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Skar wandte sich zögernd um und ging auf den Ausgang zu. Er hatte sich eine Klärung der Situation erhofft, aber er war fast verwirrter als zuvor. Unter der Tür wollte er noch einmal stehenbleiben und sich zu Logar umdrehen, aber Coar versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, der ihn durch den Vorhang und auf den Gang hinausstolpern ließ.

»Verzeih«, sagte sie halblaut, als sie ein paar Schritte gegangen und außer Hörweite Logars waren. »Aber es ist besser, wenn du jetzt nicht redest. Besser für dich.« Skar schenkte ihr einen verwunderten Blick. Bisher hatte er Coar, nicht zuletzt wegen ihres Ranges als Kommandantin der Königlichen Garde, für relativ hochgestellt gehalten. Ein Irrtum, wie er allmählich einzusehen begann. Titel und Ränge mußten nicht überall das gleiche Gewicht haben.

Sie durchquerten den Gang und gingen die kurze Treppe hinunter auf den Ausgang zu. Neben der Tür stand jetzt ein Posten; ein in dunkles Grün gekleideter Wächter mit Speer, Schild und Kurzaxt. Seine Haltung signalisierte alles andere als Wachsamkeit, und wenn er Skar auch voller Mißtrauen musterte, war der vorherrschende Ausdruck auf seinem Gesicht doch der der Langeweile.

Coar gab ihm einen knappen Wink, worauf er - ohne sonderliche Hast oder auch nur Eile an den Tag zu legen - zur Tür trat und den Riegel zurückschob. Es schien heißer geworden zu sein, seit sie das Gebäude betreten hatten. Das dichte Blätterdach Wents filterte das Sonnenlicht zu Tausenden und Abertausenden winziger gelber Lichtflecke, die wie glänzende Blumen im Gras schimmerten, aber die Luft war merklich wärmer geworden, und wenn sie auch nicht mit der mörderischen Hitze der Nonakesh zu vergleichen war, so machte sich doch bereits trotz der frühen Stunde eine drückende, unangenehme Schwüle bemerkbar, die im Laufe des Tages sicher noch schlimmer werden würde. Coar deutete wortlos nach links und ging, von einer nur schlecht verhüllten Nervosität erfüllt, voraus. Went war mittlerweile vollends erwacht. Die taufeuchte Stille des Morgens war dem Raunen und Wispern einer Stadt gewichen, in dem sich das Lärmen spielender Kinder, Rufe, Gelächter und die Laute von Menschen, die ihren Betätigungen nachgingen, mit dem Rauschen der Blätter und dem leisen, einlullenden Geräusch des Windes mischten. Aber Skar hatte keine Gelegenheit, sich mehr als einen ersten flüchtigen Eindruck von Went zu verschaffen. Coar schritt rasch vor ihm aus und geleitete ihn zu dem halbkugeligen Gebäude zurück, in das man Del und die verletzten Gardistinnen geschafft hatte. Der Weg erschien ihm länger als zuvor, aber das mochte an seiner Verwirrung liegen. Außerdem war er nicht sicher, daß sie den gleichen Weg genommen hatten wie zuvor. Went war ein Labyrinth, ein riesiger, offener Irrgarten ohne sichtbare Wände oder Mauern, aber nichtsdestoweniger ein Labyrinth, in dem er sich allein und ohne Führer wahrscheinlich schon nach wenigen Schritten hoffnungslos verirrt hätte. Coar blieb am Fuße der breiten, aus Holz und Pflanzenfasern errichteten Rampe, die zu dem in fast zehn Metern Höhe gelegenen Eingang hinaufführte, stehen. »Ich muß dich jetzt allein lassen«, sagte sie entschuldigend. »Aber du kannst beruhigt hinaufgehen. Larynn und ein paar der anderen sind oben. Sie erwarten dich.«

Skar sah unwillkürlich an sich herab. Der Riß an seiner Seite - eine gezackte, rotgeränderte Wunde, die zur Hälfte von seinem Harnisch verdeckt wurde - war von Larynns Salbe noch immer taub und schmerzte kaum. Aber er wußte auch, daß das nicht so bleiben würde. Er nickte, setzte einen Fuß auf die Rampe und blieb noch einmal stehen, als Coar sich zum Gehen wenden wollte.

»Ich hoffe, du bekommst unseretwegen keine Schwierigkeiten«, sagte er. Coar machte eine wegwerfende Handbewegung und lächelte; beides wirkte nicht echt. »Kaum. Logar macht manchmal einen sehr grimmigen Eindruck, aber er ist in Wirklichkeit nur halb so gefährlich, wie er es gerne wäre.« Sie schien selbst zu merken, wie wenig glaubhaft ihre Worte auf Skar wirkten, denn sie wechselte abrupt das Thema. »Thoranda wird sich um deine Wunden kümmern und dir einen Raum zuweisen, in dem du ruhen kannst. Ich habe Befehl gegeben, dich ungestört schlafen zu lassen, so lange du willst. Und nun geh, Skar. Ich ... habe zu tun.« Sie lächelte noch einmal, jetzt deutlich nervös und unsicher, und wandte sich dann ruckartig ab, um zu gehen.

