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Jetzt wandte Mr. Entwhistle seine Aufmerksamkeit George Crossfield zu, dem Sohn Lauras. Laura hatte ja einen sehr dubiosen Kerl geheiratet, über den man nie viel erfahren hatte. Angeblich Börsenmakler. Der junge George war in einer Anwaltskanzlei - keine sehr angesehene Firma. Gut aussehend, aber irgendwie verschlagen. Allzu viel zum Leben hatte der bestimmt nicht. Laura hatte mit ihren Geldanlagen kein gutes Händchen bewiesen. Bei ihrem Tod vor fünf Jahren hatte sie so gut wie nichts hinterlassen. Sie war ein hübsches, verträumtes Mädchen gewesen, aber ohne den geringsten Sinn fürs Finanzielle.

Mr. Entwhistles Blick wanderte von George Crossfield weiter zu den beiden jungen Frauen. Welche war welche? Ach ja, das war Geraldines Tochter Rosamund, die sich gerade die Wachsblumen auf dem Malachittisch ansah. Ein hübsches Ding, bildhübsch sogar - etwas dümmliches Gesicht. Schauspielerin. Bei einer Boulevardtruppe oder so was Ähnliches. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch einen Schauspieler geheiratet. Gut aussehender Kerl. «Und das weiß er», dachte Mr. Entwhistle, der große Vorbehalte gegen das Theatervolk hegte. «Ich würde ja gerne wissen, aus was für einer Familie der kommt.»

Missbilligend betrachtete er Michael Shane mit seinen blonden Haaren und dem Charme, der hageren Männern eigen ist.

Susan, Gordons Tochter, würde sich auf der Bühne viel besser machen als Rosamund. Mehr Persönlichkeit. Vielleicht mehr, als im Alltag gut ist. Sie stand ganz in seiner Nähe, darum beobachtete Mr. Entwhistle sie nur verstohlen. Dunkle Haare, haselnussfarbene - fast goldene - Augen, ein attraktiver, etwas trotziger Mund. Neben ihr stand ihr Ehemann, den sie erst vor kurzem geheiratet hatte - ein Apothekengehilfe, soweit er wusste. Ein Apothekengehilfe, man stelle sich nur vor! Mr. Entwhistles Ansicht nach heirateten junge Frauen keine Männer, die hinter einer Ladentheke arbeiteten. Aber heutzutage heirateten sie ja jeden Dahergelaufenen. Der junge Mann mit dem blassen, nichtssagenden Gesicht und den dunkelblonden Haaren machte den Eindruck, als sei ihm unbehaglich zumute. Mr. Entwhistle fragte sich nach dem Grund, kam dann aber zu dem wohlwollenden Schluss, das käme von der Anstrengung, die große Verwandtschaft seiner Frau kennenzulernen.

