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Der große Stil. — Der große Stil entsteht, wenn das Schöne den Sieg über das Ungeheure davonträgt.

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Ausweichen. — Man weiß nicht eher, worin bei ausgezeichneten Geistern das Feine ihres Ausdrucks, ihrer Wendung liegt, wenn man nicht sagen kann, auf welches Wort jeder mittelmäßige Schriftsteller beim Ausdrücken derselben Sache unvermeidlich geraten sein würde. Alle großen Artisten zeigen sich beim Lenken ihres Fuhrwerks zum Ausweichen, zum Entgleisen geneigt — doch nicht zum Umfallen.

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Etwas wie Brot. — Brot neutralisiert den Geschmack anderer Speisen, wischt ihn weg; deshalb gehört es zu jeder längeren Mahlzeit. In allen Kunstwerken muß es etwas wie Brot geben, damit es verschiedene Wirkungen in ihnen geben könne: welche, unmittelbar und ohne ein solches zeitweiliges Ausruhen und Pausieren aufeinanderfolgend, schnell erschöpfen und Widerwillen machen würden, so daß eine längere Mahlzeit der Kunst unmöglich wäre.

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Jean Paul. — Jean Paul wußte sehr viel, aber hatte keine Wissenschaft, verstand sich auf allerlei Kunstgriffe in den Künsten, aber hatte keine Kunst, fand beinahe nichts ungenießbar, aber hatte keinen Geschmack, besaß Gefühl und Ernst, goß aber, wenn er davon zu kosten gab, eine widerliche Tränenbrühe darüber, ja er hatte Witz, — aber leider für seinen Heißhunger danach viel zu wenig: weshalb er den Leser gerade durch seine Witzlosigkeit zur Verzweiflung treibt. Im ganzen war er das bunte, starkriechende Unkraut, welches über Nacht auf den zarten Fruchtfeldern Schillers und Goethes aufschoß; er war ein bequemer, guter Mensch, und doch ein Verhängnis, — ein Verhängnis im Schlafrock.

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Auch den Gegensatz zu schmecken wissen. — Um ein Werk der Vergangenheit so zu genießen, wie es seine Zeitgenossen empfanden, muß man den damals herrschenden Geschmack, gegen den es sich abhob, auf der Zunge haben.

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Weingeist-Autoren. — Manche Schriftsteller sind weder Geist noch Wein, aber Weingeist: sie können in Flammen geraten und geben dann Wärme.

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Der Mittler-Sinn. — Der Sinn des Geschmacks, als der wahre Mittler-Sinn, hat die anderen Sinne oft zu seinen Ansichten der Dinge überredet und ihnen seine Gesetze und Gewohnheiten eingegeben. Man kann bei Tische über die feinsten Geheimnisse der Künste Aufschlüsse erhalten: man beachte, was schmeckt, wann es schmeckt, wonach und wie lange es schmeckt.

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Lessing. — Lessing hat eine echt französische Tugend und ist überhaupt als Schriftsteller bei den Franzosen am fleißigsten in die Schule gegangen: er versteht seine Dinge im Schauladen gut zu ordnen und aufzustellen. Ohne diese wirkliche Kunst würden seine Gedanken sowie deren Gegenstände ziemlich im Dunkel geblieben sein, und ohne daß die allgemeine Einbuße groß wäre. An seiner Kunst haben aber viele gelernt (namentlich die letzten Generationen deutscher Gelehrten) und Unzählige sich erfreut. Freilich hätten jene Lernenden nicht nötig gehabt, wie so oft geschehen ist, ihm auch seine unangenehme Ton-Manier, in ihrer Mischung von Zankteufelei und Biederkeit, abzulernen. — Über den» Lyriker «Lessing ist man jetzt einmütig: über den Dramatiker wird man es werden.

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Unerwünschte Leser. — Wie quälen den Autor jene braven Leser mit den dicklichten, ungeschickten Seelen, welche immer, wenn sie woran anstoßen, auch umfallen und sich jedesmal dabei wehe tun!

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Dichter-Gedanken. — Die wirklichen Gedanken gehen bei wirklichen Dichtern alle verschleiert einher wie die Ägypterinnen: nur das tiefe Auge des Gedankens blickt frei über den Schleier hinweg. — Dichter-Gedanken sind im Durchschnitt nicht so viel wert, als sie gelten: man bezahlt eben für den Schleier und die eigene Neugierde mit.

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Schreibt einfach und nützlich. — Übergänge, Ausführungen, Farbenspiele des Affekts, — alles das schenken wir dem Autor, weil wir dies mitbringen und seinem Buche zugute kommen lassen, falls er selber uns etwas zugute tut.

