Skar sah überrascht zum Waldrand hinüber. Ein zweiter Bolzen zischte durch die Luft, riß ein häßliches Dreieck in einen ledrigen Flügel und warf eine weitere Bestie aus der Bahn.
Für die übrigen Hoger schien dieser überraschende Angriff Signal zu einer Änderung ihrer Taktik zu sein. Ihre geordnete Formation löste sich auf, und die Luft über der Lichtung verwandelte sich für Augenblicke in ein Chaos aus krächzenden Schreien und schlagenden Flügeln. Dann stießen zwei der Ungeheuer auf Skar und Coar herab, während sich die anderen den neu aufgetauchten Gegnern entgegenwarfen.
Die Königliche Garde war wieder aus dem Wald hervorgebrochen und sprengte in einer weit auseinandergezogenen Kette auf die Lichtung heraus. Ihre Speere waren schräg nach oben gestellt und bildeten eine tödliche Barriere aus schimmerndem Metall. Allzu erfolgreich schien diese Taktik jedoch nicht zu sein. Skar sah, wie sich einer der Riesenvögel mit weit auseinandergefalteten Schwingen auf die Reiter warf. Drei, vier Speerspitzen bohrten sich in seinen Körper und brachen zwischen den Schulterblättern wieder hervor. Aber der Anprall des gigantischen Körpers ließ die Lanzen zersplittern und warf Männer und Tiere gleichermaßen zu Boden. Die geordnete Formation der Garde löste sich auf. Die Speere bildeten plötzlich keinen undurchdringlichen Wall mehr, sondern nur noch vereinzelte, leicht zu umgehende Hindernisse, zwischen denen sich die Hoger spielerisch auf ihre Opfer stürzen konnten.
Skar blieb keine Zeit mehr, dem schrecklichen Schauspiel weiter zu folgen. Ein nachtschwarzer Schatten wuchs über ihm empor, drängte ihn zurück und warf ihn mit brutaler Kraft zu Boden. Harte, dornenspitze Krallen fuhren über sein Gesicht. Coar schrie gellend auf, als sich ein zweiter Hoger in ähnlicher Weise auf sie stürzte.
Skar strampelte verzweifelt mit den Beinen und versuchte hochzukommen. Aber der Hoger hockte wie ein großer, böser Alpdruck auf seiner Brust und drückte ihn mit seinem Körpergewicht in den weichen Boden. Seine Flügel waren weit ausgebreitet, die dornigen Fortsätze tief in den Boden verkrallt.
Skar drehte den Kopf unter den gierig zupackenden Krallen des Hogers weg, zog die Arme an den Körper und warf sich dann mit aller Kraft herum. Das Manöver verschaffte ihm für wenige Augenblicke Luft. Er zog die Beine an und stieß dem Ungeheuer die Knie in den Leib. Ein schmerzhaftes Zucken lief durch den monströsen Körper. Skar holte aus und schlug drei-, viermal hintereinander zu. Er spürte, wie die empfindlichen Hohlknochen der Bestie unter seinen Fäusten brachen. Der Vogel kreischte, hell und spitz diesmal, ein Geräusch, das kaum noch Ähnlichkeit mit den wütenden Angriffsschreien der Bestien hatte. Seine Kiefer klappten über Skars Gesicht auseinander. Ein Schwall übelriechenden Atems schlug ihm entgegen. Aber unbegreiflicherweise zögerte das Monstrum, seine schrecklichste natürliche Waffe einzusetzen.
Skar kannte Hemmungen dieser Art nicht. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung stieß er den Vogel von sich, sprang auf und schmetterte ihm die gefalteten Fäuste in den Nacken. Der Hoger bäumte sich auf, erzitterte und fiel mit einem kläglichen Schrei vornüber. Seine gewaltigen Schwingen zuckten noch einmal, dann lag das Monster still.
Skar fuhr schweratmend herum, um nach Coar zu sehen. Die Kommandantin hatte weniger Glück gehabt als er. Durch das leblose Gewicht des toten Pferdes an den Boden gefesselt, konnte sie nicht viel mehr tun, als den monströsen Angreifer mit ihrer Klinge auf Distanz zu halten - eine Taktik, die nicht besonders erfolgreich war, wie ihr zerbeultes Visier und die Blutflecke auf ihrem Brustpanzer bewiesen.
Skars Blick irrte verzweifelt über den Boden. Er brauchte eine Waffe, unbedingt. Sein Bedarf an Ringkämpfen mit Vögeln war gedeckt.
