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Skar nickte verblüfft. »Du meinst... diese Bestien sind nicht ... nicht tot?« fragte er stockend.

Coar biß sich auf die Lippen. »Erschlagene Hoger werden zu Khtaäm«, wiederholte sie. »Zu Nachtmahren. Sie sterben nicht. Nicht so wie wir, wie du und ich. Ein Mensch, der von ihnen gerissen wird, erwacht, aber ein Hoger, der im Kampf getötet wird, wird zum Nachtmahr, wenn man seinen Körper nicht vollkommen vernichtet. Deshalb müssen wir sie verbrennen.«

Aber Skar ließ nicht locker. Der Gedanke, daß ein einmal getötetes Lebewesen - gleich welcher Art - Wiederaufstehen und zu neuem Leben erwachen sollte, erschreckte ihn zutiefst. Natürlich gab es Legenden und Mythen über Wiedergänger und lebende Tote bei fast jedem Volk, das er kannte, aber irgendwie paßte ein solcher Aberglaube nicht zu dem Bild, das er sich bisher von Coar und ihrem Volk gemacht hatte.

»Du meinst, ihre Seelen geistern herum und verbreiten Angst und Schrecken?« fragte er unsicher.

»Nicht ihre Seelen. Gibt es dort, wo ihr herkommt, keine Hoger?«

Für einen winzigen Augenblick dachte Skar an die gigantischen schwarzen Daktylen, auf denen die Bewohner der Nordlande ritten. Aber diese gezähmten Flugsaurier hatten kaum eine Ähnlichkeit mit den geflügelten Todesboten, gegen die er gekämpft hatte. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Weder Hoger noch Nachtmahre oder sonstige Alpträume. Erzähl mir davon. Wie sehen sie aus, diese Nachtmahre?« Er wußte nicht, ob Coar das Wortspiel verstanden hatte, aber der besorgte Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb.

»Später vielleicht.« Der Ton, in dem sie die beiden Worte aussprach, machte deutlich, daß sie nicht gewillt war, weiter darüber zu reden. Und Skar respektierte diesen Wunsch. Es war niemals ratsam, sich in Sitten und Gebräuche einer Kultur einzumischen, von der man nichts wußte.

»Wurden viele deiner Leute verletzt?« fragte er, um das Thema zu wechseln. »Fast alle. Aber keiner sehr schwer. Keiner bis auf ...« Sie stockte, sah die beiden reglosen Gestalten neben den Pferden an und ballte die Fäuste. »Alle bis auf Maiall und Senja«, stieß sie hervor. »Sie sind erwacht.« Sie warf den Kopf in den Nacken, preßte für einen winzigen Moment die Lider aufeinander und hatte sich dann wieder vollkommen in der Gewalt. Skar bewunderte im stillen die Disziplin dieser jungen Frau. In ihrem Inneren mußte ein wahrer Vulkan toben. »Keiner von den anderen ist so schlimm verletzt wie dein Freund Del. Sein Name war doch Del?« Skar drehte sich unwillkürlich um, um nach dem Jungen zu sehen.

Coar deutete seinen Blick richtig. »Larynn kümmert sich um ihn«, sagte sie. »Sie ist keine Heilerin, aber sie hat geschickte Hände. Sie versorgt meine Mädchen oft, wenn eine verletzt ist. Wir haben ihn in den Wald gebracht. Dort drüben, zwischen den Bäumen.«

Skar blickte in die angegebene Richtung. Die Soldaten hatten Del - genau wie ihn - von der eigentlichen Lichtung heruntergeschafft und im Schutz der ersten Bäume niedergelegt. Eine schmale, in zerbeultes Gold gekleidete Gestalt beugte sich über ihn und machte sich mit vorsichtigen Bewegungen an seiner Schulter zu schaffen. Skar folgte der Kommandantin zum Waldrand hinüber. Del lag lang ausgestreckt im weichen Moos zwischen den Bäumen, halb mit einer grobgemusterten Pferdedecke zugedeckt und ein Büschel Gras als Kissen unter dem Kopf. Sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß und geronnenem Blut. Die Wunde war erneut aufgebrochen und sah schlimmer aus denn je.

