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»Du meinst«, sagte er verblüfft, »ihr ... seid gekommen, um uns vor diesen Biestern zu schützen?«

»Ja.«

»Aber ... wir ... wir sind Fremde«, stotterte Skar verwundert. »Eindringlinge, die eure Grenzen und vielleicht eure Gesetze verletzt haben!«

»Aber ihr seid Menschen, oder?« Larynn lachte leise und setzte eine Miene auf, als müsse sie einem verstockten Kind erklären, warum zwei und zwei vier und nicht sieben sind. »Ihr seid fremd, und ihr wußtet nichts von den Gefahren, die hier auf euch lauern. Der Wald scheint friedlich, aber er ist es nicht. Wir mußten euch warnen. Außerdem«, fügte sie mit einem verzeihenden Lächeln hinzu, »hast du natürlich recht. Die Nahrak teilten uns mit, daß Fremdlinge aus der Wüste gekommen waren. Wir mußten wissen, wer ihr seid und was ihr wollt.«

Skar verstand mit jedem Wort weniger. Bis vor wenigen Augenblicken hatte er sich noch eingebildet, ein wenig von diesem Volk und seiner Art, zu denken und zu leben, begriffen zu haben, aber das Gegenteil schien der Fall. Der Gedanke, daß diese Menschen sich bewußt der tödlichen Gefahr einer Begegnung mit den schwarzen Ungeheuern ausgesetzt hatten, erschien ihm unglaublich. Und er sprach seine Verwunderung auch aus.

Larynn sah ihn mit einer seltsamen Mischung aus Unglauben und Erstaunen an. »Aber ihr seid Menschen«, sagte sie verwirrt. »Wir wissen nicht, wer ihr seid. Vielleicht nur zwei harmlose Wanderer, die sich in der Wüste verirrt haben, vielleicht auch Feinde. Aber kein Mensch kann so schlecht sein, daß er den Tod durch einen Hoger verdient hätte.«

»Vor wenigen Augenblicken wolltet ihr uns noch töten«, widersprach Skar. Larynn nickte. »Das stimmt«, sagte sie. »Wir töten. Aber die Hoger ...« Sie brach ab, suchte einen Moment lang sichtlich nach Worten und wandte sich dann mit einer schnellen Drehung ab. Skar hatte den Eindruck, daß sie bereits mehr gesagt hatte, als ihr lieb war.

»Dein Freund ist wach«, murmelte sie, abrupt das Thema wechselnd. »Wenn du mit ihm reden willst ...«

Skar nickte. Del lag mit halb geöffneten Augen auf der provisorischen Bahre, die Larynn gebaut hatte - einem Tragegestell aus zwei geraden, kräftigen Ästen, zwischen denen ein Netzwerk aus dünnen Pflanzenfasern gespannt war. Die Konstruktion wirkte alles andere als stabil, aber Skar erinnerte sich noch lebhaft an die Festigkeit der dünnen Lianen. Die brennenden Linien auf seinen Handgelenken erinnerten ihn mit jeder Sekunde daran.

Del versuchte zu lächeln, als er Skar erkannte, aber der Schmerz und die Erschöpfung ließen eine beinahe furchteinflößende Grimasse daraus werden. Skar kniete neben ihm nieder, legte die Hand auf seine unverletzte Schulter und rang sich zu einem aufmunternden Lächeln durch. Dels Haut fühlte sich heiß und fiebrig an, trocken und rissig wie altes Pergament. Krank. Sein Körper bebte unter den Hieben eines Schüttelfrostes, und Skar konnte die schnellen, arhythmischen Pulsschläge bis in die Schulter hinauf fühlen. Plötzlich verstand er Larynns Besorgnis. Die scheinbar unerschöpfliche Energie, die Del seit ihrem Aufenthalt am See an den Tag gelegt hatte, war nichts als ein kurzes, trotziges Aufbäumen gewesen, dem nun der endgültige Zusammenbruch folgte.

Del bewegte mühsam die Lippen.

»Was ... ist geschehen?« fragte er mit einem Blick auf den lodernden Scheiterhaufen. Die Flammen spiegelten sich in seinen weit aufgerissenen Augen. Es sah aus, als brenne in seinen Augäpfeln ein winziges, doppeltes Feuer. Skar lachte gezwungen. »Du wirst wohl nie ein richtiger Mann, Kleiner«, sagte er spöttisch. Seine Stimme schwankte hörbar, aber er hoffte, daß Del dies nicht bemerkte. »Du hast den spannendsten Teil verschlafen. Wie immer.«

»Ist etwas ... passiert?« fragte Del noch einmal. Er schien Skars Worte gar nicht gehört zu haben.

Skar erzählte ihm in knappen, einfachen Sätzen vom Überfall der Hoger und dem anschließenden Kampf. Er wußte nicht, ob Del seine Worte überhaupt verstand. Sein Blick war starr an Skar vorbei auf den flackernden Feuerberg gerichtet, aber nicht einmal den schien er wirklich wahrzunehmen. Sein Gesicht zuckte im Widerschein der Flammen, und die Hände ballten sich unter der dünnen Decke zu Fäusten. Aber es lag keine Kraft mehr in der Bewegung. Höchstens noch Trotz.

»Schade, daß ich nicht ... dabei war«, sagte er schwach, als Skar fertig war. »Ich hätte gerne ... noch einmal an deiner Seite gekämpft.«

»Dazu wirst du noch mehr Gelegenheit haben, als dir lieb ist«, sagte Skar.

