Unter den Hufen der Pferde wirbelte trockener brauner Sand auf, während sie dem Ende des Hügeltales entgegentrabten. Am ersten Tag waren sie geradewegs nach Osten geritten, aber es hatte sich als zu kräftezehrend erwiesen, die manchmal mehr als hundert Manneslängen hohen Sanddünen zu erklimmen, nur um auf der anderen Seite wieder hinunterzureiten. Seither folgten sie einem willkürlich gewundenen Kurs, der sie von einem Hügeltal ins andere führte. Hinter dem braunen Buckel der Düne würde eine weitere warten, eine weitere, rotbraun gemusterte Senke, vielleicht ein wenig länger und breiter als diese, vielleicht auch kürzer, tiefer. Aber im Grunde glichen sie sich eine wie die andere. Hinter dieser würde die nächste warten, dann wieder eine, wieder. Endlos. Sie ritten seit fünf Tagen durch eine Hölle aus hitzeflirrender Luft und halbflüssigem Sand, aber Skar hatte das Gefühl, schon seit Jahren, Jahrhunderten durch die endlose Monotonie der Sanddünen zu traben. Hätte ihm jemand erzählt, daß sich diese gottverdammte Einöde bis ans Ende der Welt erstreckte, er hätte es geglaubt.
Eigentlich war es ein Wunder, daß sie überhaupt noch am Leben waren. Sie hatten vor zwei Tagen das letzte Mal getrunken, und ihre Körper verbrauchten in dieser höllischen Umgebung in zwei Stunden mehr Flüssigkeit als sonst in zwei Tagen. Aber die wenigen kostbaren Tropfen, die noch in ihren Wasserschläuchen schwappten, mußten für die Pferde zurückgehalten werden. Die Tiere waren ihre einzige Hoffnung. Sie gaben seit Tagen mehr, als ihre Körper zu leisten vermochten, und wenn auch nur eines von ihnen aufgab, kam dies einem Todesurteil für den Rest der Gruppe gleich.
Todesurteil. . . Hätte er noch die Kraft dazu gehabt, hätte er laut aufgelacht. Ihr Todesurteil war längst gefällt. Sie hatten es nur noch nicht gemerkt. Das Schicksal hatte den Stab über sie schon vor fünf Tagen gebrochen, in genau dem Augenblick, in dem sie auf die Quorrl-Banditen gestoßen waren. Vielleicht nicht einmal ganz zu Unrecht. Del und er hatten sich zu sicher gefühlt. Sie hatten sich zu sehr auf ihre Unantastbarkeit verlassen und alle Warnungen in den Wind geschlagen, ein Leichtsinn, der einem malabesischen Krämer zu Gesicht gestanden hätte, aber nicht einem Satai. Sie hätten wissen müssen, daß Quorrl weder vor ihren schwarzen Lederharnischen noch vor den sternförmigen Talismanen an ihren Stirnbändern Respekt hatten. Quorrl respektierten grundsätzlich nur eine Sprache: Gewalt.
Aber der Gedanke an den grausamen Blutzoll, den sie den Wegelagerern abverlangt hatten, dämpfte seinen Zorn kaum. Als sie geflohen waren, hatte mehr als ein Dutzend der Graugeschuppten tot oder sterbend am Boden gelegen. Dels Pferd stolperte, knickte in den Vorderläufen ein und wieherte kläglich. Es versuchte sich aufzurichten, knickte erneut ein und stampfte ängstlich mit den Hinterbeinen. Seine Flanken zitterten.
Skar drängte sein Tier neben das Dels, griff nach den Zügeln und riß mit aller Kraft an den dünnen Lederriemen. Das Pferd kreischte vor Schmerz, als die stählernen Zähne der Trense in sein empfindliches Maul bissen. Aber der Schmerz trieb es hoch.
Del hob müde den Kopf. »Danke.«
»Schon gut. Lad mich in der nächsten Taverne auf einen Krug Wein ein, dann sind wir quitt.«
Del schien etwas darauf erwidern zu wollen, beließ es dann aber bei einem stummen Nicken und ritt weiter.
Skar sah ihm kopfschüttelnd nach. Er hatte längst aufgehört, sich zu fragen, woher Del die Kraft nahm, immer noch weiterzumachen. Im Grunde hatte er gar kein Recht mehr, überhaupt noch zu leben, geschweige denn sich im Sattel zu halten und sich Meile um Meile vorwärtszuquälen. Die Wunde an seiner Schulter war wieder aufgebrochen und blutete; nicht stark, aber beständig, ein dünner, rieselnder Strom, mit dem das Leben unbarmherzig aus seinem Körper herausrann. Der ehemals weiße Verband über seiner Schulter hatte sich in einen schmierigen Lappen verwandelt, ein fleckiges Muster aus Rot und Braun und Schwarz und dunklem, eitrigem Gelb. Und er hatte genau wie Skar vor zwei Tagen den letzten Schluck Wasser gehabt. Der junge Satai hing mehr auf dem Rücken seines Tieres als er saß. Er hockte vornübergebeugt im Sattel, stützte sein Körpergewicht auf den Pferdehals und klammerte sich mit letzter Kraft an der struppigen Mähne fest; mehr Reflex als bewußtes Handeln. Und trotzdem gab er nicht auf.
