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Sergunkow zuckte die Achseln. Er konnte schließlich nicht sagen, dass er Heimweh hatte, dass er aus dem letzten Brief seiner Mutter von der Typhusepidemie wusste, die seine Stadt befallen hatte, und davon, dass Ljubka, die mit ihm in einer Straße aufgewachsen war, mit irgendeinem durchreisenden Genossenschafter davongegangen war und ihn ohne Hoffnung auf ein zukünftiges Familienleben zurückgelassen hatte. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Sergunkow stolperte, und wenn nicht der linke Eskortierende gewesen wäre, dann wäre er auf der Erde gelegen.

„Vorsicht“, sagte dieser, während er ihn stützte, „hier sind Stufen.“

Den ganzen Weg über hatte Sergunkow nur auf seine Füße geachtet, deshalb kam ihm gar nicht in den Sinn, dass sie bereits den Wald verlassen hatten und irgendwo angekommen waren. Aber in seiner Lage verspürte er keine Neugierde, den Kopf zu heben und sich umzublicken. In dieser demütigen Haltung erklomm der Deserteur die Stufen und bedauerte sein kurzes und sinnloses Leben. Während er hinaufstieg und in seinem Kopf immerzu dieselben leidvollen Gedanken kreisten, hörte er plötzlich ein angstvolles Hundegeheul, das mit seiner Seele im Einklang war. Das Heulen drang von irgendwo unten zu ihm herauf, und ohne den Kopf zu heben, blickte Sergunkow ein wenig zur Seite an den Stufen vorbei. Er sah einen Abgrund.

Der Hund, der den Mond angeheult hatte und auch etwas Weißes, das sich am Himmel unter dem nächtlichen Himmelskörper bewegte, winselte nun leise und kehrte in seine Hundehütte zurück, wo er versehentlich mit der Pfote an den Napf mit der stinkenden Kartoffelbrühe stieß und ihn beinahe umgeworfen hätte.

Kapitel 5

Sie fuhren lange und schwiegen. Nur einmal warf der Chauffeur einen respektvollen Blick auf seinen Fahrgast, sah aber gleich wieder auf die Straße, die zu dieser Zeit bereits flacher wurde – das betraf die Oberfläche ebenso wie auch die Aussicht.

Pawel wollte mit dem Chauffeur ins Gespräch kommen, um etwas über die Stadt zu erfahren, in die sie fuhren, und ganz allgemein etwas über das Chauffeursleben, aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht dazu durchringen, das Gespräch selbst zu beginnen. Der Chauffeur war ohnehin sehr damit beschäftigt, das Automobil zu steuern, und nach Pawels Ermessen durfte man ihn von dieser wichtigen Beschäftigung nicht ablenken.

Inzwischen war auch schon die Stadt vor ihnen aufgetaucht, und es vergingen keine fünfzehn Minuten, bis der Fahrgast den Chauffeur vergessen hatte und vom Fenster des Autos aus die echten zwei- und dreigeschoßigen Häuser aus Stein eingehend betrachtete, die er zuvor nur auf Fotografien in Zeitungen oder auf Ansichtskarten gesehen hatte. Aber diese Häuser unterschieden sich so sehr von denen auf den Fotografien, dass Pawel den Atem anhielt, während er sie betrachtete. Besonders überraschten ihn die Fenster, die alle gleich groß waren, jedoch unterschiedliche Gardinen hatten. Vor jedem dieser Häuser war ein Beet angelegt, und in der Mitte von einigen davon wuchsen die Porträts herausragender Persönlichkeiten der Epoche in Blumenform. Von all dem, was er sah, schwirrte Pawel nahezu der Kopf, und er konnte ihn nur noch völlig verblüfft schütteln, um auf diese Weise seine Begeisterung auszudrücken.

„Ja“, nickte der Chauffeur zustimmend, dem gerade solche Passagiere, die von seinem Automobil aus zum ersten Mal die Errungenschaften und die Schönheit des städtischen Lebens sahen, eine besondere Freude bereiteten. „Dabei haben Sie den Hauptplatz noch gar nicht gesehen…“

Dazu muss gesagt werden, dass sie den Hauptplatz dann auch nicht sahen, da sich, als sie zufahren wollten, herausstellte, dass die Straße dorthin aufgegraben war – weil ein Vakuum-Müllschacht angelegt wurde, durch den in Kürze der gesamte Müll der Stadt zur weit entfernten Peripherie gebracht werden sollte. Darüber gab ihnen ein Mann in Arbeitsuniform Auskunft, der an das Auto herangetreten war. Er beriet sie sogar, auf welchem Weg der vom Chauffeur angepeilte Ort zu erreichen war. Als das Auto von dem Arbeiter bereits ein Stück entfernt war, fluchte der Chauffeur leise und verglich den Mann mit einem natürlichen Düngemittel. Der Chauffeur war beleidigt, weil der Arbeiter gedacht hatte, dass er, der Chauffeur, die Straßen der Stadt nicht kennen würde.

