Durch den Kreis der Gepanzerten ging ein sichtliches Aufatmen. Offenkundig war ihnen die Vorstellung, gegen die beiden hünenhaften Männer kämpfen zu müssen, alles andere als angenehm gewesen.
Der Anführer lenkte sein Tier mit sanftem Schenkeldruck in die Phalanx der anderen zurück und machte eine stumme, befehlende Geste. Zwei Reiter schwangen sich aus den Sätteln und eilten herbei, um ihre Waffen aufzuheben. Skar ließ es widerstandslos geschehen, daß ihm Dolch und Wurfsterne aus dem Gürtel gezogen wurden.
»Jetzt die Panzer!«
Skar gehorchte auch diesmal. »Ihr mißversteht die Situation«, sagte er, während er umständlicher als nötig die ledernen Befestigungsriemen seines Harnfisches löste. »Wir sind friedliche Reisende, die sich in der Wüste verirrt haben und ...«
»Schweig! Du kannst später genug reden. Betrachtet euch als meine Gefangenen, bis wir in Went sind. Wenn ihr vernünftig seid, geschieht euch nichts.«
Skar nickte ergeben. Er wußte, wann er verloren hatte. Und eigentlich hatte er mehr erreicht, als er erwarten durfte. Sie waren Fremde in einem fremden Land, Eindringlinge, die das Hoheitsgebiet der goldenen Reiter ungefragt betreten hatten. Der äußere Schein sprach gegen sie. Für die Reiter waren sie nichts als zwei zerlumpte, bewaffnete Barbaren, die die strenge Schönheit des Waldes und seiner Bewohner schon allein durch ihre Anwesenheit beleidigten. Die Tatsache, daß die Männer außer ihrer Muttersprache auch das Tekanda beherrschten, bewies, daß sie nicht die ersten waren, die die Nonakesh überwunden und diesen Wald gefunden hatten. Und wahrscheinlich hatten diese Menschen schlechte Erfahrungen mit Fremden gemacht.
Sie mußten sich bis auf die Lendentücher ausziehen und wurden mit dünnen, zähen Ranken gefesselt. Die Anspannung wich erst aus der Gruppe, als sie sicher verschnürt im Kreis der Reiter standen.
Skar musterte die Männer genauer. Sie waren keine Kämpfer, das erkannte er jetzt. Und er sah auch, daß sie mindestens ebensoviel Angst vor ihnen hatten wie umgekehrt. Ihr martialisches Äußeres und die Waffen täuschten nicht darüber hinweg, daß sie wenig oder vielleicht gar keine Kampferfahrung hatten. Del und er waren nur an den Händen gefesselt. Ihre Bezwinger hätten sich gewundert, wenn sie gewußt hätten, was ein entschlossener Mann mit Füßen, Knien und Ellbogen anrichten konnte.
Sie hatten sich überrumpeln lassen, aber die Erkenntnis kam zu spät.
Der Anführer stieg umständlich von seinem Pferd und bückte sich nach Skars Waffe. In seinen Händen wirkte die Klinge riesig, als hätte ein Kind eine Gigantenwaffe in die Finger genommen, um damit zu spielen.
»Wenn er damit ausholt«, flüsterte Del spöttisch, »wird er das Gleichgewicht verlieren und hintenüberfallen.«
Der Mann legte das Schwert zurück und betrachtete Skar eindringlich. Er war so klein, daß er dazu den Kopf in den Nacken legen mußte. Dann setzte er seinen Helm ab.
Skar ächzte verblüfft.
Langes, goldbraun schimmerndes Haar fiel in ungebändigten Locken über die Schulterstücke der Rüstung und umrahmte ein schmales, feingeschnittenes Gesicht. Der kupferfarbene Teint der Haut ließ die leicht schrägstehenden Augen darin dunkler erscheinen, als sie waren.
Der Reiter war kein Reiter, sondern eine Reiterin.
»Eine Amazone!« keuchte Del verblüfft.
Die Frau drehte beim Klang von Dels Stimme ruckartig den Kopf und sah ihn mit unverhohlenem Ärger an. Sie mochte die Worte nicht verstehen, aber Dels Tonfall war recht eindeutig. »Sag deinem Kameraden, daß er in einer Sprache zu reden hat, die ich verstehe«, herrschte sie ihn an.
