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Und fast, als wären seine Gedanken ein Stichwort gewesen, auf das ein grausames Schicksal nur gewartet hatte, kam Del in diesem Augenblick aus dem Takt und stolperte. In Skar krampfte sich etwas zusammen, als er sah, wie Del das Gleichgewicht verlor, von der straff gespannten Liane brutal nach vorne gerissen wurde und genau auf die verletzte Schulter prallte. Del schrie gepeinigt, bäumte sich noch einmal auf und versuchte auf die Füße zu kommen. Aber er wurde noch ein paar Meter weit mitgeschleift, ehe es dem Reiter gelang, sein Tier zum Stehen zu bringen.

Die straffe Marschordnung der Gruppe löste sich von einem zum anderen Augenblick auf. Erst Coars helle, befehlsgewohnte Stimme sorgte nach einigen Augenblicken wieder für Ruhe. Sie rief irgend etwas in ihrer dunklen, kehligen Sprache, worauf der Rest der Garde - außer ihr selbst und den beiden Reitern, an deren Sättel Del und Skar gefesselt waren - weiterpreschten und nach wenigen Sekunden am gegenüberliegenden Waldrand verschwanden.

Skar riß verzweifelt an seinen Fesseln, aber die Liane hielt. Mit aller Kraft warf er sich herum, ignorierte den grausamen Schmerz in seinen Handgelenken und Schultern und zerrte Pferd und Reiter Schritt für Schritt auf den reglos daliegenden Del zu.

»Warte!« Coar sprengte heran und durchtrennte mit einem blitzschnellen Säbelhieb seine Fesseln. Skar raffte sich auf und stolperte weiter auf Del zu. Coar sprengte neben ihm her und zügelte ihr Pferd. Das Tier schnaubte und tänzelte erregt. Die Ohren waren eng an den Schädel angelegt, und vor seinen Nüstern schimmerte flockiger Schweiß.

Der Säbel der jungen Gardeführerin blitzte ein zweites Mal auf und durchtrennte Dels Handfesseln. »Kannst du ihn tragen?« stieß sie hervor. Ihre Stimme bebte. Skar nickte wortlos. Er bückte sich, warf sich Dels reglosen Körper über die Schulter und sah Coar fragend an. Warmes, frisches Blut sickerte aus Dels Schulterwunde und lief an Skars Rükken hinab.

»Zum Waldrand! Rasch!« rief sie.

Ein heller, krächzender Schrei zerriß die Stille. Coar zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Ihr Kopf flog mit einem Ruck in den Nacken. Skar sah ebenfalls auf. Zuerst gewahrte er nichts Ungewöhnliches, aber dann erkannte er den Grund für Coars Erregung. Über dem westlichen Ende der Lichtung war ein Schwarm riesiger formloser Schatten aufgetaucht. Sie waren noch zu hoch, als daß Skar ihre genauen Umrisse erkennen konnte, aber trotzdem erschien es ihm, als hafte ihnen irgend etwas Böses, Unheimliches und Bedrohliches an.

»Hoger!!« stieß Coar entsetzt hervor. Sekundenlang saß sie wie erstarrt da, dann fuhr sie mit einem Ruck herum. »Schnell!« keuchte sie. »Leg ihn über den Sattel!« Skar gehorchte, ohne zu zögern. Er wuchtete den schlaffen Körper in den Sattel, warf einen letzten, gehetzten Blick über die Schulter und rannte dann los. Die Phalanx der fliegenden Schatten war näher gekommen; eine regelrechte Formation gigantischer, dreieckiger Ungetüme, die dem Verlauf der Schneise mit fast militärischer Präzision folgten und wie dunkle, in den Himmel gestanzte Löcher wirkten. Coar duckte sich tief über den Hals ihres Pferdes, hielt mit der Linken Dels schlaffen Körper fest und gab dem Tier unbarmherzig die Sporen.

Sie schafften es nicht.

Ein gewaltiger dreieckiger Schatten huschte über das schimmernde Grasmeer, wuchs groß und drohend über Skar auf und stieß mit einem trompetenden Schrei herab. Coars Pferd bäumte sich auf, schlug mit den Vorderhufen in die Luft und begrub im Zusammenbrechen seine Reiterin unter sich. Auf seinem Hals waren plötzlich zwei Reihen parallel verlaufender, blutiger Schnitte.