Skars Blick löste sich von der müden Gestalt und glitt wieder über die einförmigen braunen Hügel. Er schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und trieb sein Tier zu schnellerer Gangart an, um an Dels Seite zu gelangen. Heute war der letzte Tag, das spürte er. Wenn sie heute kein Wasser fanden, war es aus. Sie waren tiefer in die Nonakesh vorgedrungen als je ein Mensch vor ihnen. Tiefer jedenfalls als jeder, der zurückgekommen war.
Nonakesh ... Skar wiederholte das Wort ein paarmal in Gedanken, aber es gelang ihm nicht, den düsteren, unheilschwangeren Unterton daraus zu verbannen. Der Begriff stammte aus der Quorrl-Sprache, und es war ein Wort, für das es im Grunde keine befriedigende Übersetzung gab. Weg ohne Umkehr, Pfad der Toten - irgend etwas in dieser Art, glaubte Skar, obgleich er sich nicht sicher war. Wenn er recht hatte, war dies ein Name, der nur zu zutreffend war.
Er versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was er über diese Wüste wußte. Es war nicht viel. Auf den wenigen, ungenauen Karten, die es über diesen Teil der Welt gab, war sie manchmal gar nicht, manchmal am falschen Ort oder zu klein oder zu groß eingezeichnet. Nicht einmal ihre genaue Ausdehnung war bekannt. Man wußte, wo sie begann, wo die kargen braunen Steinebenen Tuans in das wellige Ocker der Sanddünen übergingen, aber anscheinend war noch niemand weit genug gekommen, um zu berichten, wo sie endete und was dahinter lag. Vielleicht nichts. Eine unwegsame Steilküste, hinter der das Nebelmeer begann. Vielleicht führte diese hitzezerkochte Einöde geradewegs in die Hölle, und vielleicht würde es ihr Ende nur hinauszögern, selbst wenn ein Wunder geschah und sie Wasser fanden. Mit jeder Meile, die sie zurücklegten, jedem Schritt, zu dem die ausgelaugten Pferde ihre Beine zwangen, erschien Skar ihr Tun sinnloser. Aber er würde nicht aufgeben. Nicht bevor Del aufgab. Das war er ihm schuldig. Sie waren eine halbe Stunde geritten, als Dels Pferd abermals strauchelte. Skar griff gedankenschnell zu, aber diesmal kam seine Reaktion um eine Winzigkeit zu spät. Das Pferd stolperte, machte einen ungeschickten Versuch, sein Gleichgewicht wiederzufinden, und fiel mit einem schmerzhaften Schnauben auf die Knie. Del verlor die Balance, rutschte aus dem Sattel und fiel schwer in den Sand.
Skar sprang von seinem Tier und kniete neben dem jungen Satai nieder. Del stöhnte; ein krächzender, qualvoller Laut, der Skar unter anderen Umständen das Blut in den Adern hätte gerinnen lassen. Vorsichtig hob er Dels Kopf an, bettete ihn in seinem Schoß und griff mit der Linken nach dem Wasserschlauch. Der Vorrat war auf einen kärglichen Rest zusammengeschrumpft, kaum genug, den Schlauch sichtlich auszubeulen. Er hantierte eine Zeitlang ungeschickt am Verschluß, beugte sich dann herab und träufelte Del behutsam einen Teil der kostbaren Flüssigkeit auf die Lippen.
Dels Gesicht zuckte. Seine Zunge - rot, trocken und unförmig aufgequollen, fuhr gierig über die Lippen und leckte nach dem schalen, übelriechenden Naß. Skar zögerte einen Herzschlag lang, hob dann mit einem fatalistischen Seufzer die Achseln und goß den Rest ihres Wasservorrates in den Mund; wenige, jämmerliche Tropfen, nicht einmal genug, seinen ausgetrockneten Rachen zu benetzen, eine Ahnung von Wasser, das kaum seine Kehle erreichte. Sie waren tot, so oder so. Die Pferde würden sie keine fünf Meilen mehr tragen können, ganz egal ob mit oder ohne Wasser.
Del stöhnte, schlug die Augen auf und tastete blind umher. Dann klärte sich sein Blick. »Was ...«, krächzte er. »Das Wasser ... Du ...«