»Sprich Tekanda«, sagte Skar, ohne den Blick von dem schmalgeschnittenen Gesicht der Frau zu nehmen. »Wenigstens so lange, wie sie in Hörweite ist.« Die Verblüffung auf Dels Gesicht wich langsam einem ironischen Grinsen. »Eine Frau«, sagte er noch einmal. »Das darf nicht wahr sein. Die beiden gefürchtetsten Satai von Ikne und Belagon lassen sich von einer Horde junger Mädchen übertölpeln!«
Wenn ihre Bezwingerin die Worte verstanden hatte, so ließ sie sich nichts anmerken. Ihre dunklen Augen fixierten Del abschätzend und hefteten sich dann wieder auf Skars Gesicht. »Dein Freund ist verletzt«, stellte sie fest.
Skar nickte. »Ziemlich schlimm, fürchte ich. Einer der Gründe, deretwegen wir herkamen.«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über die Züge der jungen Frau. Skar hatte plötzlich den Eindruck, etwas ziemlich Dummes und noch dazu Falsches gesagt zu haben. Aber sie ging nicht weiter auf seine Worte ein.
»Unsere Heilerin wird sich um ihn kümmern«, sagte sie. »Das heißt, wenn wir euch nicht gleich am nächsten Baum aufknüpfen.«
Skar schluckte trocken. Aus dem Mund dieser zierlichen, mädchenhaften Frau hörten sich die Worte beinahe bedrohlicher an als aus anderen Mündern, die früher und bei anderen Gelegenheiten Gleichartiges zu ihm gesagt hatten. Die Frau und ihre Reiter waren ihm und Del unterlegen, das spürte er, und das spürte sie ebenso. Und der Schwache neigt leichter dazu, eine Gefahr gründlicher auszuschalten als der Starke.
Er versuchte, ihr Alter zu schätzen, aber es gelang ihm nicht. Sie konnte achtzehn sein, aber auch dreißig oder vierzig. Die lang wallende Haarmähne ließ ihr Gesicht schmaler erscheinen, als es war, und die wuchtige Metallrüstung machte es unmöglich, ihre wirkliche Statur zu erkennen.
»Wir sind in friedlicher Absicht hier«, sagte er hastig. »Wir wollten nichts, als ...« Das Mädchen schnitt ihm mit einer herrischen Bewegung das Wort ab. »Ihr habt nur zu reden, wenn ihr gefragt werdet«, sagte sie schroff. »Wie sind eure Namen, und woher kommt ihr?«
»Ich heiße Skar«, sagte Skar. »Und das da«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf Del hinzu, »ist Del, mein Freund.«
»Skar und Del. Mehr nicht?«
»Mehr nicht.«
Sein Gegenüber runzelte die Stirn und schien etwas sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem bloßen Achselzucken und ging zu ihrem Pferd zurück. »Mein Name ist Coar«, sagte sie, nachdem sie sich in den Sattel geschwungen und nach den Zügeln gegriffen hatte.
»Netter Name«, griente Del.
Zwischen Coars Brauen entstand eine steile Falte. »Ich bin die Kommandantin der Königlichen Garde, falls es dich interessiert, Gefangener Del«, sagte sie eisig. »Und du wärest gut beraten, wirklich nur dann zu reden, wenn du angesprochen wirst.«
Del grinste unerschütterlich weiter. »Jawohl, Kommandantin Coar. Wie Ihr befehlt. Euer getreuer Diener.«
Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Del schien die Sache mit Gewalt auf die Spitze treiben zu wollen. »Und das da«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf die Reiter hinzu, »ist dann wohl die Königliche Garde, wie?« Der ätzende Spott, mit dem er die beiden Worte aussprach, war nicht zu überhören.
Die dunklen Augen der Kommandantin blitzten drohend auf, aber Del übersah auch diese letzte Warnung.
»Ihr solltet Euch überlegen«, fuhr er fort, »ob -«
Coar riß in einer blitzschnellen Bewegung den Säbel aus der Scheide und schlug zu. Del schrie auf, taumelte zurück und preßte die gefesselten Hände an die Wange. Zwischen seinen Fingern sikkerte Blut hervor.
»Ich habe dich gewarnt«, murmelte Skar.
Del schenkte ihm einen zornigen Blick und wandte sich ab.
»Laßt euch das eine Warnung sein«, sagte Coar laut. »Das nächstemal mache ich ernst.«
Skar glaubte ihr. Coar schien nicht zu den Menschen zu gehören, die es in vollen Zügen auskosteten, wenn sie anderen ihre Macht zu spüren geben konnten. Aber sie hatte immer noch Angst vor den beiden hünenhaften Fremden, und das war vielleicht schlimmer. Skar hatte das alte Spiel von Fangen und Gefangenwerden zu oft gespielt, um die Regeln nicht genau zu kennen. Es gehörte zu seinen Grundsätzen, sich in der Rolle des Gefangenen möglichst folgsam und unauffällig zu benehmen. Ein Wächter, der Angst vor seinem Gefangenen hat, ist aufmerksamer.