einen Fuß auf irischen Boden setzte.«

»Ein glänzender Ratschlag.« Narraway stand stramm, machte eine zackige Ehrenbezeigung, wandte sich dann um und lief davon, ganz, wie es ihm der Beamte geraten hatte.