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Die traurigen und die ernsten Autoren. — Wer zu Papier bringt, was er leidet, wird ein trauriger Autor: aber ein ernster, wenn er uns sagt, was er litt und weshalb er jetzt in der Freude ausruht.

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Gesundheit des Geschmacks. — Wie kommt es, daß die Gesundheiten nicht so ansteckend sind wie die Krankheiten — überhaupt, und namentlich im Geschmack? Oder gibt es Epidemien der Gesundheit? —

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Vorsatz. — Kein Buch mehr lesen, das zu gleicher Zeit geboren und (mit Tinte) getauft wurde.

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Den Gedanken verbessern. — Den Stil verbessern — das heißt den Gedanken verbessern, und gar Nichts weiter! — Wer dies nicht sofort zugibt, ist auch nie davon zu überzeugen.

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Klassische Bücher. — Die schwächste Seite jedes klassischen Buches ist die, daß es zu sehr in der Muttersprache seines Autors geschrieben ist.

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Schlechte Bücher. — Das Buch soll nach Feder, Tinte und Schreibtisch verlangen: aber gewöhnlich verlangen Feder, Tinte und Schreibtisch nach dem Buche. Deshalb ist es jetzt so wenig mit Büchern.

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Sinnesgegenwart. — Das Publikum wird, wenn es über Gemälde nachdenkt, dabei zum Dichter, und wenn es über Gedichte nachdenkt, zum Forscher. Im Augenblick, da der Künstler es anruft, fehlt es ihm immer am rechten Sinn, nicht also an der Geistes-, sondern an der Sinnesgegenwart.

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Gewählte Gedanken. — Der gewählte Stil einer bedeutenden Zeit wählt nicht nur die Worte, sondern auch die Gedanken aus, — und zwar beide aus dem Üblichen und Herrschenden: die gewagten und allzufrisch riechenden Gedanken sind dem reiferen Geschmack nicht minder zuwider als die neuen tollkühnen Bilder und Ausdrücke. Später riecht beides — der gewählte Gedanke und das gewählte Wort — leicht nach Mittelmäßigkeit, weil der Geruch des Gewählten sich schnell verflüchtigt und dann nur noch das Übliche und Alltägliche daran geschmeckt wird.

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Hauptgrund der Verderbnis des Stils. — Mehr Empfindung für eine Sache zeigen wollen, als man wirklich hat, verdirbt den Stil, in der Sprache und in allen Künsten. Vielmehr hat alle große Kunst die umgekehrte Neigung: sie liebt es, gleich jedem sittlich bedeutenden Menschen, das Gefühl auf seinem Wege anzuhalten und nicht ganz ans Ende laufen zu lassen. Diese Scham der halben Gefühls-Sichtbarkeit ist zum Beispiel bei Sophokles auf das Schönste zu beobachten; und es scheint die Züge der Empfindung zu verklären, wenn diese sich selber nüchterner gibt, als sie ist.

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Zur Entschuldigung der schwerfälligen Stilisten. — Das Leicht-Gesagte fällt selten so schwer ins Gehör, als die Sache wirklich wiegt — das liegt aber an den schlecht geschulten Ohren, welche aus der Erziehung durch das, was man bisher Musik nannte, in die Schule der höheren Tonkunst, das heißt der Rede, übergehen müssen.

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Vogelperspektive. — Hier stürzen Wildwasser von mehreren Seiten einem Schlunde zu: ihre Bewegung ist so stürmisch und reißt das Auge so mit sich fort, daß die kahlen und bewaldeten Gebirgshänge ringsum nicht abzusinken, sondern wie hinabzufliehen scheinen. Man wird beim Anblick angstvoll gespannt, als ob etwas Feindseliges hinter alledem verborgen liege, vor dem alles flüchten müsse, und gegen das uns der Abgrund Schutz verliehe. Diese Gegend ist gar nicht zu malen, es sei denn, daß man wie ein Vogel in der freien Luft über ihr schwebe. Hier ist einmal die sogenannte Vogelperspektive nicht eine künstlerische Willkür, sondern die einzige Möglichkeit.

