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271

Groß und vergänglich. — Was den Betrachtenden zu Tränen rührt, das ist der schwärmerische Glückes- Blick, mit dem eine schöne junge Frau ihren Gatten ansieht. Man empfindet alle Herbst-Wehmut dabei, über die Größe sowohl, als über die Vergänglichkeit des menschlichen Glückes.

272

Opfer-Sinn. — Manche Frau hat den intelletto del sacrifizio und wird ihres Lebens nicht mehr froh, wenn der Gatte sie nicht opfern wilclass="underline" sie weiß dann mit ihrem Verstande nicht mehr wohin? und wird unversehens aus dem Opfertier der Opferpriester selber.

273

Das Unweibliche. — »Dumm wie ein Mann «sagen die Frauen:»feige wie ein Weib «sagen die Männer. Die Dummheit ist am Weibe das Unweibliche.

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Männliches und weibliches Temperament und die Sterblichkeit. — Daß das männliche Geschlecht ein schlechteres Temperament hat, als das weibliche, ergibt sich auch daraus, daß die männlichen Kinder der Sterblichkeit mehr ausgesetzt sind, als die weiblichen, offenbar weil sie leichter» aus der Haut fahren«: ihre Wildheit und Unverträglichkeit verschlimmert alle Übel leicht bis ins Tödliche.

275

Die Zeit der Zyklopen-Bauten. — Die Demokratisierung Europas ist unaufhaltsam: wer sich dagegen stemmt, gebraucht doch eben die Mittel dazu, welche erst der demokratische Gedanke jedermann in die Hand gab, und macht diese Mittel selber handlicher und wirksamer: und die grundsätzlichsten Gegner der Demokratie (ich meine die Umsturzgeister) scheinen nur deshalb da zu sein, um durch die Angst, welche sie erregen, die verschiedenen Parteien immer schneller auf der demokratischen Bahn vorwärts zu treiben. Nun kann es einem angesichts derer, welche jetzt bewußt und ehrlich für diese Zukunft arbeiten, in der Tat bange werden: es liegt etwas Ödes und Einförmiges in ihren Gesichtern, und der graue Staub scheint auch bis in ihre Gehirne hinein geweht zu sein. Trotzdem: es ist möglich, daß die Nachwelt über dieses unser Bangen einmal lacht und an die demokratische Arbeit einer Reihe von Geschlechtern etwa so denkt, wie wir an den Bau von Steindämmen und Schutzmauern — als an eine Tätigkeit, die notwendig viel Staub auf Kleider und Gesichter breitet und unvermeidlich wohl auch die Arbeiter ein wenig blödsinnig macht; aber wer würde deswegen solches Tun ungetan wünschen! Es scheint, daß die Demokratisierung Europas ein Glied in der Kette jener ungeheuren prophylak- tischen Maßregeln ist, welche der Gedanke der neuen Zeit sind und mit denen wir uns gegen das Mittelalter abheben. Jetzt erst ist das Zeitalter der Zyklopenbauten! Endliche Sicherheit der Fundamente, damit alle Zukunft auf ihnen ohne Gefahr bauen kann! Unmöglichkeit fürderhin, daß die Fruchtfelder der Kultur wieder über Nacht von wilden und sinnlosen Bergwässern zerstört werden! Steindämme und Schutzmauern gegen Barbaren, gegen Seuchen, gegen leibliche und geistige Verknechtung! Und dies alles zunächst wörtlich und gröblich, aber allmählich immer höher und geistiger verstanden, so daß alle hier angedeuteten Maßregeln die geistreiche Gesamtvorbereitung des höchsten Künstlers der Gartenkunst zu sein scheinen, der sich dann erst zu seiner eigentlichen Aufgabe wenden kann, wenn jene vollkommen ausgeführt ist! — Freilich: bei den weiten Zeitstrecken, welche hier zwischen Mittel und Zweck liegen, bei der großen, übergroßen, Kraft und Geist von Jahrhunderten anspannenden Mühsal, die schon not tut, um nur jedes einzelne Mittel zu schaffen oder herbeizuschaffen, darf man es den Arbeitern an der Gegenwart nicht zu hart anrechnen, wenn sie laut dekretieren, die Mauer und das Spalier sei schon der Zweck und das letzte Ziel; da ja noch niemand den Gärtner und die Fruchtpflanzen sieht, um derentwillen das Spalier da ist.

