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Er lehnte sich gegen die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und schloß für einen Moment die Augen. Müdigkeit kroch wie eine dumpfe, betäubende Wolke in ihm empor. Der Waffengurt an seiner Seite wurde plötzlich unerträglich schwer, und der lederne Brustharnisch schien sich von einer Sekunde auf die andere in eine zollstarke Eisenplatte zu verwandeln. Er öffnete die Augen, schüttelte den Kopf und ballte ein paarmal kurz und heftig die Fäuste; ein Trick, der fast immer half, die Müdigkeit zu verscheuchen. Diesmal klappte es nur bedingt. Er war einfach am Ende, ausgelaugt und fertig. Was er brauchte, war Schlaf, einen, vielleicht zwei Tage Schlaf und kräftige Nahrung.

Er stieß sich von der Wand ab, ging ein paar Schritte und betrachtete - weniger aus wirklichem Interesse als vielmehr, um überhaupt irgend etwas zu tun und die immer drängendere Müdigkeit zu überspielen - die Bilder entlang der Wände. Sie schienen alle von der Hand des gleichen Künstlers geschaffen zu sein und zeigten ausnahmslos Tier- und Pflanzenmotive: Vögel, Pferde, Wölfe, aber auch Fabelwesen, wie er sie noch nie zuvor erblickt hatte. Eines der Bilder erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Im ersten Augenblick war er sich nicht einmal sicher, was das darauf abgebildete Etwas darstellen sollte - eine schwarze, unangenehm anzuschauende Masse, die an ein Nest sich windender Schlangen, an Spinnenbeine und glitschige Krakenarme erinnerte.

Durch einen genialen Trick hatte der Künstler sogar den Anschein von Bewegung festgehalten: Wenn man nur lange genug auf das unentwirrbare Gekringel schwarzglänzender Linien und Striche starrte, schien das Fabelwesen zum Leben zu erwachen. Es wand sich, wogte hierhin und dorthin und griff mit seinen widerwärtigen Tentakeln nach dem Betrachter, so daß Skar unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich, ehe er sich bewußt wurde, wie albern er sich verhielt. Er lächelte, wandte sich ab und betrachtete eines der danebenhängenden Gemälde. Aber der phantastische Anblick ließ ihn nicht so rasch los. Nach einer Weile trat er erneut an das Bild, unterdrückte das dumpfe Ekelgefühl, das aus seinem Magen emporkroch, und zwang sich, jede Einzelheit des Bildes genau zu betrachten. Das Kunstwerk irritierte ihn; weniger wegen seines abscheulichen Inhaltes als vielmehr wegen seiner Andersartigkeit. Es war das einzige, das kein Motiv aus dem Waldleben oder der Stadt zeigte, das einzige Lebewesen, das nicht in die Reihe von Wald- und Fabeltieren paßte, die auf den übrigen Gemälden abgebildet waren. Trotzdem konnte sich Skar mit dem Gedanken, daß der Künstler hier seiner Phantasie einfach freien Lauf gelassen und ein nicht existentes Phantasiemonster geschaffen hatte, nicht anfreunden. Obwohl fremdartig, war das Ding - wie er es in Ermangelung eines passenden Begriffes nannte - von einer bedrückenden Realität. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, einer derartigen Scheußlichkeit wirklich gegenüberzustehen, aber der Gedanke erfüllte ihn mit Furcht, beinahe Panik. Angeekelt wandte er sich ab.

Coar stand hinter ihm, als er sich herumdrehte. Er hatte nicht gehört, daß sie zurückgekommen war. Trotz ihrer schweren Rüstung und der eisenbeschlagenen Reitstiefel bewegte sie sich lautlos und elegant wie eine Katze. Sie blickte an ihm vorbei auf das Bild, wandte dann ruckartig den Kopf und sah ihm ins Gesicht. »Khraäm«, sagte sie leise.

Skar brauchte endlose Sekunden, um den Sinn dieses Wortes zu begreifen. »Du ... du meinst, das sind ...?«

Coar nickte. »Du hast gefragt, warum wir die Hoger verbrennen«, antwortete sie ruhig. »Nun weißt du es.«

Skar blinzelte verwirrt, wandte sich dann widerstrebend um und starrte noch einmal auf das Bild. Der Eindruck des Lebendigen, Mörderischen verstärkte sich mit einemmal.

