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Die Kirche war ein besseres Obdach als die Scheunen und Mauern, die die Frauen davor gehabt hatten. Wenn sie an verlassenen Höfen vorbeigekommen waren und übernachtet hatten, hatten die Wachmannschaften und Aufseherinnen die Wohngebäude für sich genommen. Hier, im weitgehend verlassenen Dorf, konnten sie das Pfarrhaus für sich nehmen und den Gefangenen immer noch mehr als eine Scheune oder Mauer lassen. Daß sie es taten und daß es im Dorf sogar einen warmen Sud zu essen gab, erschien wie die Verheißung eines Endes des Elends. So schliefen die Frauen ein. Wenig später fielen die Bomben. Solange nur der Turm brannte, war das Feuer in der Kirche zu hören, aber nicht zu sehen. Als die Turmspitze brach und in den Dachstuhl schlug, dauerte es noch mal Minuten, bis der Schein des Feuers zu sehen war. Dann tropften auch schon die Flammen herab und entzündeten Kleider, herabstürzende brennende Balken setzten das Gestühl und die Kanzel in Brand, und binnen kurzem krachte der Dachstuhl ins Kirchenschiff und brannte alles lichterloh.

Die Tochter meint, die Frauen hätten sich retten können, wenn sie sich sofort gemeinsam daran gemacht hätten, eine der Türen aufzubrechen. Aber bis sie gemerkt hatten, was passiert war, was passieren würde und daß ihnen nicht aufgeschlossen wurde, war es zu spät. Es war dunkle Nacht, als der Einschlag der Bombe sie aufweckte. Eine Weile lang hörten sie nur ein befremdliches, beängstigendes Geräusch im Turm und waren ganz still, um das Geräusch besser hören und deuten zu können. Daß es das Prasseln und Knattern eines Feuers, daß es Feuerschein war, was ab und zu hell hinter den Fenstern zuckte, daß der Schlag, den es über ihren Köpfen tat, das Übergreifen des Feuers vom Turm aufs Dach bedeutete — die Frauen begriffen es erst, als der Dachstuhl sichtbar brannte. Sie begriffen es und schrien auf, schrien in Entsetzen, schrien um Hilfe, stürzten zu den Türen, rüttelten daran, schlugen dagegen, schrien.

Als der brennende Dachstuhl ins Kirchenschiff krachte, hegte die Hülle der Mauern das Feuer wie ein Kamin. Die meisten Frauen sind nicht erstickt, sondern in den hell und laut lodernden Flammen verbrannt. Am Ende hatte das Feuer sogar die eisenbeschlagenen Kirchentüren durchbrannt, durchglüht. Aber das war Stunden später.

Mutter und Tochter überlebten, weil die Mutter aus den falschen Gründen das Richtige tat. Als die Frauen in Panik gerieten, konnte sie es nicht mehr unter ihnen aushalten. Sie floh auf die Empore. Daß sie dort den Flammen näher war, war ihr egal, sie wollte nur allein sein, weg von den schreienden, hin und her drängenden, brennenden Frauen. Die Empore war schmal, so schmal, daß sie vom brennenden Gebälk kaum getroffen wurde. Mutter und Tochter standen an die Wand gepreßt und sahen und hörten das Wüten des Feuers. Sie trauten sich am nächsten Tag nicht hinunter und hinaus. In der Dunkelheit der folgenden Nacht fürchteten sie, die Stufen der Treppe und den Weg zu verfehlen. Als sie im Morgengrauen des übernächsten Tags aus der Kirche kamen, begegneten sie einigen Bewohnern des Dorfs, die sie fassungs- und wortlos anstarrten, ihnen aber Kleider und Essen gaben und sie ziehen ließen.

9

»Warum haben Sie nicht aufgeschlossen?«

Der Vorsitzende Richter stellte einer Angeklagten nach der anderen dieselbe Frage. Eine Angeklagte nach der anderen gab dieselbe Antwort. Sie habe nicht aufschließen können. Warum? Sie sei beim Einschlag der Bombe ins Pfarrhaus verwundet worden. Oder sie habe unter dem Schock des Einschlags gestanden. Oder sie habe sich nach dem Einschlag der Bombe um die verwundeten Wachmannschaften und anderen Aufseherinnen gekümmert, sie aus den Trümmern geborgen, verbunden, versorgt. Sie habe nicht an die Kirche gedacht, sei nicht in der Nähe der Kirche gewesen, habe den Brand in der Kirche nicht gesehen und die Rufe aus der Kirche nicht gehört.