276

Das Recht des allgemeinen Stimmrechts. — Das Volk hat sich das allgemeine Stimmrecht nicht gegeben, es hat dasselbe, überall, wo es jetzt in Geltung ist, empfangen und vorläufig angenommen: jedenfalls hat es aber das Recht, es wieder zurückzugeben, wenn es seinen Hoffnungen nicht genug tut. Dies scheint jetzt allerorten der Fall zu sein: denn wenn bei irgend einer Gelegenheit, wo es gebraucht wird, kaum Zweidrittel, ja vielleicht nicht einmal die Majorität aller Stimmberechtigten an die Stimm-Urne kommt, so ist dies ein Votum gegen das ganze Stimmsystem überhaupt. — Man muß hier sogar noch viel strenger urteilen. Ein Gesetz, welches bestimmt, daß die Majorität über das Wohl aller die letzte Entscheidung habe, kann nicht auf derselben Grundlage, welche durch dasselbe erst gegeben wird, aufgebaut werden; es bedarf notwendig einer noch breiteren: und dies ist die Einstimmigkeit aller. Das allgemeine Stimmrecht darf nicht nur der Ausdruck eines Majoritäten-Willens sein: das ganze Land muß es wollen. Deshalb genügt schon der Widerspruch einer sehr kleinen Minorität, dasselbe als untunlich wieder beiseite zu stellen: und die Nichtbeteiligung an einer Abstimmung ist eben ein solcher Widerspruch, der das ganze Stimmsystem zum Falle bringt. Das» absolute Veto «des einzelnen oder, um nicht ins Kleinliche zu verfallen, das Veto weniger Tausende hängt über diesem System, als die Konsequenz der Gerechtigkeit: bei jedem Gebrauche, den man von ihm macht, muß es, laut der Art von Beteiligung, erst beweisen, daß es noch zu Recht besteht.

277

Das schlechte Schließen. — Wie schlecht schließt man, auf Gebieten, wo man nicht zu Hause ist, selbst wenn man als Mann der Wissenschaft noch so sehr an das gute Schließen gewöhnt ist! Es ist beschämend! Und nun ist klar, daß im großen Welttreiben, in Sachen der Politik, bei allem Plötzlichen und Drängenden, wie es fast jeder Tag heraufführt, eben dieses schlechte Schließen entscheidet: denn niemand ist völlig in dem zu Hause, was über Nacht neu gewachsen ist; alles Politisieren, auch bei den größten Staatsmännern, ist Improvisieren auf gut Glück.

278

Prämissen des Maschinen-Zeitalters. — Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige Konklusion noch niemand zu ziehen gewagt hat.

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Ein Hemmschuh der Kultur. — Wenn wir hören: dort haben die Männer nicht Zeit zu den produktiven Geschäften; Waffenübungen und Umzüge nehmen ihnen den Tag weg, und die übrige Bevölkerung muß sie ernähren und kleiden, ihre Tracht aber ist auffallend, oftmals bunt und voll Narrheiten; dort sind nur wenige unterscheidende Eigenschaften anerkannt, die einzelnen gleichen einander mehr als anderwärts oder werden doch als Gleiche behandelt; dort verlangt und gibt man Gehorsam ohne Verständnis: man befiehlt, aber man hütet sich zu überzeugen; dort sind die Strafen wenige, diese wenigen aber sind hart und gehen schnell zum Letzten, Fürchterlichsten; dort gilt der Verrat als das größte Verbrechen, schon die Kritik der Übelstände wird nur von den Mutigsten gewagt; dort ist ein Menschenleben wohlfeil, und der Ehrgeiz nimmt häufig die Form an, daß er das Leben in Gefahr bringt, — wer dies alles hört, wird sofort sagen:»es ist das Bild einer barbarischen, in Gefahr schwebenden Gesellschaft.«Vielleicht, daß der eine hinzufügt:»es ist die Schilderung Spartas«; ein anderer wird aber nachdenklich werden und vermeinen, es sei unser modernes Militärwesen beschrieben, wie es inmitten unsrer andersartigen Kultur und Sozietät dasteht — als ein lebendiger Anachronismus, als das Bild, wie gesagt, einer barbarischen, in Gefahr schwebenden Gesellschaft, als ein posthumes Werk der Vergangenheit, welches für die Räder der Gegenwart nur den Wert eines Hemmschuhs haben kann. — Mitunter tut aber auch ein Hemmschuh der Kultur auf das Höchste not: wenn es nämlich zu schnell bergab oder, wie in diesem Falle vielleicht, bergauf geht.