»Nun?«

Larynn erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung, als Coar das Wort an sie richtete.

»Wie geht es ihm?« Sie sprach - wohl aus Rücksicht auf Skar - noch immer Tekanda, das er verstand.

Zwischen Larynns Brauen entstand eine steile Falte. Sie war jünger als Coar; achtzehn, vielleicht - allerhöchstens - zwanzig, schätzte Skar. Ihr Gesicht war hübsch, aber ihr fehlte der energische Zug, der Coar auszeichnete. Ein Mädchen, das sich in Männerkleider gepreßt hatte. Keine Kriegerin.

»Es sieht ... nicht gut aus«, antwortete sie schwerfällig. Ihre Lippen hatten sichtlich Mühe, die ungewohnten Worte der fremden Sprache zu formen. Aber sie beherrschte sie trotzdem erstaunlich gut. »Er muß zu einer Heilerin, oder er wird bald erwachen.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die bloßgelegte, rissige Wunde, die sich wie ein pulsierendes lebendes Geschwür über Dels Schulter und einen Teil der Brust ausgebreitet hatte, und stieß dann angeekelt mit dem Fuß gegen den schmutzerstarrten Fetzen, der ihnen als Verband hatte dienen müssen. »Er hat Wundbrand, und das schon ziemlich lange, fürchte ich. Wann ist es passiert?«

Skar antwortete nicht sofort. Fünf endlos lange Tage waren sie durch die Nonakesh geirrt, aber das schien bereits Ewigkeiten zurückzuliegen. Sein Zeitgefühl war irgendwo auf dem Weg zwischen dieser Lichtung und dem Waldrand verlorengegangen.

»Vor fünf Tagen«, antwortete er schließlich.

Larynn nickte. »Das habe ich befürchtet. Eigentlich dürfte er schon gar nicht mehr leben. Das Wundgift ist in seine Adern geraten und zerfrißt seinen Körper. Und diese dreckigen Lappen haben alles noch viel schlimmer gemacht.«

»Es war alles, was wir hatten«, gab Skar gereizt zurück. »Ich hätte die Quorrl ja um frischen Verbandsstoff bitten können, als sie auf uns eindroschen.«

Larynn lächelte sanft. »Verzeih, Skar. Es war nicht als Angriff gemeint, nur als Erklärung. Aber wir müssen deinen Freund schnellstens nach Went bringen. Unsere Heilerin wird ihn retten.«

»Seinen ... Arm auch?« fragte Skar hastig.

Larynn antwortete nicht.

»Warum«, fragte Coar leise, »hat er nicht gesagt, wie schwer er verwundet ist?« Skar zuckte die Achseln. Einen Moment lang war er versucht, sie daran zu erinnern, wie unbarmherzig sie sie durch den Wald getrieben hatte, aber ein einziger Blick in ihre Augen sagte ihm, daß das nicht nötig war. Schon ihre Frage war eine unausgesprochene Bitte um Vergebung.

»Vermutlich hat er es selbst nicht gewußt«, sagte er ausweichend. »Oder es nicht wahrhaben wollen. Del ist sehr stolz. Mehr, als gut für ihn ist, manchmal. Er ist noch sehr jung.«

Coar schüttelte den Kopf. »Del ist ein seltsamer Mann. Ihr beide seid seltsame Männer, Skar. Was seid ihr?«

»Satai!«

Coar überlegte einen Moment. »Und was«, sagte sie dann, »sind Satai?«

»Wir sind Krieger. Söldner, wenn du so willst. Aber wir stehen in niemandes Sold.« Coar runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«

»Ich verstehe es manchmal selbst nicht. Nimm uns als wandernde Abenteurer, wenigstens vorerst. Später erkläre ich es dir genauer, wenn du dich wirklich dafür interessierst.«

Coar gab sich vorerst mit dieser Erklärung zufrieden, wenngleich Skars Worte ihre Verwirrung wohl eher noch gesteigert hatten, und wandte sich wieder an Larynn. »Versorge ihn, so gut du kannst«, sagte sie. »Und laß eine Trage für ihn bauen. Den Ritt auf einem Pferderücken bis Went würde er nicht überleben.«

Larynn nickte gehorsam, schenkte Skar noch einen undeutbaren Blick und beugte sich dann wieder zu dem Bewußtlosen hinab, um weiter an seiner Wunde zu hantieren.