»Du meinst«, begann er nach einer Weile noch einmal, »die toten Hoger verwandeln sich in ... in diese Bestien?«

Coar nickte wortlos. Sekundenlang starrte sie noch an Skar vorüber auf das Bild, dann riß sie sich mit merklicher Anstrengung Ios und drehte sich um. »Logar erwartet dich«, murmelte sie. »Komm.«

Sie gingen die Treppe hinauf und durch einen zweiten, etwas kürzeren Gang, von dem mehrere Türen abzweigten. Coar deutete auf einen niedrigen, nur mit einem Vorhang verschlossenen Durchgang am Ende des Flures, ließ Skar an sich vorübergehen und folgte ihm in geringer Entfernung.

Skar trat zögernd auf die Tür zu, schlug den Vorhang beiseite und machte einen Schritt in den dahinterliegenden Raum hinein. Er war groß, rund und mit einer kuppelförmigen, bemalten Decke. Eine breite, ledergepolsterte Bank mit geschnitzten Beinen und Armlehnen zog sich kreisförmig um den gesamten Raum. Auch hier hingen - wie schon draußen in den beiden Gängen - Blumen und Bilder an den Wänden, und der Boden war mit dem gleichen kostbaren Mosaik wie dem der Flure ausgelegt. In der Mitte des kreisförmigen Raumes stand ein niedriger Tisch aus poliertem schwarzen Stein, in dessen Oberfläche ein kompliziertes Muster aus ineinander verschlungenen Linien und Strichen eingraviert war. »Logar«, sagte Coar knapp.

Skar musterte den Mann hinter dem Tisch eine Weile wortlos und nickte dann; eine Geste, deren Bedeutung überall bekannt sein mochte. Logar überraschte ihn, aber offenbar mußte er sich daran gewöhnen, daß in diesem seltsamen Land nichts seinen Erwartungen und Erfahrungen entsprach. Er hatte einen älteren Mann erwartet, etwas wie einen grauhaarigen würdigen Greis vielleicht, der die Geschicke der Stadt lenkte und alt und erfahren genug war, die Verantwortung für das Wohl ihrer Bewohner auf seinen Schultern zu tragen. Aber Logar war - wenn überhaupt - nicht viel älter als Del. Er war von kleiner, beinahe mädchenhafter Statur; hell-, beinahe weißhaarig und so schlank, daß er schon fast dürr wirkte. Seine Augen waren sqhmal und gleich denen Coars leicht geschlitzt. Ein dünner, wie mit einer feinen Tuschfeder gezeichneter Kinnbart versuchte vergeblich, seinem Gesicht einen männlichen Zug zu verleihen.

»Tretet näher, Skar«, sagte Logar, nachdem sie sich eine Weile gegenseitig gemustert hatten. Seine Stimme klang fordernd, selbstbewußt - die Stimme eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen -, aber nicht unfreundlich, und als Skar gehorsam nähertrat und sich nach einer entsprechenden Geste auf den freien Stuhl vor dem Tisch niedergelassen hatte, lächelte Logar sogar flüchtig.

Coar bewegte sich unruhig. Skar wandte den Kopf und warf ihr einen gleichermaßen fragenden wie beistandheischenden Blick zu. Logar war nicht so harmlos, wie er aussah, das spürte er. Einem naiven Jüngling hätte man nicht die Verantwortung über diese Stadt anvertraut. , »Coar hat mich bereits informiert, daß Ihr müde und verwundet seid, Skar«, begann Logar. »Ich werde mich kurz fassen. Aber Ihr werdet verstehen, daß wir gewisse ... Vorsichtsmaßnahmen beachten müssen. Es kommen nicht oft Fremde nach Cearn.« Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte auf und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Es waren schmale, dünnfingrige Hände, auf denen sich die Äderchen wie dünne blaue Linien abzeichneten. Die Hände einer Frau oder eines Künstlers, dachte Skar. Nicht eines Kriegers.

»Man berichtet mir, Ihr wäret direkt aus der Wüste gekommen, Ihr und Euer Freund?«

Skar nickte.

»Ihr wußtet von Cearn?«

»Nein«, sagte Skar nach sekundenlangem Zögern. Plötzlich fühlte er eine starke innere Spannung. Von dem, was er in den nächsten Augenblicken sagte, mochte ihr beider Leben abhängen, mit Sicherheit ihr Schicksal in dieser sonderbaren Stadt. Und er spürte, daß Logar genau wußte, wie angespannt er plötzlich war. Die gelöste, fast freundschaftliche Stimmung, in der sie sich gegenüberzusitzen schienen, war nicht mehr als Staffage, eine dünne Tünche aus Floskeln und mühsam aufrechterhaltenem Schein, der weder ihn noch Coar oder Logar täuschte. Dies hier war der entscheidende Kampf, ein Schlagabtausch mit Worten und Blicken statt mit Waffen, aber trotzdem ein Kampf, der erbarmungslos bis zum Ende geführt werden würde. Und er hatte das Gefühl, von vornherein der Verlierer zu sein.