Die Restaurantgäste begannen gutmütig zu lachen und zu klatschen. Der Mann im Smoking verneigte sich und ließ auch seinen Papagei sich verbeugen, dann verließ er die Bühne und verschwand in dem schmalen Gang, aus dem unentwegt adrette Kellner mit Tabletts voller Speisen herausschwärmten.
Siljin wandte sich um, da er sich an den Oberkellner hinter seinem Rücken erinnerte, aber dieser war nicht mehr da.
Wieder schenkte Beketow Wodka nach, aber aus irgendeinem Grund kam es ihm nicht in den Sinn, sich um die Damen zu kümmern. Grigorij Markelowitsch beschloss, diesen Fehler wieder gutzumachen.
„Olala, Edja“, drohte er seinem Genossen scherzhaft mit dem Finger, „du denkst wohl nur an uns und vergisst das schöne Geschlecht!“
Edja, der schon etwas angeheitert war, wollte die linke Hand nach dem Madeira ausstrecken, aber Siljin ergriff mit einer gewandten Bewegung die Flasche am Tisch und machte sich selbst daran, gute Sitten unter Beweis zu stellen.
Poliwanow, der seinen Muksun-Fisch aufgegessen hatte, langte mit der Gabel nach den Oliven.
„Robert Anatoljewitsch“, flüsterte Sonja ihm zu, „trinken Sie nichts mehr, Sie dürfen doch nicht!“
Poliwanow nickte, zerkaute die Olive und beförderte den Kern mit den Lippen auf den bereits leeren Teller.
Bald kam der nächste Gang.
Auf der Bühne spielte das Orchester etwas Leichtes.
„Na, was waren deine letzten Rekorde?“, fragte Beketow Siljin, das Wodkaglas in der Hand.
„Neunhundertachtundvierzig Tonnen am Tag“, antwortete Grigorij Markelowitsch.
„Dann lass uns auf die Rekorde trinken!“, schlug der Direktor des „Roten Holzes“ vor.
Polja stimmte dem Toast zu ebenso wie auch Poliwanow, obgleich Sonja diesen am Ärmel zupfte, weswegen er beinahe seinen Wodka verschüttet hätte.
„Auf die Rekorde!“, wiederholte der Parteisekretär, atmete angestrengt aus und trank.
„Kannst du auch anderthalb Tausend Tonnen am Tag schaffen?“ Beketow fixierte Siljin mit herausforderndem Blick. „Na, ist das was?“
Im Nu war Siljin geradezu wieder nüchtern. Sein Gesicht wurde ernst.
„Ich denke, dass es möglich ist“, sagte er überzeugt.
„Nei-ein…“, lallte Poliwanow. „So viel kriegst du nicht aus unseren Öfen heraus.“
Siljin sah den Parteisekretär erstaunt an, runzelte die Stirn und dachte weiter nach.
„Und ich denke, dass es möglich ist“, sagte er schneidend.
„Wollen wir wetten?!“ Der Direktor der Möbelfabrik hielt seine Hand hin.
„Gut“, stimmte Grigorij Markelowitsch zu. „Worum wetten wir?“
„Um einen guten Schrank, ein Fass Kaviar und eine Kiste georgischen Kognak.“
„In Ordnung.“ Der Kandidat war einverstanden und drückte Beketows Hand so fest er konnte, dann bat er Poliwanow, durchzuschlagen.
Poliwanow schlug durch, schüttelte aber den Kopf und sagte, indem er seine Worte undeutlich artikulierte:
„Allein mit Stoßarbeit ist das nicht zu schaffen…“
„Ach, Robert Anatoljewitsch“, Siljin sah ihn an. „Kannst du mal deinen Direktor unterstützen? Ich sage doch nichts, ohne vorher nachzudenken. Ich hab da schon lange eine Idee: Wenn man bei unseren Öfen die Schieber gegen die kalte Luft isoliert und Abdeckungen anbringt – dann wird sich die Leistung sogleich verbessern, und weißt du, was das heißt?!“
Poliwanow nickte wie zum Einverständnis.
Der Oberkellner brachte das Oktober-Eis und den Kaffee nach Warschauer Art.