Coar atmete hörbar ein und wandte sich ab. Sie legte den Kopf in den Nacken und suchte einen Moment lang aufmerksam den Himmel über der Lichtung ab. Dann ging sie steifbeinig zu den Kriegerfinnen hinüber, die die Vogelkadaver mittlerweile auf einen großen Haufen in der Mitte der Lichtung geschafft hatten. Skar folgte ihr. Coars Verhalten verwirrte ihn mit jedem Moment mehr. Sie benahm sich ihm gegenüber jetzt ganz und gar nicht mehr so, wie man es von ihrer Rolle als Siegerin erwarten konnte. Natürlich hatte er sich ein gewisses Recht auf Dankbarkeit erwirkt, doch das, was er jetzt erlebte, ging über jede Logik. Coar blieb stehen und bedeutete ihm mit einer stummen Geste, sich dem Scheiterhaufen nicht weiter zu nähern. Die Kriegerfinnen waren gerade dabei, den letzten toten Hoger auf den Kadaverhaufen zu zerren. Trotz ihrer gewaltigen Größe schienen die Ungeheuer nicht so schwer zu sein, wie ihr monströses Äußeres vermuten ließ. Wären sie es gewesen, hätten sie wahrscheinlich selbst mit ihren gigantischen Schwingen nicht fliegen können. Andere Kriegerfinnen waren damit beschäftigt, Äste, Wurzeln und trockenes Reisig vom Wald herüberzuschaffen und im Kreis um die Kadaver herum aufzuschichten. Ihre Bewegungen waren schnell und fahrig, als täten sie alles in großer Hast, und mehr als einmal hob eine der gepanzerten Gestalten den Kopf und sah nervös nach oben. Skar fiel auf, daß sie trotz der schweren Arbeit sämtlich in voller Rüstung und bewaffnet waren, als rechneten sie jederzeit mit einem neuen Angriff. Die Speere staken unweit des improvisierten Scheiterhaufens im Boden, nahe genug, daß die Kriegerfinnen sie mit einem raschen Sprsng erreichen konnten, und zwei Gardistinnen hielten mit gespannten Armbrüsten Wache. Nach allem, was Skar erlebt hatte, verstand er diese Vorsichtsmaßnahmen nur zu gut. Was ihm um so weniger begreiflich erschien, war, warum die Gruppe nicht so rasch wie möglich das Weite suchte, sondern sich um eines bloßen Aberglaubens willen der Gefahr eines weiteren Überfalles aussetzte. Aber er sprach diesen Gedanken nicht laut aus. Coar würde wissen, was sie tat. Dies war ihr Land, nicht seines. Was ihm absurd und widersinnig vorkam, mochte hier seine Berechtigung haben und umgekehrt. Die Kriegerfinnen beendeten ihr grausiges Werk und traten zurück. Eine Fackel glomm auf; ein winziger, rotgelber Glutpunkt zuerst, der in der samtblauen Dunkelheit wie ein böses Auge funkelte und sich in Sekundenschnelle zu einer knisternden Flamme ausbreitete. Reisig knackte, begann funkensprühend zu brennen. Plötzlich schlug eine hohe, schwefelgelbe Flamme aus dem Reisigkreis, explodierte mit phantastischer Geschwindigkeit nach allen Seiten und griff fast augenblicklich auf die Vogelkadaver über. Die Lichtung erglühte von einer Sekunde zur anderen in grellem, blauweißem Feuer; Helligkeit, die das Grün des Grases und die Farbe der Himmelskuppel verblassen ließ, aus den Umrissen der Soldaten schwarze, tiefenlose Schatten machte und den Wald dahinter wie eine kompakte Mauer erscheinen ließ. Eine intensive Hitzewelle trieb die Kriegerinnen schrittweise zurück.