»Glaubst du?«

»Ich weiß es. Wenn du hoffst, dich einfach davonschleichen und mich hier allein zurücklassen zu können, täuschst du dich. Du wirst hübsch gesund werden und mir helfen, hier herauszukommen.« Er brach ab, als er merkte, daß Del seine Worte schon gar nicht mehr wahrnahm. Er war erneut eingeschlafen.

Skar stand auf, überzeugte sich rasch davon, daß die dünnen Ranken, die Del auf der Trage hielten, nicht in sein Fleisch einschnitten, und hielt nach Coar Ausschau. Er gewahrte ihre verbeulte Rüstung zwischen den anderen, zögerte einen Moment und ging dann langsam zu der Gruppe hinüber.

Die Arbeit war bereits überraschend weit fortgeschritten. Die beiden flachen Gruben waren fertig ausgehoben, und zwei Kriegerfinnen waren damit beschäftigt, den Toten Rüstungen und Unterzeug auszuziehen. Skar näherte sich bis auf zehn Schritte und blieb dann stehen. Er wußte aus eigener schmerzlicher Erfahrung, daß es nicht ratsam war, sich in die Gebräuche anderer Völker zu mischen. Zu schnell konnte ein unbedachtes Wort, eine Geste im falschen Moment einen nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten.

Coar kniete neben den Toten nieder und hielt einen flachen, verzierten Kasten mit metallenem Deckel in den Händen. Ihr Gesicht war zu einer Miene konzentrierter Anspannung erstarrt. Die Lippen bewegten sich unablässig und formten lautlose Worte. Mehr als eine Minute saß sie so stumm zwischen den beiden Erschlagenen und starrte aus blicklosen Augen in die Flammen, ohne auch nur ein einziges Mal mit den Wimpern zu zucken. Dann setzte sie das Kästchen ins Gras und zog einen schmalen Dolch aus dem Gürtel. Ihre Finger glitten suchend über den entblößten Oberkörper des toten Mädchens, strichen beinahe liebkosend über die Brust und verharrten schließlich an einer Stelle dicht unterhalb des Herzens. Der Dolch senkte sich. Skar beobachtete mit wachsendem Entsetzen, wie die rasiermesserscharfe Klinge durch das noch warme Fleisch schnitt und sich tief in den Körper grub. Ein einzelner, schimmernder Blutstropfen quoll hervor und lief über Coars Hand. Sie schien es nicht einmal zu bemerken. Der Dolch hob sich, senkte sich erneut und schnitt noch einmal, diesmal diagonal zur ersten Wunde. Dann versenkte Coar mit einer entschlossenen Bewegung die Finger in den kreuzförmigen Schnitt. Als sie sie wieder hervorzog, hielten sie einen kleinen, runden Gegenstand. Sie schloß die Augen. Für Sekunden trat ein entspannter, beinahe glücklich zu nennender Ausdruck auf ihr Gesicht, ehe es wieder in die gewohnte Starre zurückfiel. Sie richtete sich auf, legte das Messer neben sich ins Gras und klappte den Deckel des Metallkästchens auf. Ein unhörbares Seufzen ging durch die Reihe der Kriegerfinnen, als sie den Gegenstand, den sie der Brust der Getöteten entnommen hatte, hineintat und den Dekkel vorsichtig wieder schloß.

Skar wandte sich schaudernd ab und entfernte sich ein paar Schritte, während Coar sich über den zweiten Leichnam beugte und finit ihm in gleicher Weise verfuhr. Er fühlte, daß er jetzt nur stören würde.

Er ging unschlüssig zu den Pferden hinüber, sah sich einen Moment ratlos um und bückte sich schließlich nach einem Helm, der auf einem ganzen Haufen scheinbar achtlos zusammengetragener Gegenstände lag, weniger aus wirklichem Interesse als aus dem Verlangen heraus, seine Hände und vor allem seine Gedanken zu beschäftigen.

Skar registrierte verblüfft, wie schwer der unscheinbare Helm war. Er selbst hätte ihn auch mit Gewalt nicht über den Schädel bekommen, und auch kein anderer Krieger, den er kannte. Aber trotz seiner Kleinheit war er erstaunlich schwer. Skar drehte sich mehr zum Feuer hin und betrachtete den Helm genauer. Die feinen, mit unglaublicher Geduld in das harte Metall hineinziselierten Blumen- und Tiermuster, die Imitation einer Rattenschnauze auf dem Visier waren so akribisch ausgeführt, daß er in der flackernden Beleuchtung beinahe glaubte, einen echten Rattenschädel in Händen zu halten, komplett mit jedem winzigen Haar, jeder Unebenheit der Haut und den leicht einwärts gebogenen, tödlichen Fangzähnen. Er hatte nie eine schönere Arbeit gesehen, weder in einem weicheren Material noch in diesem schweren, harten Stahl, der fast so dick wie sein kleiner Finger war und auch einem mit aller Kraft geführten Keulenhieb widerstehen mochte. Er legte den Helm zurück und untersuchte Stück für Stück Brustpanzer, Schilde, Arm- und Beinschützer. Das Muster des Helmes wiederholte sich auf jedem Teil, selbst auf den Griffstücken der dünnen, biegsamen Säbel. Die Waldbewohner mußten eine unglaubliche Kunstfertigkeit in der Bearbeitung von Metall erlangt haben.