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Wieland. — Wieland hat besser als irgend jemand deutsch geschrieben und dabei sein rechtes meisterliches Genügen und Ungenügen gehabt (seine Übersetzungen der Briefe Ciceros und des Lucian sind die besten deutschen Übersetzungen); aber seine Gedanken geben uns nichts mehr zu denken. Wir vertragen seine heiteren Moralitäten ebensowenig wie seine heiteren Immoralitäten: beide gehören so gut zu einander. Die Menschen, die an ihnen ihre Freude hatten, waren doch wohl im Grunde bessere Menschen als wir, — aber auch um ein gut Teil schwerfälligere, denen ein solcher Schriftsteller eben not tat. — Goethe tat den Deutschen nicht not, daher sie auch von ihm keinen Gebrauch zu machen wissen. Man sehe sich die Besten unserer Staatsmänner und Künstler daraufhin an: sie alle haben Goethe nicht zum Erzieher gehabt — nicht haben können.

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Seltene Feste. — Körnige Gedrängtheit, Ruhe und Reife — wo du diese Eigenschaften bei einem Autor findest, da mache Halt und feiere ein langes Fest mitten in der Wüste: es wird dir lange nicht wieder so wohl werden.

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Der Schatz der deutschen Prosa. — Wenn man von Goethes Schriften absieht und namentlich von Goethes Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es gibt: was bleibt eigentlich von der deutschen Prosa-Literatur übrig, das es verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden? Lichtenbergs Aphorismen, das erste Buch von Jung-Stillings Lebensgeschichte, Adalbert Stifters Nachsommer und Gottfried Kellers Leute von Seldwyla, — und damit wird es einstweilen am Ende sein.

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Schreibstil und Sprechstil. — Die Kunst zu schreiben verlangt vor allem Ersatzmittel für die Ausdrucksarten, welche nur der Redende hat: also für Gebärden, Akzente, Töne, Blicke. Deshalb ist der Schreibstil ein ganz anderer als der Sprechstil, und etwas viel Schwierigeres: — er will mit wenigerem sich ebenso verständlich machen wie jener. Demosthenes hielt seine Reden anders als wir sie lesen: er hat sie zum Gelesenwerden erst überarbeitet. — Ciceros Reden sollten zum gleichen Zwecke erst demosthenisiert werden: jetzt ist viel mehr römisches Forum in ihnen, als der Leser vertragen kann.

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Vorsicht im Zitieren. — Die jungen Autoren wissen nicht, daß der gute Ausdruck, der gute Gedanke sich nur unter seinesgleichen gut ausnimmt, daß ein vorzügliches Zitat ganze Seiten, ja das ganze Buch vernichten kann, indem es den Leser warnt und ihm zuzurufen scheint:»Gib acht, ich bin der Edelstein und rings um mich ist Blei, bleiches, schmähliches Blei!«Jedes Wort, jeder Gedanke will nur in seiner Gesellschaft leben: das ist die Moral des gewählten Stils.

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Wie soll man Irrtümer sagen? — Man kann streiten, ob es schädlicher sei, wenn Irrtümer schlecht gesagt werden oder gut wie die besten Wahrheiten. Gewiß ist, daß sie im ersteren Fall auf doppelte Weise dem Kopfe schaden und schwerer aus ihm zu entfernen sind; aber freilich wirken sie nicht so sicher wie im zweiten Falle: sie sind weniger ansteckend.

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Beschränken und vergrößern. — Homer hat den Umfang des Stoffes beschränkt, verkleinert, aber die einzelnen Szenen aus sich wachsen lassen und vergrößert — und so machen es später die Tragiker immer von neuem: jeder nimmt den Stoff in noch kleineren Stücken als sein Vorgänger, jeder aber erzielt eine reichere Blütenfülle innerhalb dieser abgegrenzten, umfriedeten Gartenhecken.