Pawel jedoch, der sich die ganze Zeit über seinen Beobachtungen vom Fenster aus hingab, schenkte den Flüchen, die im Auto ertönten, gar keine Beachtung.

Bald kamen sie an. Der Wagen hielt vor einem schönen, herrschaftlichen Gebäude mit vier Geschoßen, das gewaltige Säulen zierte. Auf dem Dach flatterte eine riesige rote Fahne, obwohl Pawel auf der Straße gar keinen Wind bemerkte.

Der Chauffeur brachte Pawel in das Innere des Gebäudes, und dort erwarteten ihn bereits drei Männer in gut sitzenden, dunklen Anzügen mit Krawatten. Erfreut schüttelten sie Dobrynin die Hand und führten ihn nach oben über eine, wie es schien, endlose Marmorstiege, die von einem roten Läufer bedeckt war. Im zweiten Stock machten sie Halt.

Dort erwartete sie der Wachposten des Stockwerks, der eine Militäruniform trug und den Rang eines Leutnants innehatte.

„Eine Sekunde“, sagte er und bog um die Ecke des Korridors.

Nach etwa zwei Minuten kehrte er zurück.

„Genosse Pawljuk erwartet Sie“, meldete der Leutnant.

Pawel und seine drei Begleiter folgten dem Korridor und betraten ein riesiges Arbeitszimmer, wo sie Genosse Pawljuk empfing.

Genosse Pawljuk, der ein kariertes Sakko und braune Hosen trug, war ein Ordensträger. Wie der Sekretär Kowalenkow hatte er einen stämmigen Körperbau, er sah jedoch strenger aus, sogar wenn er lächelte.

Zuallererst zeigte er Pawel seine Samowarsammlung und betonte dabei, dass „ein vernünftiger Patriotismus sich irgendwie äußern muss“. Dann lud er zum Tee an seinen breiten Tisch.

„Beim Tee werden wir Sie dann gleich im Amt bestätigen!“, sagte Genosse Pawljuk wohlwollend, während er sich auf seinem Sessel an der Stirnseite des Schreibtisches niederließ.

Pawel warf einen verwirrten Blick auf ihn, den der Chef des Büros sofort verstand und deshalb erklärte:

„Es geht darum, Genosse Dobrynin: Sie wurden sozusagen auf unterster Ebene gewählt, dann waren Sie im Bezirk bei Genosse Kowalenkow, und man muss sagen, Sie haben ihm gefallen. Er hat Sie also bestätigt und Ihnen das wahrscheinlich gar nicht gesagt. Jetzt müssen wir Sie im Namen des Verwaltungsgebiets bestätigen, und dann gibt es noch die letzte Instanz… Nun, Sie wissen schon welche…“ Pawel nickte.

„Aber denken Sie nicht, dass wir der Entscheidung Ihrer Kolchosversammlung misstrauen! So ist das Prozedere, verstehen Sie?! Wir stellen Ihnen nicht einmal irgendwelche Fragen… Übrigens, hat man Ihnen mein Geschenk gegeben?“

„Welches?“, fragte Dobrynin.

„Nun, das Leninbüchlein mit meiner Unterschrift?“

„Ja, natürlich, vielen Dank…“, stammelte Dobrynin.

„Nun, ich war noch nicht fertig… Also, das ist das Prozedere, verstehen Sie?“, fuhr Genosse Pawljuk fort. „Ich frage jetzt in Ihrer Anwesenheit die Mitglieder des Parteibüros: Gefällt Ihnen Genosse Dobrynin?“ Und Genosse Pawljuk sah die drei in den Anzügen der Reihe nach mit forschendem Blick an.

Diese nickten.

„Da sehen Sie!“, freute sich Genosse Pawljuk. „Mir haben Sie auch sofort gefallen. Ich sehe einen russischen Menschen, ein offenes Gesicht, ein gutes, gewinnendes Lächeln. Also einfach einen idealen Kontrolleur. So, damit haben wir Sie jetzt bestätigt. Und nun Tee und Gebäck!“

Ein junger Bursche, dem Aussehen nach ein Komsomolze, brachte ein Tablett mit gebräunten Weißbrotkringeln und einem großen Teekessel aus Kupfer mit kochendem Wasser ins Zimmer. Hierauf leerte Genosse Pawljuk eigenhändig ein wenig Teeaufguss in jede Tasse auf dem Tisch.