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„Ich dachte, Sie sind hinausgegangen, weil Sie etwas zu erledigen hatten. Wenn es wegen des Anrufs war, dann war das völlig unnötig! Ich kann vor Ihnen gar keine Geheimnisse haben… Das war Wladimir Anatoljewitsch, der angerufen hat… Kommen Sie doch herein!“ Pawel trat wieder ins Zimmer.

„Möchten Sie etwas essen?“, fragte die dienstliche Ehefrau.

„Ja“, gestand Pawel in der Annahme, dass Marija Ignatjewna sofort in die Küche gehen würde, um etwas Gutes zu kochen, und er auf diese Weise allein im Zimmer bleiben würde.

Aber Marija Ignatjewna griff zum Telefonhörer und sagte gelassen: „Bitte zweimal Mittagessen in die Wohnung Nummer drei.“

„Hier gibt es eine Küche im Erdgeschoß“, erklärte sie, als sie aus Pawels Blick ersah, dass er nicht ganz verstand. „Das Essen ist sehr gut! So, und jetzt werde ich mich zurechtmachen.“

Als sie hinausgegangen war, atmete Pawel erleichtert auf. Er setzte sich an den Tisch und verspürte den starken Wunsch, den angeordneten Artikel zu lesen.

Der Artikel hypnotisierte Dobrynin durch seinen rätselhaften Sinn. Er war inzwischen beim letzten Punkt angelangt, war aber unfähig sich zu rühren oder gar aufzustehen.

Gerade zur rechten Zeit sah Marija Ignatjewna herein.

„Das Mittagessen steht auf dem Tisch!“, sagte sie sanft, und ihre angenehme Stimme befreite Pawel aus der Leninschen Hypnose.

Der Tisch war in einem kleinen Speisezimmer gedeckt, das Viktor Stepanowitsch Pawel aus irgendeinem Grund nicht gezeigt hatte. Genau genommen passten dort ohnehin nur ein Tisch und vier Stühle hinein.

Pawel setzte sich sogleich hin und zog den Teller mit Borschtsch zu sich heran. Marija Ignatjewna hingegen begann mit einem frischen Gemüsesalat und trank dazu Mineralwasser.

Der Borschtsch war köstlich. Vielleicht sogar köstlicher als der von Manjascha. Und noch etwas an der Atmosphäre dieses Mittagessens war heimatlich und vertraut. Um zu verstehen oder herauszufinden, was es war, hielt Pawel einen Moment lang inne und hörte auf zu kauen. Und richtig – das Ticken einer Uhr erfüllte die Stille, und mit einem Blick entdeckte Pawel eine Pendeluhr an der Wand, die er liebevoll und in stiller Freude ansah.

Auch Marija Ignatjewna blickte dorthin, während sie ihren Salat verspeiste. Sie schaute, lächelte vor sich hin und sah ihren Mann an. Dann begann sie mit dem Borschtsch. Sie aß mit Anstand, ohne die Atmosphäre zu stören oder das Ticken der Uhr zu übertönen, an der sich Pawel so erfreute.

So sehr sie auch darum bemüht war, Pawels Freude daran nicht zu beeinträchtigen, die Türklingel war lauter als das Ticken.

Marija Ignatjewna stürzte ins Vorzimmer, öffnete die Tür und erblickte Viktor Stepanowitsch.

„Ist Pawel Aleksandrowitsch fertig?“, fragte dieser. „Das Auto wartet unten.“

„Mein Mann isst gerade zu Mittag“, sagte Marija Ignatjewna würdevoll.

Viktor Stepanowitsch, der diese schöne Frau nur in dem Maße kannte, als sich ihre dienstlichen Verpflichtungen überschnitten, beneidete Dobrynin und hatte Mitleid mit sich selbst, denn seine eigene gesetzliche Ehefrau wäre er mit Vergnügen auf Anordnung der Partei losgeworden. Aber die Partei ordnete nichts Derartiges an, und sein Leben veränderte sich daher nicht zum Besseren, sondern eher in die andere Richtung. Aber wen interessierte das schon?!

Im Wagen beklagte sich Viktor Stepanowitsch bei Dobrynin wie bei einem alten Bekannten über die Unannehmlichkeiten, die mit dem Parteiaufbau zusammenhingen, und schimpfte dabei über Menschen, die Pawel völlig unbekannt waren. Pawel hörte zu und nickte.

„Warum haben Sie denn Ihren Reisesack mitgenommen?“, fragte Viktor Stepanowitsch plötzlich. „Sie kommen doch heute noch in Ihre Dienstwohnung zurück.“

„Nur so“, antwortete Pawel. „Für alle Fälle.“

Viktor Stepanowitsch schwieg eine Weile, dann fuhr er fort, über seine Arbeitskollegen zu schimpfen.