Ein silbernes Aufblitzen an Coars Sattel ließ ihn zusammenfahren. Sein Tschekal! Er sprang hin, riß die Waffe an sich und schlug noch aus der gleichen Bewegung heraus zu. Der gehärtete Stahl der Satai Waffe fuhr mit einem widerwärtigen, reißenden Geräusch durch Fleisch und Knochen. Der Hoger bäumte sich auf, schrie hoch und spitz und sank in einer Wolke aus wirbelndem Schwarz und spritzendem Blut zu Boden.
Skar wuchtete den Pferdekadaver ächzend zur Seite und kniete neben Coar im Gras nieder. Selbst durch das geschlossene Visier konnte er erkennen, wie sich ihre Augen ungläubig weiteten.
»Geht es?« fragte er hastig.
Coar nickte mühsam. »Hilf mir auf. Wir müssen zu den anderen.«
Skar half ihr vorsichtig auf die Beine und blickte zum Kampfplatz hinüber. Die Formation der Verteidiger war mittlerweile vollkommen zusammengebrochen, und das Schlachtfeld hatte sich in ein Chaos aus Blut und Schreien verwandelt. Eine Anzahl regloser dunkler Körper im Gras zeigte deutlich, welchen Preis die Hoger für ihren selbstmörderischen Angriff gezahlt hatten, aber die Waagschale neigte sich mehr und mehr zu ihren Gunsten. Die Garde wurde immer weiter zum Waldrand hin zurückgedrängt, und auch zwei der goldgepanzerten Reiter lagen bereits leblos am Boden. Ihre Säbel und die dünnen, gefährlichen Lanzen boten ihnen zwar einen gewissen Schutz, aber die Hoger beherrschten trotz ihres plumpen Aussehens ihr Element vollkommen. Immer wieder stießen sie herab, hackten mit Zähnen und Klauen nach den Reitern und versuchten, in den Rücken der Gardisten zu gelangen.
Skar zögerte nicht mehr länger. Ohne auf Coar oder die kreisenden Ungeheuer über seinem Kopf zu achten, spurtete er los und warf sich mit einem gellenden Kampfschrei in die Schlacht. Sein Schwert schnitt einen flirrenden Halbkreis in die Luft, barst durch Knochen und Fleisch und Flügel und zuckte immer wieder empor. Zwei, drei Hoger torkelten tödlich getroffen zu Boden, ehe die übrigen Monster die neu aufgetauchte Gefahr überhaupt bemerkten. Skar duckte sich unter einer niedersausenden Schwinge weg, wurde von dem gewaltigen Luftzug von den Beinen gerissen und schlug noch im Aufspringen erneut zu. Etwas fraß sich heiß und brennend in seine Schulter, aber er registrierte den Schmerz kaum.
Irgendwoher wußte er plötzlich, daß es in diesem Kampf kein Unentschieden geben würde. Nur Sieger und Besiegte. Lebende und Tote.
Sein Eingreifen schien den Soldaten wieder Mut zu machen. Ein vielstimmiger, erleichterter Aufschrei ging durch die Reihe der Gardisten. Spieße wurden mit neuem Mut emporgereckt und bohrten sich in schuppige Körper; Schwerter und Pfeilspitzen blitzten auf, und ein Hoger nach dem anderen fiel erschlagen zu Boden. Die Luft war mit einem Mal von durchdringendem, ekelhaftem Blutgeruch erfüllt.
Und dann war der Kampf vorbei, so abrupt, wie er begonnen hatte. Der letzte Hoger starb mit einem Armbrustbolzen im Auge, und die Luft über der Schneise war plötzlich leer.
Skar ließ erschöpft die Arme sinken. Sein Herz raste, und in seinen Ohren war ein dumpfes auf- und abschwellendes Rauschen, das Geräusch seines eigenen Pulsschlages, das alle anderen Laute übertönte. Die Waffe in seiner Hand schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Seine verkrampften Finger öffneten sich. Das Schwert polterte zu Boden. Plötzlich spürte er die Schmerzen, seinen aufgerissenen Rücken, all die kleinen, blutenden Wunden, die Erschöpfung. Lichtung und Reiter begannen sich um ihn zu drehen. Eine Gestalt tauchte vor ihm auf - klein, schmal und in rotfleckiges, schimmerndes Gold gehüllt, mit einem absurd spitz zulaufenden Gesicht. Sie sagte etwas in einer Sprache, die er nicht verstand, und streckte zaghaft die Hand aus.
Er trat einen Schritt vor, schwankte und brach in die Knie. Übelkeit wallte in ihm hoch. Er griff kaltsuchend nach der ausgestreckten Hand, verfehlte sie und fiel der Länge nach ins Gras. Dann verlor er das Bewußtsein.