Skar sah ihr noch eine Weile nach, ehe er die Hand nach Geländer ausstreckte und langsam die Rampe emporstieg. E eine freitragende, stützenlose Konstruktion aus wagemuti€ spannten Balken und Tauen, die alles andere als kräftig a und unter jedem seiner Schritte spürbar erzitterte. Aber er vor wenigen Augenblicken selbst gesehen, wie Coars Kriel nen mit ihren Pferden hinaufgeritten waren, ohne auch nur Sekunde zu zögern. Die Erbauer Wents mußten eine Kunstfertigkeit in der Verarbeitung von Holz und Pflanzen erlangt haben. Drinnen war es - wie schon in Logars Haus - kühl und sch Ein kleiner, vollkommen leerer Vorraum nahm ihn auf. E ein, sah sich unschlüssig um und ging dann durch die erst Tür. Dahinter lag ein niedriger, aus Bast und lebenden grünen Ranken geflochtener Gang, der nach wenigen Schritten wied vor einer Tür endete. Gedämpfte Stimmen und die Geräusch Menschen schlugen ihm entgegen. Er zog den Kopf ein, un nicht an dem niedrigen Türsturz zu stoßen, und betrat de grenzenden Raum. Er war niedrig, aber groß. Eine Handvox Coars Kriegerinnen hielt sich darin auf, und nach wenigen Al blicken gewahrte er Larynn. Sie befand sich in der Gesellsch; ner alten, in ein einfaches graues Gewand gekleideten Frag bei seinem Eintreten aufgesehen hatte und ihn nun mit unverhohlener Neugierde musterte.

Larynn löste sich aus der Gruppe und kam mit fede~ Schritten auf ihn zu. »Skar«, sagte sie. In ihrer Stimme schi~ was wie ehrliche Freude mitzuschwingen. »Wir haben bereu dich gewartet. Das«, sie deutete mit einer flüchtigen Geste an Frau, mit der sie geredet hatte, »ist Thoranda. Unsere Hei Sie wird sich um deine Wunden kümmern.«

»Das habe ich schon ein paarmal gehört, heute mor« knurrte Skar gereizt. Er wußte, daß Larynn es nur gut meinte aber zu der Erschöpfung und der Müdigkeit kamen nun noch Ungeduld und Verwirrung hinzu. Auf der einen Seite er jetzt weniger als zuvor, ob sie den nächsten Tag noch er leben würden und auf vier anderen Seite würde er umheet und eel sehen, aber dieses ständige Hin und Her war beinahe mehr, als er in seinem momentanen Zustand verkraften zu können glaubte. »Der Kratzer heilt schon von selbst«, fuhr er übellaunig fort. »Was mich im Moment mehr interessiert, ist Del. Wie geht es ihm? Wird er überleben?«

»Er wird leben«, antwortete Thoranda an Larynns Stelle. Sie hatte eine dunkle, rauchige Stimme, die so gar nicht zu ihrem graugewordenen Haar und dem schmalen Gesicht passen wollte, das mit Falten und unzähligen winzigen, wie mit einem dünnen Messer in die Haut gegrabenen Runzeln bedeckt war. Die Stimme einer jungen Frau, dachte Skar verblüfft. Es war, als hätte sich ihre Stimme geweigert, im gleichen Maße wie ihr Körper zu altern.

»Er wird leben«, sagte sie noch einmal, »und wenn er ein wenig Glück hat, wird er sogar seinen Arm wieder bewegen können. Du solltest zu euren Göttern beten, wenn ihr welche habt. Habt ihr Götter?«

Skar nickte verwirrt. »Nein«, sagte er, »das heißt - ich glaube nicht an sie. Del tut es.«

Thoranda lächelte, aber die Augen in ihrem schmalen Gesicht blieben ernst. »So bete für deinen Freund, Skar. Auch meiner Kunst sind Grenzen gesetzt.« Skar betrachtete die Heilerin genauer. Ein dumpfes Gefühl, sich falsch und dumm benommen zu haben, ergriff von ihm Besitz. Die Herren Wents mochten über ihr Schicksal entscheiden, wie sie wollten - für diese Frau waren Del und er nichts als zwei Menschen, die krank waren und Hilfe benötigten. Er senkte verlegen den Blick und fingerte unschlüssig an der leeren Schwertscheide herum. Lag es an seiner Erschöpfung, an all dem Neuen und Überraschenden, das auf ihn eingestürmt war, oder einfach an Thoranda, an der fast greifbaren Selbstsicherheit und Güte, die diese alte Frau ausstrahlte, daß mehr und mehr in ihm das Gefühl wuchs, den Boden unter den Füßen zu verlieren?