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Literatur und Moralität sich erklärend. — Man kann an der griechischen Literatur zeigen, durch welche Kräfte der griechische Geist sich entfaltete, wie er in verschiedene Bahnen geriet und woran er schwach wurde. Alles das gibt ein Bild davon ab, wie es im Grunde auch mit der griechischen Moralität zugegangen ist und wie es mit jeder Moralität zugehen wird: wie sie erst Zwang war, erst Härte zeigte, dann allmählich milder wurde, wie endlich Lust an gewissen Handlungen, an gewissen Konventionen und Formen entstand, und daraus wieder ein Hang zur alleinigen Ausübung, zum Alleinbesitz derselben: wie die Bahn sich mit Wettbewerbenden füllt und überfüllt, wie Übersättigung eintritt, neue Gegenstände des Kampfes und Ehrgeizes aufgesucht, veraltete ins Leben erweckt werden, wie das Schauspiel sich wiederholt und die Zuschauer des Zuschauens überhaupt müde werden, weil nun der ganze Kreis durchlaufen scheint — und dann kommt ein Stillstehen, ein Ausatmen: die Bäche verlieren sich im Sande. Es ist das Ende da, wenigstens ein Ende.

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Welche Gegenden dauernd erfreuen. — Diese Gegend hat bedeutende Züge zu einem Gemälde, aber ich kann die Formel für sie nicht finden, als Ganzes bleibt sie mir unfaßbar. Ich bemerke, daß alle Landschaften, die mir dauernd zusagen, unter aller Mannigfaltigkeit ein einfaches geometrisches Linien-Schema haben. Ohne ein solches mathematisches Substrat wird keine Gegend etwas künstlerisch Erfreuendes. Und vielleicht gestattet diese Regel eine gleichnishafte Anwendung auf den Menschen.

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Vorlesen. — Vorlesen können setzt voraus, daß man vortragen könne: man hat überall blasse Farben anzuwenden, aber die Grade der Blässe in genauen Proportionen zu dem immer vorschwebenden und dirigierenden, voll und tief gefärbten Grundgemälde, das heißt nach dem Vortrage derselben Partie zu bestimmen. Also muß man dieses letzteren mächtig sein.

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Der dramatische Sinn. — Wer die feineren vier Sinne der Kunst nicht hat, sucht alles mit dem gröbsten, dem fünften zu verstehen: dies ist der dramatische Sinn.

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Herder. — Herder ist alles das nicht, was er von sich wähnen machte (und selber zu wähnen wünschte): kein großer Denker und Erfinder, kein neuer treibender Fruchtboden mit einer urwaldfrischen unausgenutzten Kraft. Aber er besaß im höchsten Maße den Sinn der Witterung, er sah und pflückte die Erstlinge der Jahreszeit früher als alle anderen, welche dann glauben konnten, er habe sie wachsen lassen: sein Geist war zwischen Hellem und Dunklem, Altem und Jungem und überall dort wie ein Jäger auf der Lauer, wo es Übergänge, Senkungen, Erschütterungen, die Anzeichen inneren Quellens und Werdens gab: die Unruhe des Frühlings trieb ihn umher, aber er selber war der Frühling nicht! — Das ahnte er wohl zuzeiten, und wollte es doch sich selber nicht glauben, er, der ehrgeizige Priester, der so gern der Geister-Papst seiner Zeit gewesen wäre! Dies ist sein Leiden: er scheint lange als Prätendent mehrerer Königtümer, ja eines Universalreiches gelebt zu haben und hatte seinen Anhang, welcher an ihn glaubte: der junge Goethe war unter ihm. Aber überall, wo zuletzt Kronen wirklich vergeben wurden, ging er leer aus: Kant, Goethe, sodann die wirklichen ersten deutschen Historiker und Philologen nahmen ihm weg, was er sich vorbehalten wähnte, — oft aber auch im stillsten und geheimsten nicht wähnte. Gerade wenn er an sich zweifelte, warf er sich gern die Würde und die Begeisterung um: dies waren bei ihm allzuoft Gewänder, die viel verbergen, ihn selber täuschen und trösten mußten. Er hatte wirklich Begeisterung und Feuer, aber sein Ehrgeiz war viel größer! Dieser blies ungeduldig in das Feuer, daß es flackerte, knisterte und rauchte — sein Stil flackert, knistert und raucht — aber er wünschte die große Flamme, und diese brach nie hervor! Er saß nicht an der Tafel der eigentlich Schaffenden: und sein Ehrgeiz ließ nicht zu, daß er sich bescheiden unter die eigentlich Genießenden setzte. So war er ein unruhiger Gast, der Vorkoster aller geistigen Gerichte, die sich die Deutschen in einem halben Jahrhundert aus allen Welt- und Zeitreichen zusammenholten. Nie wirklich satt und froh, war Herder überdies allzu häufig krank: da setzte sich bisweilen der Neid an sein Bett, auch die Heuchelei machte ihren Besuch. Etwas Wundes und Unfreies blieb an ihm haften: und mehr als irgend einem unserer sogenannten» Klassiker «geht ihm die einfältige wackere Mannhaftigkeit ab.