Offenbar hatte er einen Teil des Gesprächs mitgehört, genauer gesagt die Meinungsverschiedenheit. Nachdem er alles ordentlich abgestellt hatte, wandte er sich an Siljin und sagte:
„Ich habe mich mit meinen Genossen Kollegen beraten und wir haben beschlossen, zehn Prozent der Rechnung für Ihr Abendessen zu bezahlen… Das ist sozusagen unsere Unterstützung für den Deputiertenkandidaten… Und dann möchte ich noch sagen, dass es in jedem Beruf schwierige Wörter und Begriffe gibt. Sie haben zum Beispiel ‚Schieber‘ gesagt. Ich weiß natürlich nicht, was das ist. Aber auch bei uns gibt es Wörter, die richtige Zungenbrecher sind. Zum Beispiel Plat coquille oder Kasserolle, oder etwa konisches Glas… Und das sind noch nicht einmal die Bezeichnungen für Gerichte. Für die gibt es Namen, da sind Ihre ‚Schieber‘ nichts dagegen…“
„Setzen Sie sich doch zu uns, unterhalten wir uns ein wenig, vielleicht möchten Sie mit uns trinken, Genosse Oberkellner!“, wandte sich Beketow dem Angestellten des Restaurants zu. „Wir würden uns sehr freuen.“
„Na, wenn Sie Genosse zu mir sagen, dann kann ich nicht nein sagen“, nickte der Oberkellner, holte noch einen Stuhl und nahm neben dem Deputiertenkandidaten Platz.
Sie unterhielten sich noch eine halbe Stunde und von Zeit zu Zeit kippten sie ein Gläschen. Dann tranken sie auch den Madeira der Frauen aus, da die Damen bereits beim Kaffee waren.
Bei dieser Gelegenheit fragte Sonja:
„Genosse Oberkellner, warum sagt man Kaffee ‚nach Warschauer Art‘? Nur einfach deshalb, weil es so schön klingt?“
„Aber wo denken Sie hin!“, protestierte der Oberkellner. „Kaffee nach Warschauer Art bereitet man mit gedämpfter Milch zu, dazu Zucker und obendrauf Milchschaum. Denken Sie bloß nicht, dass das alles dasselbe ist und sich nur die Namen unterscheiden. Kaffee kann man auf unterschiedlichste Art zubereiten. Es gibt auch Kaffee nach Wiener Art, nach türkischer Art… Das sind alles unterschiedliche Getränke…“
Zur Sperrstunde des Restaurants war die Freundschaft zwischen dem Oberkellner und Siljins Gesellschaft schon einigermaßen bekräftigt und der Oberkellner verlangte beim Abschied, dass seine Gäste ihr ganzes Leben lang kein anderes Moskauer Restaurant mehr besuchen mögen als das „Stoliza“.
Siljin bat, die Rechnung gut lesbar auszustellen, da die Gewerkschaft versprochen hatte, die Hälfte zu bezahlen, und deshalb musste die Rechnung als Finanzbeleg an irgendeinen Gewerkschaftsbericht angeheftet werden.
Bevor sie nach draußen gingen, suchten Grigorij Markelowitsch und sein langjähriger Bekannter Beketow aus offensichtlichen Gründen die Toilette des Restaurants auf. Vor dem Spiegel stehend, der über die gesamte Breite der Wand reichte, wuschen sie ihre Hände und trockneten sie am dort hängenden Frottierhandtuch ab.
„Markelytsch“, wandte sich Beketow an den Freund. „Ich wollte vor den Anderen nichts sagen…“
Und er griff mit der Hand in die Innentasche seines Sakkos.
„Du hast letztes Mal bei mir… offenbar ist das irgendwie abgerissen…“ Und der Direktor der Möbelfabrik reichte Siljin einen Orden der Roten Fahne.
„Na, Gott sei Dank…“ Siljin zwang es fast in die Knie, vor Aufregung verspürte er eine Schwäche in den Beinen. „Und ich habe schon gedacht, dass ich ihn auf der Straße verloren habe, und den Pionieren hab ich nicht einmal gesagt, dass ich mit dem Orden ausgezeichnet worden bin. Ich hatte Angst, dass sie mich bitten könnten, ihn herzuzeigen… Also danke, mein Freund, allergrößten Dank… Ich werde ihn gleich anstecken…“
Und der Deputiertenkandidat befestigte den Orden an dem dafür vorgesehenen Platz seines Sakkos, betrachtete sich prüfend im Spiegel und sagte, während er Beketow kameradschaftlich auf die Schulter klopfte:
„Lass uns gehen, unsere Damen wollen sicher nicht mehr länger warten!“
Draußen angekommen war Siljin ganz bestürzt, als er die Abwesenheit des „SIM“ und seines Chauffeurs entdeckte. So gern hätte er alle nach Hause gebracht, jetzt aber musste er, das lag auf der Hand, selbst zu Fuß gehen oder ein Taxi nehmen.
Man verabschiedete sich hierauf vor dem Eingang des Restaurants und versprach einander, sich in nächster Zeit wieder zu melden. Es verstand sich, dass Poliwanow an seinen bevorstehenden Geburtstag erinnerte, und so gab es tatsächlich einen ernsthaften Grund, um wieder zusammenzutreffen.