280

Mehr Achtung vor den Wissenden! — Bei der Konkurrenz der Arbeit und der Verkäufer ist das Publikum zum Richter über das Handwerk gemacht: das hat aber keine strenge Sachkenntnis und urteilt nach dem Scheine der Güte. Folglich wird die Kunst des Scheines (und vielleicht der Geschmack) unter der Herrschaft der Konkurrenz steigen, dagegen die Qualität aller Erzeugnisse sich verschlechtern müssen. Folglich wird, wofern nur die Vernunft nicht im Werte fällt, irgendwann jener Konkurrenz ein Ende gemacht werden und ein neues Prinzip den Sieg über sie davontragen. Nur der Handwerksmeister sollte über das Handwerk urteilen, und das Publikum abhängig sein vom Glauben an die Person des Urteilenden und an seine Ehrlichkeit. Demnach keine anonyme Arbeit! Mindestens müßte ein Sachkenner als Bürge derselben dasein und seinen Namen als Pfand einsetzen, wenn der Name des Urhebers fehlt oder klanglos ist. Die Wohlfeilheit eines Werkes ist für den Laien eine andere Art Schein und Trug, da erst die Dauerhaftigkeit entscheidet, daß und inwiefern eine Sache wohlfeil ist; jene aber ist schwer und von dem Laien gar nicht zu beurteilen. — Also: was Effekt auf das Auge macht und wenig kostet, das bekommt jetzt das Übergewicht, — und das wird natürlich die Maschinenarbeit sein. Hinwiederum begünstigt die Maschine, das heißt die Ursache der größten Schnelligkeit und Leichtigkeit der Herstellung, auch ihrerseits die verkäuflichste Sorte: sonst ist kein erheblicher Gewinn mit ihr zu machen; sie würde zu wenig gebraucht und zu oft stille stehen. Was aber am verkäuflichsten ist, darüber entscheidet das Publikum, wie gesagt: es muß das Täuschendste sein, das heißt das, was einmal gut scheint und sodann auch wohlfeil scheint. Also auch auf dem Gebiete der Arbeit muß unser Losungswort sein:»Mehr Achtung vor den Wissenden!»

281

Die Gefahr der Könige. — Die Demokratie hat es in der Hand, ohne alle Gewaltmittel, nur durch einen stetig geübten gesetzmäßigen Druck, das König- und Kaisertum hohl zu machen: bis eine Null übrig bleibt, vielleicht, wenn man will, mit der Bedeutung jeder Null, daß sie, an sich nichts, doch an die rechte Seite gestellt, die Wirkung einer Zahl verzehnfacht. Das Kaiser- und Königtum bliebe ein prachtvoller Zierrat an der schlichten und zweckmäßigen Gewandung der Demokratie, das schöne Überflüssige, welches sie sich gönnt, der Rest alles historisch ehrwürdigen Urväterzierrates, ja das Symbol der Historie selber — und in dieser Einzigkeit etwas höchst Wirksames, wenn es, wie gesagt, nicht für sich allein steht, sondern richtig gestellt wird. — Um der Gefahr jener Aushöhlung vorzubeugen, halten die Könige jetzt mit den Zähnen an ihrer Würde als Kriegsfürsten fest: dazu brauchen sie Kriege, das heißt Ausnahmezustände, in denen jener langsame, gesetzmäßige Druck der demokratischen Gewalten pausiert.

282

Der Lehrer ein notwendiges Übel. — So wenig wie möglich Personen zwischen den produktiven Geistern und den hungernden und empfangenden Geistern! Denn die Mittlerwesen fälschen fast unwillkürlich die Nahrung, die sie vermitteln: sodann wollen sie zur Belohnung für ihr Vermitteln zu viel für sich, was also den originalen, produktiven Geistern entzogen wird: nämlich Interesse, Bewunderung, Zeit, Geld und anderes. — Also: man sehe immerhin den Lehrer als ein notwendiges Übel an, ganz wie den Handelsmann: als ein Übel, das man so klein wie möglich machen muß! — Wenn vielleicht die Not der deutschen Zustände jetzt ihren Hauptgrund darin hat, daß viel zu viele vom Handel leben und gut leben wollen (also dem Erzeugenden die Preise möglichst zu verringern und den Verzehrenden die Preise möglichst zu erhöhen suchen, um am möglichst großen Schaden beider den Vorteil zu haben): so kann man gewiß einen Hauptgrund der geistigen Notstände in der Überfülle von Lehrern sehen ihretwegen wird so wenig und so schlecht gelernt.