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Gewagte Vergleichungen. — Wenn die gewagten Vergleichungen nicht Beweise vom Mutwillen des Schriftstellers sind, so sind sie Beweise seiner ermüdeten Phantasie. In jedem Falle aber sind sie Beweise seines schlechten Geschmackes.

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In Ketten tanzen. — Bei jedem griechischen Künstler, Dichter und Schriftsteller ist zu fragen: welches ist der neue Zwang, den er sich auferlegt und den er seinen Zeitgenossen reizvoll macht (so daß er Nachahmer findet)? Denn was man» Erfindung«(im Metrischen zum Beispiel) nennt, ist immer eine solche selbstgelegte Fessel.»In Ketten tanzen«, es sich schwer machen und dann die Täuschung der Leichtigkeit darüber breiten, — das ist das Kunststück, welches sie uns zeigen wollen. Schon bei Homer ist eine Fülle von vererbten Formeln und epischen Erzählungsgesetzen wahrzunehmen innerhalb deren er tanzen mußte: und er selber schuf neue Konventionen für die Kommenden hinzu. Dies war die Erziehungs-Schule der griechischen Dichter: zuerst also einen vielfältigen Zwang sich auferlegen lassen durch die früheren Dichter; sodann einen neuen Zwang hinzuerfinden, ihn sich auferlegen und ihn anmutig besiegen: so daß Zwang und Sieg bemerkt und bewundert werden.

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Fülle der Autoren. — Das Letzte, was ein guter Autor bekommt, ist Fülle; wer sie mitbringt, wird nie ein guter Autor werden. Die edelsten Rennpferde sind mager, bis sie von ihren Siegen ausruhen dürfen.

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Keuchende Helden. — Dichter und Künstler, die an Engbrüstigkeit des Gefühls leiden, lassen ihre Helden am meisten keuchen: sie verstehen sich auf das leichte Atmen nicht.

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Der Halb-Blinde. — Der Halb-Blinde ist der Todfeind aller Autoren, welche sich gehen lassen. Diese sollten seinen Ingrimm kennen, mit dem er ein Buch zuschlägt, aus welchem er merkt, daß sein Verfasser fünfzig Seiten braucht, um fünf Gedanken mitzuteilen; jenen Ingrimm darüber, den Rest seiner Augen fast ohne Entgelt in Gefahr gebracht zu haben. — Ein Halb-Blinder sagte: alle Autoren haben sich gehen lassen. — »Auch der heilige Geist?«— Auch der heilige Geist. Aber der durfte es; er schrieb für, die Ganz-Blinden.

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Der Stil der Unsterblichkeit. — Thukydides sowohl wie Tacitus — beide haben beim Ausarbeiten ihrer Werke an eine unsterbliche Dauer derselben gedacht: dies würde, wenn man es sonst nicht wüßte, schon aus ihrem Stile zu erraten sein. Der eine glaubte seinen Gedanken durch Einsalzen, der andere durch Einkochen Dauerhaftigkeit zu geben; und beide, scheint es, haben sich nicht verrechnet.

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Gegen Bilder und Gleichnisse. — Mit Bildern, und Gleichnissen überzeugt man, aber beweist nicht. Deshalb hat man innerhalb der Wissenschaft eine solche Scheu vor Bildern und Gleichnissen; man will hier gerade das Überzeugende, das Glaublich-Machende nicht und fordert vielmehr das kälteste Mißtrauen auch schon durch die Ausdrucksweise und die kahlen Wände heraus: weil das Mißtrauen der Prüfstein für das Gold der Gewißheit ist.

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Vorsicht. — Wem es an gründlichem Wissen gebricht, der mag sich in Deutschland ja hüten, zu schreiben. Denn der gute Deutsche sagt da nicht:»er ist unwissend«, sondern:»er ist von zweifelhaftem Charakter«. — Dieser übereilte Schluß macht übrigens den Deutschen alle Ehre.