Das Automobil erreichte den Roten Platz, und da verschlug es Pawel den Atem: Er erblickte den Kreml.

Nachdem er ein paar Mal geschluckt hatte, drehte er sich zu Viktor Stepanowitsch um und fragte mit gedämpfter Stimme, während er mit der Hand auf das Herz des Vaterlandes wies:

„Ist das der Kreml?“

„Ja“, sagte dieser. „Das ist der Kreml. Warum?“

Für einen Menschen, von dessen Bürofenster aus sowohl der Glockenturm Iwan der Große zu sehen war als auch einige der rubinroten Sterne auf den Türmen, hatte das Wort „Kreml“ freilich eine völlig andere Bedeutung als für Pawel Dobrynin aus dem weit entfernten Dorf Kroschkino. Wie von selbst unternahmen seine Beine den Versuch, sich zu strecken, und Viktor Stepanowitsch verfolgte gespannt, wie sich sein Sitznachbar aufrichtete, bis sich dessen Kopf in das weiche Autodach bohrte. Da ließ die Anspannung vor Ehrfurcht auch schon wieder nach und Pawel sank in seinen Sitz zurück, ohne jedoch den Blick von der Straße zu wenden, die – es war schrecklich, das auszusprechen – zum Kremltor führte und dann noch weiter, über die für jeden sowjetischen Menschen heiligen Pflastersteine.

Langsam fuhr der Wagen über diese Pflastersteine, nahezu in Schrittgeschwindigkeit, und er blieb so unmerklich stehen, dass Pawel hätte denken können, sie würden immer noch fahren, wäre da auf der einen Seite nicht die Ecke eines Gebäudes gewesen, die aufgehört hatte, sich auf sie zuzubewegen.

Als sie aus dem Wagen stiegen, nahm Pawel seinen Reisesack mit, aber dieses Mal blieb Viktor Stepanowitsch stumm und seufzte nur leise. Auf der Schmalseite des Gebäudes wurde eine unscheinbare Tür sichtbar – wahrscheinlich der Diensteingang. Auf diese steuerten sie zu.

Gleich hinter der Tür stand ein Milizionär. Er musterte Viktor Stepanowitsch mit strengem Blick, dann nickte er ihm zu, während dieser weiterging. Da aber wandte sich der Milizionär zu Pawel. Sein Blick blieb an dessen Reisesack hängen, und Pawel, der sich unter den deutlichen Gesten des Milizionärs schuldig fühlte, stellte seinen Sack auf den Tisch des Aufsehers. Polternd schlug die Axt gegen die Tischplatte und der Milizionär kniff die Augen zusammen. Er öffnete den Sack und holte als Erstes das Stoffsäckchen mit dem Zwieback heraus, dann alles Übrige und ganz zum Schluss die Axt. Während der Milizionär den Gegenstand betrachtete, den er zuletzt hervorgeholt hatte, versank er in Gedanken. Das Ganze passierte so lautlos, dass Pawel Beklemmungen in den Ohren bekam.

„Genosse Milizionär“, sagte Viktor Stepanowitsch plötzlich. „Genosse Kalinin erwartet uns.“

Der Milizionär rief einen seiner Vorgesetzten an, meldete die Axt sowie den verdächtigen Zwieback und auch, dass die Besucher angeblich von Genosse Kalinin erwartet würden. Buchstäblich eine halbe Minute später läutete das zweite Telefon auf dem Tisch. Der diensthabende Milizionär hob ab, nickte nur in den Hörer und wiederholte „jawohl“ und „zu Befehl“.

Als er aufgelegt hatte, wandte er sich zu Viktor Stepanowitsch um.

„Sie können gehen. Wissen Sie wohin?“

„Natürlich“, antwortete Viktor Stepanowitsch und seine Stimme klang jetzt streng. „Ich bin jeden Tag hier!“

„Aber das lassen Sie hier!“ Der Milizionär zeigte mit dem Finger auf den Sack und dessen Inhalt. „Es wird befohlen, das in Ordnung zu bringen.“

„Also gehen wir!“, sagte Viktor Stepanowitsch leise zu Dobrynin.

„Aber…“, Pawel wollte nach seinen Sachen fragen, Viktor Stepanowitsch jedoch winkte ab und deutete auf die schmale Marmortreppe, die ein Läufer bedeckte, der ursprünglich rot und inzwischen ziemlich abgetreten war.

„Wir holen sie wieder ab!“, sagte er dann im ersten Stock. „Ihr Zwieback geht nicht verloren!“

In einem bescheidenen Arbeitszimmer, in dem es fast keine Möbel gab, empfing sie ein großer, magerer Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der einen dunklen Anzug mit einem Orden trug. Er lächelte wohlwollend, während er mit der rechten Hand über sein chinesisches Bärtchen strich.