Skar warf sich zur Seite, prallte ungeschickt auf und rollte herum. Ein halbes Dutzend dünner, scharfer Dolche schien über seinen Rücken zu fahren. Er schrie vor Schmerz und Überraschung, warf sich zur Seite und schlug blind um sich. Seine Faust traf auf irgend etwas Hartes, Horniges. Er schlug noch einmal zu, kam mühsam auf Hände und Knie hoch und verschaffte sich mit einem wütenden Ellbogenstoß Luft. Ein riesiges nachtschwarzes Etwas, das nur aus Zähnen und dolchspitzen Krallen zu bestehen schien, wuchs über ihm auf, hackte nach seinem Gesicht und versuchte ihm die Augen auszukratzen. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, kroch hastig zurück und stand schwankend auf. Seine Hand fuhr zum Gürtel, aber die Schwertscheide war leer. Die Waffe hing unerreichbar an Coars Sattel.

Skar duckte sich in Erwartung des kommenden Angriffs. Zum ersten Mal betrachtete er seinen Gegner genauer. Der Hoger war ein fleischgewordener Alptraum - fast so groß wie ein Mann und mit einer achtunggebietenden Sammlung natürlicher Waffen ausgestattet. Die weit ausgebreiteten Schwingen mochten eine Spannweite von zwanzig oder mehr Metern haben, und das Gebiß - eine dreifach gestaffelte faulige Zahnreihe, die in der perversen Karikatur eines Papageienschnabels bleckte - war kräftig genug, einen Mann mit einem einzigen Biß zu zerteilen. Die Schwingen wurden ähnlich derer von Fledermäusen von einem stabilisierenden Knochengerüst getragen, über dem sich eine lächerlich dünne, halbtransparente Haut spannte und an denen große, einwärts gekrümmte Fänge blinkten. Skar schauderte, als ihm klarwurde, wie dicht er dem Tod entronnen war. Die Fänge des Ungeheuers hatten ihn kaum gestreift, und doch hatte eine einzige flüchtige Berührung seinen Rücken in eine blutende Wunde verwandelt.

Skar wich Schritt für Schritt zurück und hielt verzweifelt nach einem Fluchtweg Ausschau. Der Waldrand war in beiden Richtungen vielleicht fünfzig Schritte entfernt, aber er würde ihn niemals erreichen. Die Luft war voller Hoger; ein Alptraum aus Krallen und Zähnen und ledrigen Schwingen, die die Luft mit hohem, pfeifendem Geräusch teilten. Einzig ihre Größe hinderte die Tiere noch daran, sich alle gemeinsam auf ihre wehrlosen Opfer zu stürzen.

Skar wich schrittweise zurück und kniete neben Coars Pferd nieder, ohne das Monstrum auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Das Tier war tot. Die schrecklichen Fänge des Hoger hatten seinen Hals zerfleischt und sein Genick gebrochen. Es lag quer über Coars Beinen und nagelte ihren Körper gegen den Boden. Del lag irgendwo auf der anderen Seite im Gras und rührte sich nicht. Erneut durchschnitten ein wütender Schrei und das Rauschen mächtiger Schwingen die Luft, als sich der Hoger ein zweites Mal auf sein vermeintlich wehrloses Opfer stürzte. Skars unerwartet heftige Gegenwehr hatte die Bestie überrascht, aber nur für einen Moment.

Er warf sich instinktiv zur Seite und zog den Kopf ein. Die messerscharfen Krallen schnappten dicht vor seinem Gesicht zusammen. Das Geräusch erinnerte Skar an das Zuschnappen einer Bärenfalle.

Der Vogel krächzte, schlug in einer scheinbar plumpen Bewegung mit den Flügeln und gewann wieder an Höhe. In einem weit geschwungenen Bogen setzte er zu einem neuen Angriff an. Skar wich noch einmal aus, sprang hastig vier, fünf Schritte zurück und sah sich gehetzt nach einer Waffe um.

Die Hoger begannen über der Lichtung zu kreisen. Skar hatte plötzlich den Eindruck, als ob sie ihn aus ihren kleinen, funkelnden Augen spöttisch musterten. Mit einem Mal machte sich der verrückte Gedanke in ihm breit, daß diese Bestien mehr als Tiere waren. Seine verzweifelte Gegenwehr schien ihnen eine grausame Freude zu bereiten. Das waren keine Tiere - jedenfalls keine Tiere, wie er sie kannte! Die Monster waren von einer bösen, mordlustigen Intelligenz beseelt. Skar duckte sich, als der monströse Schatten erneut auf ihn herabstieß. Irgend etwas zischte aus dem Waldrand herüber und grub sich mit einem dumpfen Klatschen in den Hals des Hogers. Die Bestie bäumte sich im Flug auf, überschlug sich in der Luft und stürzte dann wie ein Stein zu Boden.