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Bemalte Gerippe. — Bemalte Gerippe: das sind jene Autoren, welche das, was ihnen an Fleisch abgeht, durch künstliche Farben ersetzen möchten.

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Der großartige Stil und das Höhere. — an lernt es schneller, großartig schreiben, als leicht und schlicht schreiben. Die Gründe davon verlieren sich ins Moralische.

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Sebastian Bach. — Sofern man Bachs Musik nicht als vollkommener und gewitzigter Kenner des Kontrapunktes und aller Arten des fugierten Stiles hört und demgemäß des eigentlichen artistischen Genusses entraten muß, wird es uns als Hörern seiner Musik zumute sein (um uns grandios mit Goethe auszudrücken), als ob wir dabei wären, wie Gott die Welt schuf. Das heißt: wir fühlen, daß hier etwas Großes im Werden ist, aber noch nicht ist: unsere große moderne Musik. Sie hat schon die Welt überwunden, dadurch daß sie die Kirche, die Nationalitäten und den Kontrapunkt überwand. In Bach ist noch zuviel krude Christlichkeit, krudes Deutschtum, krude Scholastik; er steht an der Schwelle der europäischen (modernen) Musik, aber schaut sich von hier nach dem Mittelalter um.

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Händel. — Händel, im Erfinden seiner Musik kühn, neuerungssüchtig, wahrhaft, gewaltig, dem Heroischen zugewandt und verwandt, dessen ein Volk fähig ist, — wurde bei der Ausarbeitung oft befangen und kalt, ja an sich selber müde; da wendete er einige erprobte Methoden der Durchführung an, schrieb schnell und viel und war froh, wenn er fertig war, — aber nicht in der Art froh, wie es Gott und andere Schöpfer am Abende ihres Werktages gewesen sind.

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Haydn. — Soweit sich Genialität mit einem schlechthin guten Menschen verbinden kann, hat Haydn sie gehabt. Er geht gerade bis an die Grenze, welche die Moralität dem Intellekt zieht; er macht lauter Musik, die» keine Vergangenheit «hat.

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Beethoven und Mozart. — Beethovens Musik erscheint häufig wie eine tiefbewegte Betrachtung beim unerwarteten Wiederhören eines längst verloren geglaubten Stückes» Unschuld in Tönen«: es ist Musik über Musik. Im Liede der Bettler und Kinder auf der Gasse, bei den eintönigen Weisen wandernder Italiener, beim Tanze in der Dorfschenke oder in den Nächten des Karnevals, — da entdeckt er seine» Melodien«: er trägt sie wie eine Biene zusammen, indem er bald hier bald dort einen Laut, eine kurze Folge erhascht. Es sind ihm verklärte Erinnerungen aus der» besseren Welt«: ähnlich wie Plato es sich von den Ideen dachte. — Mozart steht ganz anders zu seinen Melodien: er findet seine Inspirationen nicht beim Hören von Musik, sondern im Schauen des Lebens, des bewegtesten südländischen Lebens: er träumte immer von Italien, wenn er nicht dort war.

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Rezitativ. — Ehemals war das Rezitativ trocken; jetzt leben wir in der Zeit des nassen Rezitativs: es ist ins Wasser gefallen, und die Wellen reißen es, wohin sie wollen.

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«Heitere «Musik. — Hat man lange die Musik entbehrt, so geht sie nachher wie ein schwerer Südwein allzuschnell ins Blut und hinterläßt eine narkotisch betäubte, halbwache, schlaf-sehnsüchtige Seele; namentlich tut dies gerade die heitere Musik, welche zusammen Bitterkeit und Verwundung, Überdruß und Heimweh gibt und alles wie in einem verzuckerten Giftgetränk wieder und wieder zu schlürfen nötigt. Dabei scheint der Saal der heiter rauschenden Freude sich zu verengern, das Licht an Helle zu verlieren und bräuner zu werden: zuletzt ist es einem zu Mute, als ob die Musik wie in ein Gefängnis hineinklinge, wo ein armer Mensch vor Heimweh nicht schlafen kann.