Als Letztes nahm Mr. Entwhistle schließlich Cora Lansquenet in Augenschein. Das entbehrte nicht einer gewissen Logik, denn Cora war in der Familie immer der Nachzügler gewesen, Richards jüngste Schwester. Ihre Mutter, bei der Geburt fast fünfzig, hatte die zehnte Niederkunft (drei Kinder waren noch im Säuglingsalter gestorben) nicht überlebt. Die arme kleine Cora! Ihr ganzes Leben war sie eine blamable Gestalt gewesen und immer mit Bemerkungen herausgeplatzt, die besser ungesagt geblieben wären. Ihre Geschwister waren immer sehr nett zu ihr gewesen, hatten ihre Unzulänglichkeiten wettgemacht und ihre gesellschaftlichen Fauxpas überspielt. Niemand hatte sich träumen lassen, dass Cora je heiraten würde. Sie war zu groß geraten, etwas einfältig und nicht besonders hübsch gewesen, und ihre allzu auffälligen Annäherungsversuche an die jungen Männer, die nach Enderby zu Besuch kamen, hatten diese meist zu verschreckten Rückzugsmanövern veranlasst. Und dann, erinnerte sich Mr. Entwhistle, war die Sache mit Lansquenet passiert - Pierre Lansquenet, ein halber Franzose. Sie hatte ihn an einer Kunstakademie kennen gelernt, wo sie Unterricht im Malen von Blumenaquarellen genommen hatte, was ja durchaus schicklich war. Aber irgendwie war sie in den Kurs für Aktmalerei geraten, und dort war sie Pierre Lansquenet begegnet, war nach Hause gekommen und hatte verkündet, sie wolle ihn heiraten. Richard Abernethie hatte energisch Einspruch erhoben - dieser Pierre Lansquenet gefiel ihm nicht, und er vermutete, dass der junge Mann im Grunde nur auf eine wohlhabende Ehefrau aus war. Aber noch während er Nachforschungen über Lansquenets Herkunft anstellte, war Cora mit dem Kerl durchgebrannt und hatte ihn kurzerhand geheiratet. Den Großteil ihrer Ehe hatten die beiden in der Bretagne, in Cornwall und anderen Künstlerkolonien verbracht. Lansquenet war ein sehr schlechter Maler gewesen und, wie es hieß, kein sehr netter Mann, aber Cora hatte ihn hingebungsvoll geliebt und ihrer Familie nie verziehen, dass sie ihn nicht freundlich aufgenommen hatte. Richard hatte seiner jüngsten Schwester auf seine großzügige Art jedes Jahr eine Leibrente ausgezahlt, und von dem Geld hatten die beiden gelebt, soweit Mr. Entwhistle wusste. Er bezweifelte, dass Lansquenet je auch nur ei-nen Penny verdient hatte. Jetzt war er wohl schon seit zwölf oder mehr Jahren tot. Und hier war nun die Witwe, nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder im Haus ihrer Kindheit. Sie hatte ihre beinahe kissenförmige Figur in wehendes Künstlerschwarz gekleidet, mit vielen Jett-Schnüren um den Hals. Sie ging im Raum umher, fasste alles an und freute sich überschwänglich, wenn sie auf eine kindliche Erinnerung stieß. Sie gab sich wenig Mühe, Trauer über den Tod ihres Bruders vorzutäuschen. Aber eigentlich, so dachte Mr. Entwhistle, hatte Cora Gefühle ja nie vorgetäuscht.

Jetzt trat Lanscombe wieder in den Raum und murmelte in gedämpfter, dem Anlass angemessener Stimme: «Das Mittagessen ist aufgetragen.»

ZWEITES KAPITEL

Nach der delikaten Hühnercremesuppe und reichlich kalten Fleischplatten, serviert mit einem köstlichen Chablis, hob sich die Stimmung der Trauergesellschaft ein wenig. Niemand war über Richard Abernethies Tod wirklich betrübt, denn niemand war ihm wirklich nahe gestanden. Alle hatten sich gebührend schicklich und gedämpft verhalten (mit Ausnahme von Cora, die keine Hemmungen kannte und unverkennbar Spaß hatte), aber nun herrschte das Gefühl vor, dass dem Anstand Genüge getan war und man zu einer normalen Unterhaltung übergehen konnte. Mr. Entwhistle befürwortete diese Entwicklung durchaus. Er hatte Erfahrung mit Beerdigungen und wusste, wann der Zeitpunkt für eine Lockerung des Tons gekommen war.

Nach dem Essen erklärte Lanscombe, Kaffee werde in der Bibliothek serviert. Das gebot sein Gefühl für Anstand. Die Zeit war gekommen, um das Geschäftliche - in anderen Worten: das Testament - zu besprechen. Dafür bot die Bibliothek mit ihren Bücherschränken und den schweren Vorhängen aus rotem Samt die richtige Atmosphäre. Nachdem er den Kaffee serviert hatte, zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich.

Nach dem Austausch einiger banaler Höflichkeiten richteten sich zögerlich immer mehr Augenpaare auf Mr. Entwhistle. Er griff die Andeutung mit einem Blick auf seine Uhr sofort auf.

«Ich muss den Zug um 3.30 Uhr erreichen», begann er.

Offenbar wollten auch andere diesen Zug nehmen.

«Wie Sie wissen, bin ich Richard Abernethies Testamentsvollstrecker ...»

Er wurde unterbrochen. «Ich habe das nicht gewusst», sagte Cora Lansquenet munter. «Wirklich? Hat er mir etwas vererbt?»

Nicht zum ersten Mal hatte Mr. Entwhistle das Gefühl, dass Cora eine Vorliebe für unpassende Bemerkungen hatte.