Der Vorsitzende Richter machte einer Angeklagten nach der anderen denselben Vorhalt. Der Bericht lese sich anders. Das war mit Bedacht vorsichtig formuliert. Zu sagen, daß es im Bericht, der sich in den Akten der SS gefunden hatte, anders stand, wäre falsch gewesen. Aber richtig war, daß er sich anders las. Er erwähnte namentlich, wer im Pfarrhaus getötet und wer verwundet worden war, wer die Verwundeten mit dem Lastwagen in ein Lazarett transportiert und wer den Transport im Kübelwagen begleitet hatte. Er erwähnte, daß Aufseherinnen zurückgeblieben waren, um das Ende der Brände abzuwarten, ein Übergreifen zu verhindern und Fluchtversuche im Schutz der Brände zu unterbinden. Er erwähnte den Tod der Gefangenen.

Daß die Namen der Angeklagten nicht unter den aufgeführten Namen waren, sprach dafür, daß die Angeklagten zu den zurückgebliebenen Aufseherinnen gehört hatten. Daß die Aufseherinnen zurückgeblieben waren, um Fluchtversuche zu verhindern, sprach dafür, daß mit der Bergung der Verwundeten aus dem Pfarrhaus und der Abfahrt des Transports ins Lazarett nicht schon alles vorbei war. Die zurückgebliebenen Aufseherinnen hatten, so las es sich, den Brand in der Kirche toben lassen und die Türen der Kirche geschlossen gehalten. Unter den zurückgebliebenen Aufseherinnen waren, so las es sich, die Angeklagten gewesen.

Nein, sagte eine Angeklagte nach der anderen, so sei es nicht gewesen. Der Bericht sei falsch. Das sehe man schon daran, daß er von der Aufgabe der zurückgebliebenen Aufseherinnen rede, ein Übergreifen der Brände zu verhindern. Wie hätten sie diese Aufgabe erfüllen sollen. Sie sei Unsinn, und ebenso sei die andere Aufgabe, Fluchtversuche im Schutz der Brände zu verhindern, Unsinn. Fluchtversuche? Als sie sich nicht mehr um die eigenen hätten kümmern müssen und um die anderen, die Gefangenen, hätten kümmern können, sei nichts mehr zu fliehen gewesen. Nein, der Bericht verkenne ganz und gar, was sie in der Nacht gemacht, geleistet und gelitten hätten. Wie es zu einem derart falschen Bericht kommen könne? Sie wüßten es auch nicht.

Bis die behäbig-gehässige Angeklagte dran war. Sie wußte es. »Fragen Sie die da!« Sie zeigte mit dem Finger auf Hanna. »Sie hat den Bericht geschrieben. Sie ist an allem schuld, sie allein, und mit dem Bericht hat sie das vertuschen und uns reinziehen wollen.«

Der Vorsitzende fragte Hanna. Aber es war seine letzte Frage. Seine erste Frage war: »Warum haben Sie nicht aufgeschlossen?«

»Wir waren. wir hatten.« Hanna suchte nach der Antwort. »Wir wußten uns nicht anders zu helfen.«

»Sie wußten sich nicht anders zu helfen?«

»Einige von uns waren tot, und die anderen haben sich davongemacht. Sie haben gesagt, daß sie die Verwundeten ins Lazarett schaffen und wiederkommen, aber sie wußten, daß sie nicht wiederkommen, und wir haben es auch gewußt. Vielleicht sind sie auch gar nicht ins Lazarett gefahren, so schlimm verletzt waren die Verwundeten nicht. Wir wären auch mitgefahren, aber sie haben gesagt, die Verwundeten brauchen den Platz, und sie haben sowieso nichts. waren sowieso nicht scharf darauf, so viele Frauen mit dabei zu haben. Ich weiß nicht, wohin sie sind.«

»Was haben Sie gemacht?«

»Wir haben nicht gewußt, was wir machen sollen. Es ging alles so schnell, und das Pfarrhaus hat gebrannt und der Kirchturm, und die Männer und Autos waren eben noch da, und dann waren sie weg, und auf einmal waren wir allein mit den Frauen in der Kirche. Irgendwas an Waffen haben sie zurückgelassen, aber wir haben nicht damit umgehen können, und wenn wir's gekonnt hätten -was hätte uns das geholfen, uns paar Frauen? Wie hätten wir die vielen Frauen bewachen sollen? So ein Zug streckt sich lange hin, auch wenn man ihn zusammenhält, und so eine lange Strecke zu bewachen, braucht man viel mehr als uns paar.« Hanna machte eine Pause. »Dann fing das Schreien an und wurde immer schlimmer. Wenn wir jetzt aufgemacht hätten und alle rausgerannt wären.«

Der Vorsitzende wartete einen Moment. »Hatten Sie Angst? Hatten Sie Angst, daß die Gefangenen Sie überwältigen würden?«